Donnerstag, 29. Dezember 2016

Wünsche zum Jahreswechsel 2017



So möge das neue Jahr für uns alle sein: Ein friedliches und sanftes Dahingleiten auf dem Lebensstrom, ruhig, gelassen und unaufgeregt, in sich selbst ruhend, die Stille und Naturschönheit genießend, harmonisch und gesund, unbedrängt und unbedroht, in psychophysischem Wohlbefinden und im Einklang mit der Natur, selbstbestimmt und selbstwirksam, wild und frei.


Allen Freunden - und allen, die es noch werden können - wünsche ich ein gesundes, friedliches und beglückendes Jahr 2017!

Entwürfe zur Gesundheitspsychologie (in Bearbeitung)


Gesundheit. Wir alle reden ständig davon und meinen zu wissen, was sie ist: Das Gegenteil von Krankheit eben. Es gibt aber ganz unterschiedliche Begriffe und Definitionen von Gesundheit. Etwa das Fehlen medizinischer Diagnosen und der Nachweis von Laborwerten im Normalbereich. Hier bestimmen Mediziner, ob Sie gesund sind oder nicht. Oder Sie selbst definieren sich als gesund: Weil sie keinen Leidensdruck haben und sich fit und rundum wohl fühlen. Für manche sind Sie gesund, wenn Sie arbeits- und leistungsfähig sind, funktionieren und ihre soziale Rolle ausfüllen können. Mitunter bemisst sich Gesundheit daran, dass Sie für sich selbst oder für andere keine Gefährdung darstellen. Für die Gesundheitspsychologie ist Gesundheit weit mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit. Sie ist auch kein Zustand, sondern ein sich ständig verändernder Prozess in einem Kontinuum relativen psychophysischen Wohlbefindens, den wir durch unser Verhalten beeinflussen und verbessern können.

Montag, 26. Dezember 2016

Helene - Die Queen of Emotions




Was hat die ZDF-Weihnachtsshow von Helene Fischer mit Weihnachtskrippen gemeinsam? Beide bedienen unsere affektiven Bedürfnisse, sind Emotionsduschen und Wohlfühlmassagen für unsere arg strapazierten Alltagsseelen - und dabei gleichermaßen wundervoll und herzzerreißend kitschig. Helene hat wieder gezeigt, dass sie die hohe Kunst der emotionalen Seelenmassage wie niemand sonst beherrscht: empfindsam, zugewandt, mitmenschlich, empathisch, warmherzig, mitreißend und sexy. Die faktische Welt mit allen Zwängen und Bedrückungen blieb völlig außen vor: Die Queen of Emotions zelebrierte wieder Wohlfühlkitsch vom Allerfeinsten und intellektuelle Anspruchslosigkeit auf allerhöchstem Niveau. Chapeau, Helene!

Donnerstag, 22. Dezember 2016

"Die Mitte" als Leitkonzept und Leitmotiv


Die neue Ausgabe unseres Mitgliedermagazins erscheint unter dem Titel "Die Mitte unserer Gesellschaft". Tatsächlich wird "die Mitte" - wie einst in den siebziger Jahren, als es hieß: "Macht die Mitte stark" (damals verstanden als Bindeglied zwischen konservativer Union und linker Sozialdemokratie) - wieder zum Leitmotiv und Leitkonzept unserer Partei. Sie steht einerseits für die erodierende und stark belastete, von Abstiegsängsten geplagte sozioökonomische Mittelschicht unserer Gesellschaft. Sie steht auch für die ebenso erodierende und durch scharfe Polarisierung und Fragmentierung bedrohte kulturelle bürgerlich-zivile Mitte zwischen dem Hegemon des linksgrünen, politisch-korrekten Zeitgeistes und dem Rechtspopulismus. Und sie steht für ein bodenständig-verwurzeltes Lebensgefühl von Mittigkeit, für Optimismus, Angstfreiheit und Mut, für Selbstbewusstsein und Solidität, Nüchternheit, Gleichmut und ausgewogenes Denken.  

Die "Mitte unserer Gesellschaft" hat viel Gemeinsamkeit mit den Begriffen "Mittelschicht" und "Mittelstand", aber sie ist längst nicht dasselbe. "Mittelschicht" ist ein sozioökonomischer Schichtungsbegriff, der weit über das Ökonomische hinausgeht und z.B. Bildung und Kultur umfasst. "Mittelstand" ist ein ökonomischer Begriff und beschreibt kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, und Freiberufler. Die "Mitte der Gesellschaft" ist ein politisch-soziologischer Begriff, der die gefährdeten und erodierenden stabilen und innovativen Teile der Gesellschaft beschreibt. Wir dürfen "Mittelschicht" und "Mitte der Gesellschaft" keinesfalls gleichsetzen. Beides hängt eng zusammen, ist aber nur zum Teil deckungsgleich.



DU - Das Motto des Dreikönigstreffens

Die FDP rückt das große DU ins Zentrum der Wähleransprache. Das Konzept scheint einem Einführungslehrbuch in die Pädagogische Psychologie entnommen: Die ultimative Ansprache des Gegenübers und seine ultimative Wertschätzung. Es geht mir um Dich! Du bist mir wichtig! Du in Deiner individuellen Lebenswelt und subjektiven Befindlichkeit. Wir wollen, dass Du über dein Leben entscheidest. Denn es verändert sich erst dann etwas in unserem Land, wenn Du etwas veränderst. Deine Selbstwirksamkeit liegt uns am Herzen.

Der so ultimativ Angesprochene ist ausdrücklich jeder in der Gesellschaft, der sich so angesprochen fühlt. In besonderer Weise ist aber das DU in der Mitte der Gesellschaft gemeint. Die „Mitte der Gesellschaft“ steht dabei einerseits für die erodierende und stark belastete, von Abstiegsängsten geplagte sozioökonomische Mittelschicht unserer Gesellschaft. Sie steht in einer Debattenkultur, die zunehmend von den Rändern der Gesellschaft her bestimmt wird, auch für die ebenso erodierende und durch scharfe Polarisierung und Fragmentierung bedrohte kulturelle bürgerlich-zivile Mitte zwischen dem Hegemon des linksgrünen, politisch-korrekten Zeitgeistes und dem Rechtspopulismus. Und sie steht für ein bodenständig-verwurzeltes Lebensgefühl von Mittigkeit, für Optimismus, Angstfreiheit und Mut, für Selbstbewusstsein und Solidität, Nüchternheit, Gleichmut und ausgewogenes Denken.

Die "Mitte unserer Gesellschaft" hat also viel Gemeinsamkeit mit den Begriffen "Mittelschicht" und "Mittelstand", aber sie ist längst nicht dasselbe. "Mittelschicht" ist ein sozioökonomischer Schichtungsbegriff, der weit über das Ökonomische hinausgeht und z.B. Bildung und Kultur umfasst. "Mittelstand" ist ein ökonomischer Begriff und beschreibt kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, und Freiberufler. Die "Mitte der Gesellschaft" ist ein politisch-soziologischer Begriff, der die gefährdeten und erodierenden stabilen und innovativen Teile der Gesellschaft beschreibt. Wir dürfen "Mittelschicht" und "Mitte der Gesellschaft" keinesfalls gleichsetzen. Beides hängt eng zusammen, ist aber nur zum Teil deckungsgleich.

Die „Mitte der Gesellschaft“ wird nach Dreikönig im Superwahljahr zum Leitmotiv und Leitkonzept unserer Partei - verstanden nicht als diffuses „Wir“, sondern als Konglomerat vieler individueller „Dus“ mit betont eigenem Anspruch. Persönlicher und wertschätzender kann eine Partei ihre Wähler nicht ansprechen: Die psychologisch hervorragend fundierte Kampagne lässt für die anstehenden Wahlkämpfe allemal hoffen.


Montag, 19. Dezember 2016

Der Rückzug ins Private: Wie Selbstschutz Bindung und Heimatgefühl schafft


Der Rückzug ins Private: Wie Selbstschutz Bindung und Heimatlichkeit schafft:

Es gibt unterschiedliche Bewältigungsstrategien für den Umgang mit der Angst vor Sprengstoffanschlägen, sexuell motivierter Gewalt, Antanzerei, Raub und Diebstahl im öffentlichen Raum. Die einen wagen sich hinaus in die Öffentlichkeit, praktizieren Selbstverteidigung, sind bewaffnet mit Schreckschusspistolen, Schlagringen und Pfefferspray. Die anderen weichen der Gefahr aus und kultivieren friedvolle Gemütlichkeit im kleinen, persönlich bekannten Kreis, schaffen sich Weihnachtsmarktatmosphäre im privaten oder halbprivaten Rahmen. Die Ergebnisse sind faszinierend und äußerst lohnend: Aus der Selbstbeschränkung erwachsen Intimität und romantische Lebenskultur mit echter zwischenmenschlicher Bindung. Das Leben in der sich selbst entfremdeten und zunehmend bedrohten und bedrohlichen Massengesellschaft entwickelt sich  durch den Rückzug ins Private zu einer neuen, bodenständig verwurzelten Heimatlichkeit.

Dienstag, 13. Dezember 2016

Subjektive Wahrheit



Befinden wir uns mit dem eifrigen Bekämpfen von Fake-News auf dem Weg zum Wahrheitsministerium? Thomas Oppermann fordert bei "erwiesenen Falschmeldungen" drastische Konsequenzen. Aber wer bestimmt und mit welcher Legitimation, wann eine Meldung eine Falschmeldung zu sein hat? Wahrheit und Unwahrheit sind subjektive Kategorien. Es gibt keine objektive Wahrheit. Eine freiheitliche Gesellschaft muss folglich jede Instanz ablehnen, die sich anmaßt, festlegen zu wollen, was als wahr oder unwahr zu gelten hat. Sie kann und muss es aushalten, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und auch unterschiedliche Vorstellungen von Wahrheit.  


A.: "Ich bin ehrlich gesagt ein bisschen verwundert über die Frage....was ist denn nur los, dass wir den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge, zwischen Meinung und Fakt nicht mehr zu kennen glauben?" 

Ich: "Postfaktizität bedeutet ja auch wohl weniger, dass wir den Unterschied nicht mehr zu kennen glauben, als dass er für uns an Bedeutung verliert, dass wir ihn intersubjektiv schwieriger transportieren und vermitteln können, dass emotionale Stimmigkeit wichtiger wird als faktengebundene Wahrheit."

A.: "Das sehe ich auch so. Umso wichtiger ist aber, dass wir klar bleiben, was die faktischen Unterschiede angeht. Um zu ihrem vorigen Kommentar zurück zu kommen: Eine freiheitliche Gesellschaft braucht unterschiedliche Meinungen, davon lebt sie. Aber sie braucht keine falschen Fakten, daran kann sie zugrunde gehen."

"Kranke Gesellschaft" und gute Politik





Die Koryphäen der humanistischen Psychologie Abraham H.Maslow und Erich Fromm sprachen vor ihr und auch heute ist ständig von ihr die Rede: Die kranke Gesellschaft. Dabei ist der Begriff äußerst ungenau, weil eine Gesellschaft kein belebter Organismus ist und als Konglomerat individueller Persönlichkeiten keinen Leidensdruck entfalten und nicht erkranken kann. Selbstverständlich kann Gesellschaft aber - und das ist es, was Maslow und Fromm meinten - individuelle Menschen in erheblichem Ausmaß krank machen. Das kann über pathogene Einflüsse wie mangelnde Sicherheit, Stress, belastende Umwelt, Arbeitslosigkeit oder soziale Konfliktlagen geschehen oder über mangelhafte salutogene Einflüsse wie Bildung, Gesundheitsversorgung und Rehabilitation, Erholungswert, Kultur und Psychotherapie, die zur Entstehung und Erhaltung von Gesundheit führen und Menschen ihre Potenziale entfalten und sich selbstverwirklichen lassen. Umso mehr Menschen in einer Gesellschaft bedingt durch diese pathogenen oder mangelnden salutogenen Einflüsse organisch oder psychisch krank und in ihrer Entwicklung behindert sind, umso "kränker" oder besser krankmachender ist die Gesellschaft. Umgekehrt zeichnet sich eine gute Gesellschaft mit echtem Wohlstand durch ein hohes Maß an Gesundheit, Entfaltung und Selbstverwirklichungsgrad ihrer Mitglieder aus. Schlechte Politik können wir so definieren, dass sie zur Erreichung dieses Zustands nichts oder wenig beiträgt oder ihn behindert. Gute Politik fördert hingegen gesundheits- und entwicklungsfreundliche gesellschaftliche Bedingungen. Sie unterstützt Menschen dabei, gesund und selbstverwirklicht zu leben.

Freitag, 9. Dezember 2016

Zum Sexualmord von Freiburg

Der furchtbare Sexualmord von Freiburg lässt sich in gar keiner Weise durch muslimische Prägung und ein respektloses Frauenbild erklären, wie viele hier annehmen. Bei solchen Taten liegt fast immer eine psychopathische Persönlichkeitsstruktur vor. Andererseits müssen wir davon ausgehen, dass Bindungslosigkeit, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und sexuelle Deprivation junger männlicher Flüchtlinge bei Fällen wie diesem eine wichtige Rolle spielen können. Sie sind orientierungslos, können keine stabile Identität entwickeln, sind auf sich gestellt und haben praktisch keine Möglichkeit zu legaler sexueller Befriedigung. Wir wissen allerdings noch viel zu wenig über den Einzelfall. Sexuelle Deprivation kann die Motivation gewesen sein, aber auch Machtdemonstration oder Ausleben von Gewaltexzessen bedingt durch eine psychopathische Persönlichkeit, Gewaltprägung durch Krieg und Flucht oder Frustration als Folge der Lebensverhältnisse in unserem Land. Wir sollten aber nicht verkennen, dass sexuelle Deprivation bei dieser fast ausschließlich männlichen Bevölkerungsgruppe ein generelles massives Problem darstellt.



Ein "Einzelfall" sei der Mord gewesen und nur von "regionalem Interesse". Und anders als etwa bei von der Polizei erschossenen Farbigen in den USA stehe kein gesellschaftlich relevantes Thema hinter diesem Verbrechen, hiess es in der ARD. Das ist völlig falsch: Dringlich zu diskutieren ist die Integrationsproblematik eines Personenkreises, deren psychische Verfasstheit aufgrund ihrer Biografie und Lebenssituation eine erhebliche Gefährdung der Bevölkerung darstellt. Natürlich ist jedes Verbrechen ein spezifischer Einzelfall. Es gibt aber hinter dem Sexualmord von Freiburg sehr typische Muster und über diesen Einzelfall hinausgehende Gefährdungslagen (Bindungs-, Arbeits- und Perspektivlosigkeit, Gewaltprägung durch Krieg und Flucht, Frustration, sexuelle Deprivation), die sehr wohl einer breiten gesellschaftlichen Besprechung und Aufarbeitung bedürfen.


Eine Klarstellung, weil es mehrfach Kritik an meinen Ausführungen zum Fall Maria Ladenburger gab, aber auch Beifall von der falschen Seite:
Sexuelle Deprivation ist zwar ein generelles Problem im Umfeld der Flüchtlingsunterkünfte, es gibt aber keinen automatischen Zusammenhang zwischen sexueller Deprivation und sexuell motivierter Gewalt. Nur sehr wenige sexuell deprivierte Flüchtlinge haben eine gewaltaffine Veranlagung, die sie für sexuell motivierte Gewalttaten anfällig macht. Auch gründet längst nicht jede Vergewaltigung in sexuellem Notstand. Sehr häufig liegt der Antrieb für Vergewaltigung eher in Machtdemonstration und dem Ausleben psychopathischer Gewaltphantasien als in sexuellem Verlangen. Eine erhöhte Vulnerabilität muslimischer Flüchtlinge für sexuell motivierte Gewalttaten können wir aus der Annahme sexueller Deprivation also keinesfalls ableiten.


 Selbst wenn die Zahl vollendeter Vergewaltigungen trotz Masseneinwanderung nicht gestiegen wäre (was zu prüfen ist), erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass prominente Fälle und das daraus resultierende Klima der Angst erheblich zum Rückgang der Fallzahlen beigetragen haben. Frauen haben viel mehr Furcht als früher, meiden potenziell gefährliche Situationen, sind viel zurückhaltender im Kontakt zu fremden Männern. Verändertes defensives Verhalten ist auch Kriminalitätsprophylaxe, allerdings mit einem sehr erheblichen Verlust an Lebensqualität verbunden.

Sonntag, 27. November 2016

Abschied vom Comandante





Die morbid-sentimentale Welle verklärter Revolutionsromantik, die anlässlich des Ablebens des Comandante gegenwärtig durchs Netz schwappt, ist ein weit besseres Beispiel für Postfaktizität als es die Trump-Kampagne jemals war. Mit dem realen Diktator hat sie aber so wenig zu tun wie lila Kühe mit der Milchproduktion. Nur deshalb können der blutige Guerillakampf, die standrechtlichen Erschießungen und Massenexekutionen, die vielen Hinrichtungen und langen Gefängnisstrafen, Folterungen, Enteignungen und Schikanen bei der rückblickenden Betrachtung und Bewertung dieser Figur so vollkommen ausgeblendet werden. Wovon wir (oder beträchtliche Teile davon) wehmütig Abschied nehmen, ist eine Projektionsfigur der eigenen revolutionären Gefühlswelt unserer Jugendtage. Denn Revolutionäre waren wir doch alle, im Guerillakampf gegen die erstickende Fürsorglichkeit unserer Mütter und die alles beherrschende Dominanz übermächtiger Vaterfiguren. Die Helden der kubanischen Revolution waren Identifikationsfiguren des ganz persönlichen Freiheitskampfes unserer jugendlich-unterdrückten Identität. Im Angesicht Fidels und Che Guevaras wurden unter starkem Einfluss bis dahin unbekannter Rauchwaren und karibischer Musik Emotionswelten erobert und grenzenlose Körperlichkeit zelebriert. Wir fühlten uns stark und lebendig und frei. Damals. Lange ist das her. Ein großes Stück dieses längst vergessenen Gefühls ist erneut dahin, wird uns sehr unangenehm bewusst, mit dem schmerzlichen Verlust der selbsterschaffenen Ikone des unerschütterlichen Comandante.






Eine meiner FB-Freundinnen (die ich sehr schätze) bedankt sich heute anlässlich des Ablebens des kubanischen Diktators mit "Gracias por todo!" (Danke für alles). Auf ihrer Seite liest man dann folgende Beiträge: "Ich hatte noch das Glück, ihn (Fidel) bei einer öffentlichen Rede in Habana, vor 14 Jahren aus 3 m Distanz, zu hören. Ich hatte damals auch Tränen in den Augen, so ergriffen war ich von seiner Persönlichkeit." Später wird eingeräumt: "... jedoch nicht immer von seiner Politik". Kritischere Beiträge auf der Seite verweisen immerhin auf Menschenschlangen vor kubanischen Geschäften oder zeigen Bilder von etwas heruntergekommenen Häuserfassaden in Havanna.
Niemand schreibt vom blutigen Guerillakampf, von standrechtlichen Erschießungen, Massenexekutionen, den vielen Hinrichtungen und langen Gefängnisstrafen, Folter, Enteignungen, Schikanen. Castros Tod ist kein Anlass für sentimentale Revolutionsromantik. Mit ihm sollten endlich auch die Überreste seines Regimes der Vergangenheit angehören.

Adios, Comandante. Gracias por nada.

Montag, 31. Oktober 2016

Gefährliche Debattenkultur



Großes Theater erleben wir derzeit in unserer Medienlandschaft, in seiner Dramatik Shakespeare nachempfunden und von Stefan Winterbauer in seinem Artikel sachlich nachgezeichnet. Mich persönlich interessieren weniger die Details - unappetitlich allemal und ganz besonders verstörend, weil auf beiden Seiten des Konflikts sehr geschätzte Persönlichkeiten involviert sind. Mich interessiert die polarisierte Bissigkeit und Giftigkeit des Konflikts, weil sie symptomatisch ist für unseren Zeitgeist und die öffentliche Kultur der Meinungsbildung und Auseinandersetzung. Das Drama zeigt schonungslos auf, wie sehr zerrissen und menschenfeindlich unser Diskurs gegenwärtig geführt wird. Wie hochgradig unproduktiv es ist, Menschen an den Pranger zu stellen, statt über Sachfragen zu debattieren. "Gefährliche Bürger" ist ein problematisches Buch, weil es sich auf namentlich benannte Personen fokussiert, statt das durchaus sehr gesellschaftsrelevante Thema des Rechtspopulismus sachlich-deskriptiv, inhaltlich, behutsam und verantwortlich zu analysieren. Dies festzustellen, relativiert aber in keiner Weise die zum Teil bodenlos primitiven Auslassungen namhafter Journalisten, wie wir sie jetzt erleben mussten. Es relativiert vor allem nicht den "Investigativen Journalismus" eines fragwürdigen Artikels in einer großen Tageszeitung, der vor allem darauf abzielt, eine Autorin persönlich anzuprangern und zu beschädigen. Ruhe, Nüchternheit und Sachlichkeit sind jetzt dringend gefordert. Die Hitzigkeit der Debatte, die in ihrer menschenverachtenden Giftigkeit an die McCarthy- Ära erinnert, ist hochgradig kontraproduktiv und beschädigend. Es sind genug Gräben aufgerissen und genug Gefühle verletzt worden. Es ist hohe Zeit, versöhnlich gegenzusteuern. 

http://meedia.de/2016/10/27/charakterschweine-pseudo-investigativjournalist-welt-autor-alan-posner-geht-wegen-liane-bednarz-auf-die-sueddeutsche-zeitung-los/

Genau hier liegt ja das Problem. Die Etikettierung (und damit Stigmatisierung und Ausgrenzung) erfolgt ja nicht nur gegenüber Persönlichkeiten (die sich vielleicht auch selbst der Szene zuordnen), sondern ebenso gegenüber einzelnen politischen Positionen oder gar Begrifflichkeiten. Der betroffene Personenkreis wird hierdurch immer größer und die Abgrenzung gegenüber dem Tabubereich immer schwieriger. Man gerät immer häufiger unter Verdacht, fragwürdiges Gedankengut zu hegen. Das erlebe ich auch ganz persönlich. Tabuzonen weiten sich aus - und als Reaktion darauf natürlich die zunehmende Bereitschaft zum Tabubruch.

Montag, 29. August 2016

Die Kanzlerfrage und die erlernte Hilflosigkeit





Die Frage, ob die Kanzlerin erneut antritt, bewegt die Nation. Viele halten sie für eine interne Entscheidung der Union. Wir werden so oder so damit leben müssen, las ich. Und, es gebe ohnehin keine Alternative.

Die amerikanischen Psychologen Martin Seligman und Steve Maier prägten 1967 den Begriff der "Erlernten Hilflosigkeit". Das Konzept beschreibt die Erwartung eines Individuums, bestimmte Situationen oder Sachverhalte nicht kontrollieren und beeinflussen zu können. Menschen engen ihr Verhaltensrepertoire ein und stellen als unangenehm erlebte Zustände nicht mehr ab, obwohl sie dazu in der Lage wären. Die Erwartung des Kontrollverlusts beeinflusst das weitere Erleben und Verhalten des Menschen und kann sich in motivationalen, kognitiven und emotionalen Defiziten manifestieren. Dieses Verhalten ist typisch für Depressive.

Was wir heute erleben, sind Anzeichen einer ernsthaften kollektiven Befindlichkeitsstörung. Die Mutlosigkeit, Lethargie, Passivität, Antriebslosigkeit und Bereitschaft zur devoten Duldung, die sich in der Kanzlerfrage manifestieren, schreien förmlich nach Veränderung. Es geht hier nicht primär um eine CDU-Personalie. Es geht um die Lebendigkeit unserer Demokratie und um unsere politische Kultur. Eine erneute Kandidatur der alternativlosen Kanzlerin - möglicherweise noch gegen ihren Vizekanzler - wäre in jeder Hinsicht fatal für unser Lebensgefühl und unsere kollektive mentale Befindlichkeit. Wir brauchen den Neustart. Dringend.

Samstag, 27. August 2016

Der gesunde Menschenverstand






So eine schlechte Beurteilung hat er nicht verdient, unser "gesunder Menschenverstand". Mit Verstand, also dem Kognitiven, hat er ja auch nicht viel zu tun. Er ist eher unser emotionales Bauchgefühl, ein Produkt unserer limbischen Gehirnstrukturen, und ein Ergebnis unserer langen psychischen Evolution, der erfolgreichen Lebensbewältigung unzähliger Generationen. Wir sind oft nicht schlecht beraten, wenn wir der gewaltigen stammesgeschichtlichen Lebenserfahrung von Amygdala und Hippocampus vertrauen, über die unser mitunter eitler und selbstgefälliger präfrontaler Cortex eben noch nicht verfügt. Eine wertvolle Orientierung im Chaos des Lebens bieten uns diese Urinstinkte allemal - und wir können sicher sein, dass zumindest die grobe Richtung stimmt, wenn uns der "gesunde Menschenverstand" den Weg weist.


 Diese Instinkte oder auch die Intuition seien aber nicht gemeint, wenn in einer Diskussion dem "gesunden Menschenverstand" gehuldigt werde, meint Heinrich Schmitz. (http://diekolumnisten.de/2016/08/20/gesunder-menschenverstand-ach-was/). Natürlich meint der "gesunde Menschenverstand" genau das. In der Flüchtlingsfrage etwa warnt uns die Amygdala, sprich unser Bauchgefühl, vor der Überfremdung: Der Zustrom junger Männer aus einem fremden Kulturkreis - berechtigt oder nicht als unkontrolliert und außer Kontrolle geraten wahrgenommen - ist furchtbesetzt und drängt uns zu Abwehrreaktionen. Unser Neocortex, besonders der orbitofrontale Teil des präfrontalen Cortex, mag uns einflüstern, dass es gute rationale Gründe gibt, viele Flüchtlinge aufzunehmen - aber die Furcht prägt unser Verhalten viel wirkungsvoller und wird von uns scheinrationalisiert, wenn wir uns auf den "gesunden Menschenverstand" oder das "gesunde Volksempfinden" berufen. Beides ist nichts anderes als emotionale Reaktion - vor allem Angst - von unserem unterbewussten evolutionären Erbe wirkungsmächtig eingeflüstert.

Zum Tode von Walter Scheel


1968 wurde Walter Scheel als Nachfolger von Erich Mende zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. Als "Jungtürke" stand er für eine Neupositionierung der Partei in der Mitte des politischen Spektrums mit Bündnisoptionen zu beiden Seiten. Ein Jahr später führte er die Partei in die Sozialliberale Koalition. Es war Ende der Sechziger alles andere als selbstverständlich, dass Liberale und Sozialdemokraten ein politisches Bündnis eingingen. Es gab noch tiefe mentale und soziokulturelle Gräben zwischen den "Bürgerlichen" und der Arbeiterpartei. Anfang der 1970er Jahre gehörte er mit Werner Maihofer und Karl-Hermann Flach zu den Autoren der Freiburger Thesen, des neuen Grundsatzprogramms der FDP, die die Partei als reformorientierte und umweltbewusste Kraft eines sozialen Liberalismus definierten. Walter Scheel war ein Grenzgänger, der sich auf Neuland wagte. Und er war ein Brückenbauer, der Menschen und gesellschaftliche Gruppen zueinanderführte. Er hatte den Mut zur Veränderung, die politische Vision zur Neugestaltung und die Hartnäckigkeit, heftigen Widerständen zu trotzen. Er hat unser Land und unsere Partei maßgeblich verändert. Als bedeutender Politiker und wegweisender, prägender großer Liberaler bleibt er mir in Erinnerung.

Verbot von Niqab und Burka



Alan Posener spricht sich entschieden gegen ein Burkaverbot aus, um, wie er sagt, den Liberalismus zu verteidigen.
Mir geht es weniger um "den Liberalismus", als um die alltagsweltlich gelebte Freiheitskultur in unserem Land. Hier stellt sich entschieden die Frage, ob Akzeptanz und Tolerierung von Symbolen einer religiös-ideologischen Repressions- und Dominanzkultur mit dieser Freiheitskultur vereinbar sind. Noch spannender allerdings ist die Frage, inwieweit eine (aus meiner Sicht unumgängliche) Ächtung dieser Kleidungsstücke durch Maßnahmen des Ordnungsstaates auch tatsächlich umgesetzt werden sollte, weil diese Maßnahmen selbst unausweichlich zu einer Beschädigung alltagsweltlicher Freiheit führen (man denke etwa an die Bilder vom Strand in Nizza). Gelebte Freiheitskultur bedarf hier einer sehr sorgfältigen Abwägung von notwendiger Verurteilung und stillschweigender Toleranz.
Nazisymbole haben wir - aus gutem Grund, wie ich finde - auch verboten, obwohl auch das die Freiheitskultur (zumindest theoretisch) einschränkt. Geächtet ist auch hier die Hakenkreuzflagge als Symbol und nicht der Mensch, der sie in seinem Vorgarten aufzieht. Wichtig scheint mir die klare Verurteilung solcher Symbole an sich. In wieweit man ihre Verwendung anschließend tatsächlich sanktioniert, ist eine nachgeordnete Frage - und eine der politischen Sensibilität.


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Eine klare Verurteilung von Burka und Niqab als Symbole einer repressiven religiösen Dominanzkultur sind notwendig. Was wir aber keinesfalls akzeptieren können, ist ein Ordnungsstaat, der Bürger gängelt. Im Bild französische Polizisten, die an einem südfranzösischen Strand eine muslimische Frau anweisen, ihre Ganzkörperbadebekleidung abzulegen. Zünftige Bußgelder sind dort bei Verstoß gegen das Burkini-Verbot üblich. Statt repressiver Maßnahmen, die einen empfindlichen Verlust an Freiheitskultur bedeuten, muss die Mehrheitsgesellschaft eine produktive Antwort auf die muslimische Badebekleidung finden: Eine allgemeine Rückkehr zur züchtigen Bademode von 1890 wäre eine Katastrophe. Eine völlige Liberalisierung der Badebekleidungsregeln, die neben Voll-Textil dann auch Textilfrei erlaubt, wäre hingegen eine produktive Antwort. 

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Doch, die Burka passe in eine liberale Demokratie, meint Alan Posener - und bekennt sich damit zu einer uneingeschränkten Toleranzkultur. Burqa und Niqab sind aber Ausdruck einer repressiven Religionsmoral, sie zerstören ganz gezielt Individualität und unterdrücken Weiblichkeit und Körperlichkeit, richten sich also explizit gegen die Menschlichkeit der Frau als individuelles und körperliches Wesen. Sie in einer freiheitlichen Gesellschaft zu akzeptieren, bedeutet, die Unfreiheit selbst zu tolerieren, ein klares verteidigungsbereites Bekenntnis zur Freiheit zu unterlassen und damit ein schleichendes Unterhöhlen unserer Freiheitskultur zuzulassen.

 Es geht auch nicht um die individuelle Frau und ihre individuelle Entscheidung, Ganzkörperverschleierung zu tragen. Vielleicht geht es nicht mal um die Zwänge und den psychologischen Druck, die diese individuelle Frau veranlassen dies zu tun. Worum es wirklich geht, ist die Freiheitskultur in diesem Land und der Widerstand gegen die Repression religiöser Moral und den Herrschaftsanspruch, den diese Kleidungsstücke im öffentlichen Raum entfalten. Worum es wirklich geht, ist unser Bekenntnis zu offener und menschlicher Interaktion und Kommunikation.

Mittwoch, 17. August 2016

Burka und Niqab - Sollen wir sie verbieten?

 Mit Mode hat das nichts zu tun: Mode bringt Individualität zum Ausdruck, betont Unterschiedlichkeit, differenziert.
Blick durchs Gitter - die radikale Negierung jeder Form von Menschlichkeit.

Der Staat dürfe die Burka nicht verbieten, meint Heinrich Schmitz. Ich komme zu einem anderen Ergebnis: Bei Burka und Niqab geht es meiner Meinung nach nicht um Ausdruck eines religiösen oder kulturellen Lebensgefühls, auch dienen sie nicht der Psychohygiene der Frau, wie ich in Bezug auf das Tragen eines Kopftuches argumentiert habe. Diese Kleidungsstücke sind m.E. Ausdruck einer repressiven Religionsmoral selbst, sie zerstören ganz gezielt Individualität, unterdrücken ganz gezielt Weiblichkeit und Körperlichkeit, richten sich also explizit gegen die Menschlichkeit der Frau als individuelles und körperliches Wesen. Ich denke, unsere Verfassung kann das Tragen der Kleidungsstücke als individuelle Willkürhandlung nicht beschränken, sie kann aber - und muss sogar - die Zur-Schau-Stellung dieses repressiven, menschenfeindlichen und freiheitsfeindlichen Symbols religiös-fundamentalistischer Dominanz und Vorherrschaft im öffentlichen Raum untersagen.https://causa.tagesspiegel.de/kolumnen/der-staat-darf-die-burka-nicht-verbietennbsp.html

Dienstag, 19. Juli 2016

Zum Amoklauf bei Würzburg



Amokläufer wie der Täter aus dem Würzburger Regionalzug fallen nicht vom Himmel. Solche Taten haben immer eine lange Vorgeschichte, die immer auch die Geschichte einer völlig fehlgeschlagenen psychischen Entwicklung und massiven Identitätsstörung ist. Riaz A. ist, nach allem was wir wissen, vor zwei Jahren minderjährig und ohne Bezugsperson aus Afghanistan gekommen. Wir können davon ausgehen, dass diese Odyssee hochgradig traumatisierend verlaufen ist und von Gewaltexzessen und Enthemmung geprägt war. Seit zwei Jahren ist er dann in der deutschen Flüchtlingsintegrationsmaschinerie herumgereicht worden: Erstaufnahmeeinrichtung, dann das Kolpingheim im unterfränkischen Ochsenfurt und jetzt eine Pflegefamilie. Es habe sich um einen sehr gut integrierten Jugendlichen mit ausgezeichneter Perspektive gehandelt, so Michael Horlemann, der Leiter des Würzburger Sozialreferats. Natürlich ist ein junger Mann, der ein solches Blutbad anrichtet, alles andere als gut integriert. Wir müssen davon ausgehen, dass wir es mit einer hochgradig instabilen Persönlichkeit zu tun hatten, ein junger Mann, der seine innere Haltlosigkeit und Leere mit menschenverachtender islamistischer Ideologie aufgefüllt hat, ein entwurzelter Mensch, der hochfanatisiert als gefährliche Zeitbombe durch dieses Land gelaufen ist. Ein solcher Fall zeigt auf hochdramatische Art die Problematik und das Risiko unserer Flüchtlingspolitik auf: Wir müssen mit hochgeschädigten Persönlichkeiten rechnen, wir müssen mit völlig irrationalem gewaltaffinem Verhalten rechnen und wir müssen auch mit katastrophalen Entladungen von Frustration und Entmenschlichung rechnen. Was wir in Würzburg erlebt haben, ist nur die Spitze eines Eisbergs, die sicher auch einer ganz spezifischen genetischen und epigenetischen Prädisposition bedurft hat. Bei solchen Taten treffen immer verschiedene sehr ausgeprägt negative Faktoren aufeinander. Das darf uns aber keinesfalls beruhigen. Die spezifische Vulnerabilität der Flüchtlinge, insbesondere der jungen Männer ohne familiäre Einbindung, sollte uns große Sorge bereiten und uns veranlassen, sehr genau auf die psychosozialen Entwicklungen dieser Menschen zu achten.

Mittwoch, 8. Juni 2016

Die Mannschaft



Sehr minimalistisch kommt der neue Markenmame des unser Land repräsentierenden Teams dieser Tage daher. Die "Deutsche Nationalmannschaft" von einst wurde schlicht zur "Mannschaft". Der Begriff scheint alle lästigen Diskussionen der letzten Tage im Keim ersticken zu wollen: Fragen nach nichtdeutscher Herkunft und ethnischem Aussehen von Spielern, nach dem Nichtmitsingen der Nationalhymne, nach demonstrativ öffentlich gemachten Mekka-Pilgerfahrten oder Posierfotos mit ausländischen Despoten. Wer den Anspruch des "Deutschen" und des "Nationalen" gar nicht mehr erhebt, kann - und darf - all das nicht mehr problematisieren und in Frage stellen. "Die Mannschaft" steht somit für die multikulturelle Gesellschaft des nachdeutschen, nachnationalen Zeitalters und die damit verbundene neue postmoderne Beliebigkeit. Die nationalen Symbole sind kleingehalten: Der Bundesadler des nationalen Fußballverbandes erscheint in dezemtem Grau, Schwarzrotgold ist nicht mehr als die Vereinsfarbe des Teams, was den neuerdings unkompliziert-leichtfertigen Umgang mit Fahnen und Wimpeln erklärt: Das einst Nationale ist heutzutage nicht mehr als reine Vereinsfolklore. Die Frage wird sein, ob der zeitgemäße Minimalismus in der Lage sein wird, bei allem Trennenden, bei allen Gräben, die sich zwischen uns in unserer zerrissenen Gesellschaft auftun, genügend gemeinsame und verbindende Identifikationsmomente stiften zu können. Die Mannschaft einer Gesellschaft, die sich mehr oder weniger zufällig innerhalb historischer Grenzen zusammengefunden hat. Ob das den Menschen reicht?

Freitag, 13. Mai 2016

Gehört Pfingsten zu Deutschland?



Ob Pfingsten zu Deutschland gehört, fragt Christiane Florin und gibt am Ende ihres Artikels eine verneinende Antwort. Für die Allerwenigsten in unserer Gesellschaft hat dieses Fest noch eine religiöse Bedeutung, kaum noch jemand kennt Ursprung und Sinn, bestenfalls erinnern sich einige, dass das Fest irgendwie mit einem "Heiligen Geist" zu tun habe. Jahr für Jahr stellt sich die Frage nach der Berechtigung derart offensichtlich sinnentleerter Feiertage - ohne dass eine Diskussion über eine Abschaffung wirklich in Gang kommt, denn niemand möchte schließlich auf die Feiertage im Wonnemonat wirklich verzichten. Aber sind Feiertage wie Pfingsten denn wirklich sinnentleert? Die Menschen leben eine jahrhundertealte Tradition und verleihen dem Fest jeweils ihre ganz individuelle Bedeutung, etwa als Familienfest, oder, wie ich im letzten Jahr und wohl auch in diesem, als Gartenfest. Menschen kommen zusammen, genießen die Natur und schöne freie Frühlingstage. Offensichtlich stört die Sinnentleerung niemanden, weil sie niemand wirklich empfindet: Denn der Sinn ist ja da, für jeden und von jedem ganz individuell entworfen und mal bewusster und intensiver, mal weniger bewusst und weniger intensiv erlebt und wahrgenommen - und von einigen Wenigen durchaus auch im traditionell religiösen Sinn zelebriert. Bedeutungen verändern sich und mit ihr Sinngebungen in einer modernen säkularen und freiheitlichen Gesellschaft. Das ist ein kreativer kulturevolutionärer Prozeß und ja, Pfingsten, so verstanden, hat seine Berechtigung. Und indem die Menschen das Fest mit neuem Leben füllen, gehört es ohne Zweifel in diese Zeit - und auch zu Deutschland.

Freitag, 6. Mai 2016

Diamantene Hochzeit in Eich




Was für ein herrlicher Tag gestern. Meine Nachbarn feiern in bester Gesundheit ihre Diamantene Hochzeit im Landgasthof an der Siegbrücke. Wir sitzen im strahlenden Sonnenschein im Biergarten mit Blick auf die Sieg, ein Weißbier in der Hand (nicht nur eins), auf dem Fluss lassen sich Kanuten vorbeitreiben, Westernpferde werden auf dem Uferweg geritten, nicht mehr nüchterne Väter poltern in einem Bollerwagen am Gasthof vorbei. Unsere Dorfcommunity ist fast vollzählig versammelt, die Stimmung heiter gelöst, die Atmosphäre spannungsfrei. Unser Weiler Eich ist kein wirkliches Dorf, eher eine Ansammlung von Einfamilienhäusern, seit den siebziger Jahren um einen alten Hof herum gebaut. Zufällig, stillos, vielfältig und unterschiedlich, wie seine Bewohner: Alteingesessene Bauern, bodenständige Handwerker, viele Zugereiste, meist aus Köln oder anderen Städten des Rheinlands, Akademiker und Arbeiter, viele im Ruhestand, aber alle irgendwie junggeblieben, besonders die Alten. Was uns Eicher ausmacht, ist das Unpretentiöse: Man muss nichts darstellen, nichts sein und nichts werden. Man ist was man ist. Niemand ist aus Karrieregründen nach Eich gekommen, aber alle, um einfach zu leben, zu genießen, man selbst zu sein. Es gibt wenig Reichtum in Eich - außer dem Reichtum an Lebendigkeit und Lebensfreude. Die Gärten sind gepflegt oder ungepflegt, nichts ist manieriert oder zur Schau gestellt. Keiner will etwas vom anderen und doch gibt es ein Wir-Gefühl in dieser gemeinschaftslosen Gemeinschaft. Entspanntes Leben, zwanglos gelassen und frei, unbedrängt gleichmütig wie der Fluss, der die Kanus vorbeigleiten lässt...


Samstag, 30. April 2016

Glaubwürdigkeit und „Partei der Bewegung“ - Vier Leistungsansprüche für eine erfolgreiche FDP





Ohne Frage hat die FDP auf dem Berliner Bundesparteitag einen guten Eindruck gemacht: Jugendlich kam sie daher, dynamisch und sympathisch. Und demonstrativ geschlossen. Diese Geschlossenheit darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine wesentliche funktionale Zukunftsfrage noch nicht gelöst ist: Die Frage nämlich, in welcher Konstellation und Funktion liberale Inhalte im Bund und in den Ländern in der Zukunft umgesetzt werden sollen. In Berlin gab es sehr viel Beifall und Lob für die Mainzer Koalitionsverhandlungen für eine Ampelkoalition. Die erheblichen Zweifel an der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der Entscheidung, Koalitionsverhandlungen mit Roten und Grünen aufzunehmen, wurden im allgemeinen Harmoniebestreben hinweg geklatscht, völlig ungeachtet der Tatsache, dass dies eine massive Dehnung des Wählerwillens bedeutet hat – um es mal höflich auszudrücken. Dass gleichermaßen die Mainzer Entscheidung für eine Koalition wie die Stuttgarter Entscheidung dagegen beklatscht und quasi ein „anything goes“ abgefeiert wurde, zeigt aber auch die spürbare Verunsicherung über die zukünftige Rolle und Aufgabe der Partei gerade in funktioneller Hinsicht.

Um längerfristig erfolgreich zu sein, muss die FDP aus meiner Sicht in vier Disziplinen überzeugen:

Erstens, sie muss den Wählern inhaltliche Argumente liefern, um gewählt zu werden. Sie muss als einzige liberale Partei in Deutschland die Stimme der Freiheit in sämtlichen Politikbereichen hörbar machen und konsequent für liberale Lösungen eintreten. Daneben muss sie als Partei des Bürgertums bürgerliche Werte und Tugenden konsequent verteidigen. Insgesamt sind wir hier auf einem sehr guten Weg.

Zweitens, sie muss den Wählern emotionale Wahlargumente liefern. Sie muss freiheitliches Lebensgefühl vermitteln, auf vorhandene Ängste eine Antwort haben und der weit verbreiteten Lethargie und Antriebslosigkeit etwas entgegensetzen. Mit der Kampagne „GERMAN MUT“ und ihrer Fortsetzung in der „Beta Republik“ sind wir auch hier auf einem guten und neuartigen Weg: Es geht darum, Emotion und Lebensgefühl als Kategorien der politischen Kommunikation mit den Menschen zu entdecken und für die Wählermotivation fruchtbar zu machen.

Drittens, sie muss den Menschen ein funktionales Argument liefern, um gewählt zu werden. Eine Perspektive läge darin, sich wie in Rheinland-Pfalz als weitere linksmittige Funktionspartei anzubieten, also als gelben Faktor in einer Ampel mit Rot und Grün, Schwarz und Grün, oder der „Deutschlandkoalition“ mit Schwarz und Rot. Gegen dieses Modell spricht aus meiner Sicht, dass für eine weitere Funktionspartei links von der Mitte neben den „sozialdemokratischen“ Parteien CDU, SPD und Grünen kaum Bedarf besteht und der Konkurrenzdruck extrem hoch ist. Aus meiner Sicht ist die längerfristige (Überlebens)prognose für die FDP in diesen Konstellationen nicht günstig.
Die Alternative besteht darin, zunächst auf Regierungsbeteiligungen zu verzichten und sich konsequent als Programmpartei und „Partei der Bewegung“ als Opposition zum „Merkel-Block“ der sozialdemokratischen Parteien zu präsentieren. Hier wäre die FDP eine bürgerliche, aus der Mitte des politischen Spektrums kommende Alternative zur „Alternative für Deutschland“ und eine echte Alternative für die Menschen und damit ein stabilisierender Faktor für unsere Demokratie. Die „Große Koalition“ hat zu einer bedrohlichen Entfremdung eines beträchtlichen Teils der Wählerschaft von unserem politisch-repräsentativen System geführt. Es wäre überlebenswichtig für unser repräsentatives System, dass sich eine bürgerliche Partei aus der Mitte des politischen Spektrums an die Spitze der Bewegung der Entfremdeten und Abgewandten setzt und diese Menschen nicht dem Rechtspopulismus überlässt.
Zwischen den sozialdemokratischen Parteien links von der Mitte und der immer weiter nach rechts abdriftenden AfD liegt ein weites Feld, das weitgehend konkurrenzlos bearbeitet werden kann. Für die FDP kann es im Moment nicht um staatspolitische Verantwortung gehen – es geht zunächst um eigene Stabilisierung und Konsolidierung und die Rückkehr in den Deutschen Bundestag. Dies lässt sich aus meiner Sicht in der Opposition besser erreichen, weil wir widerspruchsfreier agieren können und keine Kompromisse eingehen müssen. Die Aussicht auf eine weitere Merkel-geführte Koalition sollte uns darüber hinaus in jeder Hinsicht abschrecken.
In Bezug auf die funktionelle Ausrichtung ist die zukünftige Rolle der FDP noch nicht klar. Hier müssen wir zu einer Entscheidung kommen.

Viertens muss sich die FDP ein solides und widerspruchsfreies Image erarbeiten. Aus meiner Sicht sind Solidität und Glaubwürdigkeit oberstes Gebot. Wir müssen in bester bürgerlicher Tradition ehrlich und redlich daherkommen. Dazu gehört, dass man nach der Wahl das einhält, was man vor der Wahl versprochen hat. Deshalb ist die Mainzer Entscheidung, gegen den Wählerwillen und gegen die eigenen Wahlkampfaussagen Koalitionsverhandlungen mit Rotgrün aufzunehmen, aus meiner Sicht ein schwerer Fehler gewesen. Wir sind 2013 nicht zuletzt deshalb aus dem Bundestag geflogen, weil wir Wahlkampfversprechen nicht einlösen konnten. Wir hatten – und haben – ein Glaubwürdigkeitsproblem - wie das gesamte politisch-repräsentative System insgesamt. Auch hier hätten wir als bemüht glaubwürdige Partei ein Alleinstellungsmerkmal. Zudem sind aber absolute Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Redlichkeit für eine gegenwärtig noch außerparlamentarische Partei mit noch nicht soliden Umfragewerten überlebensrelevant.

Montag, 25. April 2016

Die Beta Republik: Prinzip der Evolution – und Entfaltungsraum menschlicher Möglichkeiten.


Zunächst hatte mich als ehemaliger Lehrer und durchaus zum Perfektionismus neigend, der Begriff irritiert: Die Beta Republik. Beta klang irgendwie zweitrangig, nicht nach erster Wahl. Und warum eigentlich ohne Bindestrich? Wenn schon griechisches Alphabet, dann müsse es für Liberale doch die Alpha-Republik sein: Mit höchstem Anspruch und mit Bindestrich, dachte ich.

Zudem war mir die beabsichtigte Assoziation fremd, die Anleihe aus der Computersprache nicht vertraut. Der Begriff sei der Digitalwirtschaft entlehnt und stehe für eine noch in der Testphase befindliche Software, las ich. Ist das eingängig? Von Computersprache und -technik habe ich keine Ahnung – und viele Bürger unseres Landes wohl ebenso wenig. Das Motto schien mir sperrig.

Mittlerweile, nach den Reden von Christian Lindner und Nicola Beer auf dem Berliner Parteitag ist mir klar, wofür Beta Republik stehen soll – und ich bin begeistert: Der Begriff skizziert eine menschenfreundliche Versuchskultur, trial and error als Lebensprinzip, Deutschland müsse ein Labor werden, „Beta“ stehe für Risikobereitschaft und Freiheit. Das neue Motto konkretisiert GERMAN MUT, unsere Initiative gegen Verzagtheit und Ängstlichkeit, und entwickelt es weiter.

Man müsse den Mut haben, etwas auszuprobieren. Wer Angst vor Fehlern habe, zementiere den Stillstand, sagte Generalsekretärin Nicola Beer auf dem Parteitag. Sie forderte ein Ende der Politik, die aus den Ängsten der Menschen Kapital schlage. Bei den Liberalen stehe der Mensch im Mittelpunkt, sein Wohlergehen, das Entwickeln seiner Potentiale. Man wolle die Bürger in diesem Land stark machen. Sie nicht gängeln, sondern von frühester Kindheit an befähigen. Fortschritt sei eine Haltung.

Jedem, der sich intensiv mit der Natur beschäftigt hat, ist das Prinzip bestens vertraut. Evolution ist das Prinzip des ständigen Optimierens, des Weiterentwickelns des Unvollkommenen, des Erprobens der Möglichkeiten. Es gibt nichts Perfektes in der Natur, keine absolut gelungenen Entwürfe, keine Alpha-Modelle. Mit dem Parteitagsmotto kopieren wir das Erfolgsmodell der Natur: Das Prinzip der natürlichen Evolution.

Auch aus psychologischer Sicht vermag das Motto zu begeistern. Die Labor- und Werkstatt-Attitüde überfordert die Menschen nicht. Es werden eben ausdrücklich keine perfekten Lösungen erwartet. Statt dessen wird der freie Raum propagiert, wo in beinah spielerischer Atmosphäre Exploration erprobt und menschliche Entwicklung ermöglicht wird. Das Motto ist eine Liebeserklärung an das Unvollkommene – und an die menschliche Natur: Indem es sich auf die Entwicklung fokussiert, werden menschliche Möglichkeiten sichtbar und die Entfaltung dieser Potentiale angeregt.

Deutschland braucht den Update, das ist gar keine Frage. Wir bleiben weit unter unseren Möglichkeiten. Es gibt viele bürokratische und institutionelle Hemmnisse und Hindernisse für Leistung und Erfolg. Aber es gibt auch sehr wesentliche psychologische Hemmnisse. Erwartungen überfordern uns und lähmen unsere Initiative. Gelernte Hilflosigkeit verhindert oft den Versuch – und damit den Erfolg. Wir brauchen Optimismus und Mut, aber auch die druckfreie entspannte Atmosphäre, die Kreativität erst ermöglicht. Anspruch ist wichtig und notwendig um erfolgreich zu sein. Perfektionismus ist aber oft angstbesetzt und damit lähmend. Verabschieden wir uns also von Alpha-Vorstellungen und Alpha-Erwartungen, die letztendlich Stillstand zementieren. Machen wir uns auf in die Beta Republik.

Sonntag, 3. April 2016

Zur Trauerfeier für Guido Westerwelle



Schöne und bewegende Worte hat sie gefunden, die Kanzlerin auf der Trauerfeier von Guido Westerwelle. Keine Frage, das kann sie, die Pfarrerstochter. Ich will die Rede auch keinesfalls kritisieren, die viele, viele Liberale zumal, ausdrücklich gewürdigt haben.
Und doch – mir persönlich hat etwas gefehlt: Etwas Demut, ein Wort des Bedauerns der gemeinsamen Geschichte und des eigenen Handelns. Ein Ausdruck eines schlechten Gewissens vielleicht, ein wenn auch nur rudimentäres Eingeständnis, nicht immer fair gewesen zu sein gegenüber dem Verstorbenen. Ich selbst habe mehrfach so empfunden während der Krankheit Westerwelles und nun nach seinem Tod: Nicht immer fair gewesen zu sein ihm gegenüber, zu scharf und mitunter unangemessen heftig in meiner Kritik. Was mich betrifft – ich bedaure das heute.

Eine Krebserkrankung kommt selten einfach so. Häufig ist der Ausbruch einer solchen Krankheit das Ergebnis eines komplexen Wechselspiels von genetischer Disposition und auslösenden Faktoren in der Lebensgeschichte. Der Ausbruch geht gewöhnlich auf eine Schwächung des Immunsystems zurück, wie es während starker Belastungen oder während anderer Erkrankungen der Fall ist. Am negativsten wirken sich schwere Lebenskrisen auf das Immunsystem aus. Sie können das Immunsystem zeitweise lahmlegen, so dass es seiner Funktion, Krebszellen zu erkennen und zu beseitigen, nicht ausreichend nachkommen kann.

Die schwere Lebenskrise im Leben Guido Westerwelles hat nicht unwesentlich mit Angela Merkel zu tun. Westerwelle hatte das Scheitern der Koalition, das Scheitern seiner politischen Karriere als Parteivorsitzender und Vizekanzler und schließlich das bundespolitische Scheitern seiner Partei an der 5%-Hürde und das erstmalige Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag zu verarbeiten. Wie schwer diese Lebenskrise tatsächlich war, wie tief ihn all das getroffen hat, können wir nur erahnen. Natürlich gibt es viele Gründe für das Scheitern, auch viele selbstgemachte Fehler. Und doch ist eines sicher: Ohne Angela Merkel, ihre Partei und ihre Führung in der christlich-liberalen Koalition hätte es dieses Scheitern Westerwelles und seiner Partei so nicht gegeben. Ohne Angela Merkel hätte es auch die tiefe Lebenskrise Guido Westerwelles so nicht gegeben. Die Frage ist müßig und ich werde sie nicht stellen: Die Frage nämlich, ob es ohne diese Koalition und diese Kanzlerin die schwere Erkrankung Westerwelles und seinen frühen Tod gegeben hätte. Wir können es nicht wissen.

Die Kanzlerin hat von alledem nichts anklingen lassen. Wahrscheinlich war es von Beginn an naiv, einen Ausdruck persönlichen Bedauerns, der über die bloße Schicksalshaftigkeit dieses Todes hinaus geht und sich selbst in Frage stellt, gerade von ihr zu erwarten. Ich hätte es formuliert an ihrer Stelle. Aber was heißt das schon...

Freitag, 1. April 2016

Keine Mainzer Ampel!





Warum riskiert die rheinland-pfälzische FDP für ein mehr als fragwürdiges Projekt erneut ihre Glaubwürdigkeit und die parlamentarische Zukunft im Bund? Die Zusammenarbeit von FDP und Grünen war bisher alles andere als erfolgreich: In Brandenburg scheiterte eine Ampelkoalition 1994, in Bremen 1995. In Berlin scheiterten 2001 bereits die Koalitionsverhandlungen. Im Saarland scheiterte 2012 die Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, ebenfalls vorzeitig. Für die FDP bedeutete das Platzen der Koalitionen gewöhnlich das parlamentarische Aus bei den folgenden Landtagswahlen. Auch strategisch betrachtet, wäre mit einem "Mainzer Modell" (wenn es mehr werden würde als eine Totgeburt) kein Blumentopf zu gewinnen: Die Ampel zieht die FDP im Parteienspektrum unausweichlich ins heftig umkämpfte Feld links von der Mitte. Ob sie dort neben CDU, SPD und Grünen längerfristig überleben kann, ist mehr als fraglich. Ihre günstige Wachstumsoption im Feld der rechten Mitte, wo außer CSU und AfD keine Konkurrenz besteht, gibt sie damit auf. Ebenso die Möglichkeit, sich als glaubwürdige und gemäßigte oppositionelle Alternative zum Merkelblock dauerhaft zu etablieren.

Glaubt irgendjemand im Ernst, die Bürger hätten die FDP in den Mainzer Landtag gewählt, um jetzt als Stützrädchen für die abgewählte rotgrüne Landesregierung zu agieren? Wird hier erneut Wählervertrauen und Glaubwürdigkeit zur Disposition gestellt? Die rheinland-pfälzischen Freunde riskieren den Wahlerfolg bei der Bundestagswahl, wenn sie jetzt erneut umfallen. Aufwachen, Volker Wissing, und klar positionieren. In dieser Lage gibt es für die FDP nur die Opposition!

Freitag, 11. März 2016

Zum Aufklärungsportal ZANZU


Regierungsportal fördert Missachtung von Frauen und sexuell motivierte Gewalt!

Welchen Eindruck von unserem Staat und von unserer Gesellschaft müssen Menschen aus extrem konservativen Gesellschaften mit repressiver Sexualmoral eigentlich gewinnen, wenn sie mit dem Regierungsportal ZANZU konfrontiert werden? Als "Gesundheitserziehung" getarnte Tendenzpornografie auf Kosten der Steuerzahler, die spontanen Gelegenheitssex und homosexuellen Analverkehr als in diesem Land üblich und nachahmenswürdig propagiert, ein Regierungsportal, das mit freizügigsten Piktogrammen über Masturbationstechniken und weibliche Genitalien "informiert"? Nun, sie werden uns - völlig zu Recht - für sexualfixiert und moralisch degeneriert halten. Und sie werden sich in ihrer Annahme bestärkt fühlen, dass in dieser sexualbesessenen und moralisch dekadenten Gesellschaft so ziemlich alles möglich und tolerabel ist. Eine Attitüde des "anything goes", der völligen sexuellen Freizügigkeit wird hier propagiert - und lädt zu Missverständnissen förmlich ein: ZANZU fördert somit Missachtung und Erniedrigung von Frauen und befördert auch sexuell motivierte Gewalt!

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Es ist aber ein entscheidender Unterschied, ob man signalisiert, dass man Verhaltensweisen im liberalen Geist toleriert, oder ob man sie wie hier in regierungsnahen Publikationen propagiert und quasi als wünschenswert anpreist.

Wir berücksichtigen einfach nicht, wo diese Menschen herkommen und wie sie geprägt wurden. Die bloße Behandlung dieser Themen im Plauderton wird sie verstören und abschrecken, erst recht die bildliche Darstellung. Machen Sie sich klar, wie unsere Großelterngeneration auf diese Traktate reagiert hätte. Diese Menschen kommen zum beträchtlichen Teil aus archaischen Strukturen mit sehr rigiden Mustern. Sie werden uns einfach nicht verstehen. Und sie werden die Freizügigkeit missverstehen.

Ich denke in der Tat, dass Liberalismus immer wertgebunden sein muss, weil er andernfalls zum werterelativistischen Liberalalla degeneriert. Toleranz bedeutet ja nicht, dass wir auf moralische Wertmaßstäbe verzichten dürfen. Toleranz bezieht sich immer auf Abweichungen von der Norm. Aber wir müssen eine Vorstellung davon behalten, was die Norm ist.

Es muss darum gehen, diese Menschen, die aus dem Mittelalter zu uns kommen, allmählich und behutsam an unsere Vorstellungen zu gewöhnen. Was ZANZU hier leistet, ist moralische Vergewaltigung mit der Brechstange. Es stößt diese Menschen ab. Sie werden uns nicht verstehen. Und die jungen Männer werden die propagierte Libertinage als Einladung zu dekadentem Verhalten missverstehen.

Freitag, 4. März 2016

Welche Freiheit in unserer Zeit?


Bild: "Freiheit" von Markus Kniebes



Freiheit ermöglicht menschliche Selbstentfaltung und schafft so die Grundlagen für gutes Leben. Doch Freiheit bedeutet immer, zwischen Alternativen zu wählen und schafft somit Unsicherheit. Die menschliche Natur aber ist bestrebt, Unsicherheit zu meiden und nach Sicherheit zu streben. Hieraus ergibt sich ein Sog in Richtung eines „freiwilligen Konformismus“ und wohlfahrtsstaatlich organisierten Paternalismus – oder Maternalismus, wie man seit Angela Merkel besser sagt. Aufgabe des Liberalismus in unserer Zeit ist es vor allem, Resilienz zu fördern und einer larmoyanten Angstkultur Impulse des Mutes und des Optimismus entgegenzusetzen.


Mittwoch, 2. März 2016

Gefährliche Bürger in der Philharmonie?




Die Kölner Philharmonie wurde nach Ansicht von Axel Brüggemann zu einem Ventil der "gefährlichen Bürgerlichkeit jener Biedermeier, die nur einen Anlass zur Brandstifterei suchen". Auch Liane Bednarz spricht erneut auch im Zusammenhang mit den Kölner Protesten von "gefährlichen Bürgern".

Ich halte die Verwendung dieser Wortwahl für unangemessen. Was die peinlichen Vorfälle in Köln betrifft, sehe ich zwei relevante Aspekte: Einmal die Verhaltensdisposition einer im 68er Geist sozialisierten Generation, die sich durch geringe Frustrationstoleranz und unmittelbare Unlustäußerung und einem Fehlen bürgerlicher Tugenden wie Respekt, Achtung und Höflichkeit äußert. Wir haben es vor allem mit Rücksichtslosigkeit und schlechtem Benehmen zu tun. Und die gründen in schlechter oder fehlender Erziehung. Diese heutigen Erwachsenen waren Kinder, denen keine Grenzen gesetzt wurden, die rücksichtslos auf Andere ihre Bedürfnisse ausleben durften. Solche gelernten Verhaltensdispositionen bleiben ein Leben lang prägend. In Köln prägten sie eine Unkultur, die nicht zu entschuldigen ist.

Zum anderen sehe ich aber auch eine Tendenz zunehmender Kritikfähigkeit und Konsumentenmündigkeit, die gegen die arrogante Selbstgefälligkeit eines linken öffentlich subventionierten Kulturbetriebs aufbegehrt. Ich meine etwa Entscheidungsprozesse von Kulturinstituten, die häufig völlig an der Nachfragesituation der Bevölkerung vorbei getroffen werden. Der Intendant der Kölner Philharmonie hat etwa angekündigt, Esfahani wieder einzuladen und Reich in Köln erneut spielen zu lassen - völlig unbeeindruckt von Protesten der Bevölkerung. So etwas lassen sich die Leute heute weniger gefallen als früher - insofern ein emanzipativer Prozess, der durchaus zu begrüßen ist - die unflätigen Ausfälle in der Philharmonie allerdings in keiner Weise entschuldigt.

Die "Gefährlichkeit" äußere sich, so Liane Bednarz, vor allem in der Forderung nach Verwendung der deutschen Sprache bei Einführungs-informationen im Konzertsaal. Macht es Menschen zu "gefährlichen Bürgern", die darauf beharren, dass in diesem Land deutsch gesprochen wird? Auch Guido Westerwelle forderte einst, auf Pressekonferenzen müsse deutsch gesprochen werden. Eine zwar peinliche Einlassung, aber sicher kein gefährlicher Bürger. Forderungen nach Verwendung der Landessprache würde man in Frankreich und vielen anderen Ländern ganz selbstverständlich hören. Im Hinblick auf das Kulturniveau ist die Zurückweisung der englischen Sprache sehr bedenklich. Es macht diese Menschen allerdings "nur" zu schlecht erzogenen Kulturbanausen - aber nicht zu "gefährlichen Bürgern".

Dienstag, 23. Februar 2016

Die „gefährlichen Bürger“ zu Grabe tragen!

"Kommunikation" von Melanie Kempa, 2006


Ist es tatsächlich so, dass die "Neue Rechte" die bürgerliche Mitte erobern will? Dass das "Hass- und Wutbürgertum" und die Fremdenfeindlichkeit in der bürgerlichen Mitte angekommen sind, wie so häufig behauptet wird? Ist es tatsächlich so, dass „gefährliche Bürger“ und eine „gefährliche Partei“ die bürgerliche Mitte bedrohen? 

Neurechtes Gedankengut usurpiere die Mitte, dringe viral in sie ein und verändere sie, liest man. Rechtes Denken und rechte Wahrnehmung seien längst in der politischen Mitte angekommen. Ist es aber überhaupt so, dass irgendetwas in der bürgerlichen Mitte ankommt? Oder polarisiert sich die bürgerliche Mitte, entstehen Fliehkräfte und tiefe Gräben? Entsteht eine Art schwarzes Loch dort, wo einmal die bürgerliche Mitte war? Meine Wahrnehmung ist eher, dass man in der Fremd- und Selbstwahrnehmung abdriftet - vorzugsweise nach rechts - und die Gefahr besteht, dass man der bürgerlichen Mitte verloren geht. 

Die große Gefahr besteht heute darin, dass sich Meinung verideologisiert und verabsolutiert: Wenn man der rechten Denkungsart eine antirechte entgegensetzt, die auf ebenso dogmatisch-selbstgefällige Art nur sich selbst akzeptiert und toleriert, entstehen Gräben. Wenn man Denkverbote und Diskursverbote implementiert, erlöschen Kommunikation und das Gemeinsame. Wenn man Andersdenkende ausgrenzt, sie zu „Verbrechern“ abstempelt oder ihnen die Menschlichkeit abspricht, wie es der sächsische Ministerpräsident getan hat, beraubt man sich der gemeinsamen menschlichen Basis, die jede Verständigung trägt. Antidemokratisch ist nicht allein das rechte oder völkische Denken. Antidemokratisch ist die inhärente Abschaffung des Pluralismus, die Neigung, dass man die "Wahrheit" exklusiv bei sich selbst verortet und Handlungen im politischen Umfeld legitimiert sieht. 

Es ist dringend an der Zeit, dass wir die gefährlichen Bürger, die Gutmenschen, die Lügenpresse, die Angst-, Hass- und Wutbürger zu Grabe tragen. Was übrig bleibt, sind Menschen mit unterschiedlichen politischen Zielen und Meinungen, über die Verständigung möglich und ein lösungsorientierter Ausgleich erforderlich ist. Was übrig bleibt, sind Menschen mit Ängsten und berechtigten Lebensinteressen, die gehört und ernst genommen werden wollen. Es ist dringend an der Zeit, dass die Politik ihr Handeln wieder an den Interessen und Bedürfnissen dieser Menschen ausrichtet und dass wieder Politik für die Menschen und nicht gegen sie gemacht wird.

Freitag, 5. Februar 2016

Der Karneval und die Angst


In diesem Jahr regiert die Angst im Karneval. Sie hat es leicht, die Karnevalisten zu beherrschen und die Stimmung zu lähmen. Denn Angst erfordert Kontrolle des Verhaltens – und der Karneval entzieht seine Spontaneität und Lebendigkeit gerade dem Kontrollverlust, dem sich unbeherrschten Hingeben und Treibenlassen, der lasziven Erotik und der ungebändigten Sinnlichkeit. Die Angst definiert enge Grenzen des Verhaltens und der Moral – der Karneval aber lebt von der Entgrenzung der Leidenschaft und der Triebhaftigkeit, der Aufhebung moralischer Normen im gegenseitigen Vertrauen. Das notwendige Vertrauen aber ist längst erodiert, wenn man unter jeder Karnevalsmaske einen maghrebinischen Grabscher und sexuellen Gewalttäter, einen Taschendieb und Räuber oder gar einen Terroristen vermuten muss. Die Angst tötet die Ausschweifung, das Freie und Wilde, das den Karneval ausmacht. Sie verhindert das Spiel mit den anderen Rollen und anderen Identitäten, weil sich der Verängstigte in die eigene Rolle und Identität zurückzieht und sich daran klammert und darin versteckt. Die Angst lähmt die Naivität und offene Ehrlichkeit der Narren, verhindert das Sich-Hingeben und Öffnen, verhindert aber ebenso die gewagte Aggressivität des Erobernden, der sich zu nichts mehr traut. Die eine ist gelähmt, weil sie ständig befürchtet, zum Opfer zu werden – der andere ist gelähmt, weil er ständig befürchtet, zum Täter zu werden. Die Herrschaft der Angst wird zur Dominanz der Kontrolle, die die Narren in Ketten legt und ihre Masken zu ihrer eigenen entpersonalisierten Identität werden lässt.

Dienstag, 2. Februar 2016

Gegen moralischen Rigorismus und Purismus

Es bedrückt mich, wenn ich von sehr geschätzten Fb-Freunden lese, dass sie sich aufgrund unterschiedlicher Ansichten voneinander "entfreunden". Eine gewisse Gereiztheit im Umgang macht sich offenbar breit. Eine zunehmende Intoleranz, einander auch nur zu ertragen, geschweige denn konstruktiv zu debattieren. Wir sind mit der Unkultur von Diskursverweigerung und Säuberung auf einem sehr gefährlichen Weg. Die eigenen Prinzipien hochzuhalten, ist richtig und ehrenwert. Wir müssen aber einem moralischen Purismus entgegenwirken, der zunehmend ausgrenzt. Die Forderung "Versöhnen statt Spalten" hatte selten soviel Berechtigung wie heute, wo tiefe Gräben und Risse entstehen und unsere Gesellschaft droht, auseinanderzubrechen.



Ich erlebe einen zunehmenden Rigorismus in den beherrschenden Debatten, eine zunehmende Intoleranz und Bereitschaft zur Diskursverweigerung, die z.B. der AfD ausgesprochen nützt, weil sie sie zu ausgegrenzten Märtyrern macht. Tendenzen der Säuberung erleben wir auch hier bei Fb, wo munter geblockt und "entfreundet" wird. Doch ja, ich sehe diesen Purismus und Rigorismus - das ist leider kein Pappkamerad.

Gesinnungsethische Maxime etwa in der Flüchtlingsfrage werden verabsolutiert, Ängste tabuisiert. Kürzlich las ich von "irrealen" und "irrationalen" Ängsten. Diese Ängste sind natürlich immer emotional und eben nicht rational. Sie sind aber immer auch real, weil sie in subjektiver Wirklichkeit wurzeln. Ängste nicht ernst zu nehmen oder Menschen aufgrund dieser Ängste dem rechten Rand zuzuschreiben, grenzt diese Menschen aber aus und spaltet die Gesellschaft. Die Tabuisierung betrifft auch politische Maßnahmen im Zusammenhang mit der Reduzierung von Flüchtlingszahlen. So wird einem vorgeworfen, man sei "rechts", wenn man nur den Begriff "Abschreckung" verwendet, was aber nichts anderes bedeutet als Demotivation und negative Anreizpolitik.

Nachvollziehbarkeit von Ängsten etwa ist für mich die hohe Kunst des Psychotherapeuten, aber keine Legitimationsgrundlage für die Angst. Eine subjektive emotionale Wahrnehmung schafft für mich eine subjektive Wirklichkeit, d.h. sie ist auch dann real, wenn sie niemand sonst nachvollziehen kann. Ich denke deshalb auch nicht, dass wir Menschen unter Legitimationsdruck für ihre Ängste bringen dürfen. Aus Sicht des Therapeuten sind Ängste häufig unbegründet - ich darf sie aber dennoch nicht delegitimieren, etwa mit der Begründung, die Person habe sich nicht ausreichend mit Realität auseinandergesetzt oder sei nicht bemüht genug, die Angst zu bewältigen. Eine Angst nicht ernstzunehmen, weil die Person sich gegen "vernünftige Einsichten immunisiert " habe, gründet auf einer Unterstellung und zudem in subjektiver Arroganz. Ich kann einem anderen die Angst nicht durch Argumente ausreden - damit erreiche ich nur Blockade. Ich kann ihm bestenfalls bei der Bewältigung der Angst helfen.

Angst ist eine Emotion - also entzieht sie sich jedes rationalen Zugangs. Es gibt diese argumentative Perspektive bezogen auf die Angst nicht - folglich kann sie auch nicht mit der therapeutischen verwechselt werden. Ich habe lediglich dafür plädiert, real existierende Ängste im Rahmen politischer Betrachtungen ernst zu nehmen.

Nochmal: Es gibt keine nichtgerechtfertigte Angst. Es gibt lebensbehindernde Ängste, die Leidensdruck verursachen und deshalb therapiert gehören. Wer Angst hat, kann damit nicht recht oder unrecht haben. Emotion ist eine Qualität jenseits von Logik und Werturteil. Worum es uns allen gehen sollte, ist die Bewältigung von Angst.

(Eigenbeiträge aus einer Facebook-Debatte)

Der AfD Vorstoß: Kommunikationsdesaster oder gezieltes Hochrisikospiel?


Was trieb eigentlich die AfD-Damen zu ihren unglücklichen Schießbefehl-Äußerungen? Waren es unüberlegte Entgleisungen, ohne Verständnis unserer Rechtsordnung und ohne Gefühl für das Volksempfinden leichtfertig dahingeplappert? War es einfach grottenschlechte Kommunikationsstrategie und Führungsversagen? Oder doch eine gezielt gesetzte Provokation, die die Republik zwar gegen die Partei aufbringt, sie aber damit umso mehr in die Schlagzeilen und ins öffentliche Bewusstsein bringt? Letzteres scheint schwer vorstellbar: Da stieg die Partei dank der Ausgrenzungsunterstützung durch Malu Dreyer, Hannelore Kraft und andere kontinuierlich in den Meinungsumfragen und es schien durchaus realistisch, mit einem 15% Ergebnis in drei Landtagswahlen zu rechnen. Frauke Petry galt zudem als moderate Parteiführerin, die Provokationen rechtspopulistischer Parteivertreter geschickt ausbalancierte. Gerade dieses Wechselspiel zwischen moderatem Charme und gewagter Provokation trug erheblich zum zunehmenden Erfolg der Partei bei. Nun zieht die Parteichefin selbst den Sturm der öffentlichen Entrüstung auf sich. Umfragewerte sind bereits wieder rückläufig. Von 15% redet im Moment niemand mehr. Wo also lag der Sinn – wenn es einen gab? 

Ich bin sicher, Frauke Petry ist viel zu klug, um nicht gewusst zu haben, was sie da in die öffentliche Debatte lanciert. Immerhin hat sie es geschafft, dass das Land über konsequenten Schutz der Grenzen diskutiert. Dass man sich fragt, ob das Unmenschlich-Groteske überhaupt möglich wäre. Dass es nicht möglich ist, dass Polizisten auf unbewaffnete, sie nicht bedrohende Flüchtlinge bei illegalem Grenzübertritt schießen dürfen, muss Petry gewusst haben – und sie hat es auch gewusst. Indem sie das Ultimate zur Diskussion stellt, schafft sie erheblichen Raum für durchaus notwendige und sinnvolle Debatten: Ob wir überhaupt bereit sind, unsere Grenzen effektiv und konsequent zu schützen. Ob wir bereit sind, Entschlossenheit gegenüber denen, die auf gepackten Koffern sitzen, auch zu kommunizieren. Ob wir bereit sind, Flüchtlinge zu demotivieren, sich auf den Weg zu machen – oder zu motivieren, wieder zurückzukehren. Ob wir die Sogwirkung in unser Land durch eine entschlossene Botschaft des „Genug ist genug“ umkehren wollen. Wenn über all das sachlich und konstruktiv debattiert werden würde, hätte das überaus gewagte Risikospiel der AfD-Frauen die beabsichtigte Wirkung erzielt.

Dienstag, 26. Januar 2016

Formen der Angstreaktion auf die Flüchtlingssituation




Ängste, die als Reaktionen auf die Flüchtlingskrise entstehen, sind vielfältig, haben verschiedene Ursachen, wirken auf unterschiedlichen Ebenen und bedürfen daher auch vielfältiger Bewältigungsstrategien. Grob lassen sich drei Angstreaktionen unterscheiden: Angstwahrnehmung als Folge kognitiv-rationaler Analyse, Generalisierte Angst als Ausdruck pessimistischen Lebensgefühls, von Depression und Wahrnehmung von Hilflosigkeit und Kontrollverlust, sowie angstgenerierende Urinstinkte, angeborene Prägungen unserer Entwicklungsgeschichte, die in ihrer Wirkung den Phobien sehr ähnlich sind.

Wenn Denken Angst macht
Die entwicklungsgeschichtlich jüngste Form der Angstreaktion sind Ergebnisse kognitiv-rationaler Analysen. Was uns ängstigt, sind etwa Zahlenwerte, die die Größe des Flüchtlingszustroms bemessen oder das Verhältnis von Migranten zur einheimischen Bevölkerung. Ebenso können geschätzte Folgekosten der Migration oder erwartete Probleme der Integration angstauslösend wirken. Die Reaktion auf kognitive Vorstellungen ist immer emotional: Ein Gefühl macht sich breit, eine Art innere Stimme, die uns sagt: Wir schaffen das nicht, die Zahlen sind nicht zu bewältigen, die Kosten werden zu hoch sein oder Integrationsprobleme wie zunehmende Gewalt in diesem Segment nicht beherrschbar. Anders als bei den anderen Formen der Angst sind diese Reaktionen leicht veränderbar: Günstige Erfahrungswerte lassen uns zu einer veränderten Wahrnehmung gelangen und nehmen uns dann die Angst. Umgekehrt sind wir aber geneigt, ständig Bestätigungen unserer negativen Einschätzungen zu suchen (self-fulfilling-prophecies). Negative Erwartungshaltungen können uns beratungsresistent machen.

Angst als Lebensgefühl
Generalisierte Angst gründet immer in einem negativen Lebensgefühl und steht in enger Beziehung zu Belastungsdepressionen („Burnout“). Entscheidend ist dabei die Wahrnehmung eigener Hilflosigkeit und von Kontrollverlust, ein larmoyantes weinerliches Lebensgefühl und das Bewusstsein, ein Opfer der Umstände zu sein. Dieses Lebensgefühl steht in deutlichem Zusammenhang zum allgemeinen Zeitgeist und zur soziokulturellen Lebenslage. „German Angst“ beschreibt die starke Gesellschaftsgebundenheit dieses Lebensgefühls. Bei der Flüchtlingsangst werden Migranten als unmittelbare Bedrohung der eigenen Lebensverhältnisse, des eigenen Wohlstands und der eigenen Sicherheit wahrgenommen. Menschen erleben diese Bedrohung als von der politischen Lebenswelt vorgegeben und fühlen sich ihr hilflos ausgeliefert und ohne Möglichkeit einer Steuerung und Einflussnahme. Die Wahrnehmung grenzt mitunter ans Paranoide: Ein „Verschwörungskartell“ aus Politik und Medien („Lügenpresse“) bedroht mit ihrer Politik die eigenen Lebensinteressen. Die Schärfe dieser Wahrnehmung steht in unmittelbarem Zusammenhang zur eigenen sozioökonomischen Lebenslage: Je prekärer die eigene Situation, umso schärfer die (durchaus realistisch) eingeschätzte Konkurrenz durch Flüchtlinge und umso geringer die sich selbst zugeschriebene Kontroll- und Steuerungskompetenz. Möglichkeiten der Korrektur und Gegensteuerung sind begrenzt. Der Politik bleibt nur, der wahrgenommenen Konkurrenzsituation durch politische Maßnahmen entgegenzuwirken. Wahrnehmungsveränderungen durch Förderung von Resilienzfaktoren und Schaffung von Bewältigungskompetenz sind möglich, aber sehr zeitaufwändig.

Die Urangst vor dem Fremden
Angstgenerierende Urinstinkte sind tief in unserem evolutionären Erbe verwurzelt. Wir verfügen über potenziell angstauslösende angeborene Schemata. Die bekanntesten Beispiele sind etwa die Schlangen- und Spinnenphobie. Jeder Mensch verfügt über diese angeborenen Schemata – aber nicht jeder Mensch hat Angst vor Schlangen und Spinnen. Entscheidend sind auslösende Erfahrungen in der Vergangenheit, oft frühkindliche Erlebnisse. Negativerfahrungen legen den angeborenen Schalter um – und es kommt zur objektbezogenen Angst, der Phobie. Es gibt angeborene, potenziell angstauslösende Schemata, die Flüchtlinge betreffen. Der Fremde an sich ist ein solcher Topos, insbesondere der männliche Fremde, der die eigenen Frauen bedroht. Besonders bedrohlich wirkt dieser Auslöser, wenn er in einer Gruppe oder gar in großer Zahl auftritt. Wenngleich die Schemata angeboren sind, werden sie durch Lebenserfahrung überformt. Hier ist der persönliche Kontakt zum einzelnen Fremden von entscheidender Bedeutung. Wer Fremde kennenlernt (und schon über positive Erfahrungen verfügt) hat weniger Angst. Gegensteuern kann man generell wie in der Verhaltenstherapie bei Spinnenphobie: Indem man allmähliche angstabbauende Begegnungen schafft. In der Flüchtlingsdebatte könnte das bedeuten: Weg von Massenunterkünften, hin zu dezentraler, bevölkerungsnaher Unterbringung, die Wahrnehmung von Bedrohlichkeit reduziert und Möglichkeiten des Kennenlernens schafft. Zu überdenken ist in dieser Hinsicht auch die Politik des Familiennachzugs, da gut integrierte Männer mit Frauen und Kindern als weniger bedrohlich wahrgenommen werden als reine Männergruppen.

Fazit
Angst ist eine Emotion - also entzieht sie sich jedes rationalen Zugangs. Sämtliche Angstreaktionen wurzeln in unserer menschlichen Natur und sind somit zutiefst menschlich. Wir müssen diese Ängste im politischen Raum ernst nehmen, und zwar aus der Mitte der Gesellschaft heraus ernst nehmen. Wir dürfen diese menschlichen und natürlichen Ängste nicht dem rechten Rand zuschreiben, weil wir so zur Ausgrenzung von Menschen und zur Desintegration von Gesellschaft beitragen. Wir verlieren Menschen für die politische Mitte, wenn wir ihnen das Gefühl geben, dass sie ihre Ängste nur noch bei AfD und Pegida ausdrücken können und scheinbar nur noch dort verstanden werden.

Nachvollziehbarkeit von Ängsten ist für mich die hohe Kunst des Psychotherapeuten, aber keine Legitimationsgrundlage für die Angst. Eine subjektive emotionale Wahrnehmung schafft eine subjektive Wirklichkeit, d.h. sie ist auch dann real, wenn sie niemand sonst nachvollziehen kann. Wir dürfen Menschen nicht unter Legitimationsdruck bringen. Aus Sicht des Therapeuten sind Ängste häufig unbegründet - ich darf sie aber dennoch nicht delegitimieren, etwa mit der Begründung, die Person habe sich nicht ausreichend mit Realität auseinandergesetzt oder sei nicht bemüht genug, die Angst zu bewältigen. Eine Angst nicht ernstzunehmen, weil die Person sich gegen "vernünftige Einsichten immunisiert " habe, gründet auf einer Unterstellung und zudem in subjektiver Arroganz. Ich kann einem anderen die Angst nicht durch Argumente ausreden - damit erreiche ich nur Blockade. Ich kann ihm bestenfalls bei der Bewältigung der Angst helfen.

Es gibt keine nichtgerechtfertigte Angst. Es gibt lebensbehindernde Ängste, die Leidensdruck verursachen und deshalb therapiert gehören. Wer Angst hat, kann damit nicht recht oder unrecht haben. Emotion ist eine Qualität jenseits von Logik und Werturteil. Worum es uns allen gehen sollte, ist die Bewältigung von Angst.