Dienstag, 2. Februar 2016

Gegen moralischen Rigorismus und Purismus

Es bedrückt mich, wenn ich von sehr geschätzten Fb-Freunden lese, dass sie sich aufgrund unterschiedlicher Ansichten voneinander "entfreunden". Eine gewisse Gereiztheit im Umgang macht sich offenbar breit. Eine zunehmende Intoleranz, einander auch nur zu ertragen, geschweige denn konstruktiv zu debattieren. Wir sind mit der Unkultur von Diskursverweigerung und Säuberung auf einem sehr gefährlichen Weg. Die eigenen Prinzipien hochzuhalten, ist richtig und ehrenwert. Wir müssen aber einem moralischen Purismus entgegenwirken, der zunehmend ausgrenzt. Die Forderung "Versöhnen statt Spalten" hatte selten soviel Berechtigung wie heute, wo tiefe Gräben und Risse entstehen und unsere Gesellschaft droht, auseinanderzubrechen.



Ich erlebe einen zunehmenden Rigorismus in den beherrschenden Debatten, eine zunehmende Intoleranz und Bereitschaft zur Diskursverweigerung, die z.B. der AfD ausgesprochen nützt, weil sie sie zu ausgegrenzten Märtyrern macht. Tendenzen der Säuberung erleben wir auch hier bei Fb, wo munter geblockt und "entfreundet" wird. Doch ja, ich sehe diesen Purismus und Rigorismus - das ist leider kein Pappkamerad.

Gesinnungsethische Maxime etwa in der Flüchtlingsfrage werden verabsolutiert, Ängste tabuisiert. Kürzlich las ich von "irrealen" und "irrationalen" Ängsten. Diese Ängste sind natürlich immer emotional und eben nicht rational. Sie sind aber immer auch real, weil sie in subjektiver Wirklichkeit wurzeln. Ängste nicht ernst zu nehmen oder Menschen aufgrund dieser Ängste dem rechten Rand zuzuschreiben, grenzt diese Menschen aber aus und spaltet die Gesellschaft. Die Tabuisierung betrifft auch politische Maßnahmen im Zusammenhang mit der Reduzierung von Flüchtlingszahlen. So wird einem vorgeworfen, man sei "rechts", wenn man nur den Begriff "Abschreckung" verwendet, was aber nichts anderes bedeutet als Demotivation und negative Anreizpolitik.

Nachvollziehbarkeit von Ängsten etwa ist für mich die hohe Kunst des Psychotherapeuten, aber keine Legitimationsgrundlage für die Angst. Eine subjektive emotionale Wahrnehmung schafft für mich eine subjektive Wirklichkeit, d.h. sie ist auch dann real, wenn sie niemand sonst nachvollziehen kann. Ich denke deshalb auch nicht, dass wir Menschen unter Legitimationsdruck für ihre Ängste bringen dürfen. Aus Sicht des Therapeuten sind Ängste häufig unbegründet - ich darf sie aber dennoch nicht delegitimieren, etwa mit der Begründung, die Person habe sich nicht ausreichend mit Realität auseinandergesetzt oder sei nicht bemüht genug, die Angst zu bewältigen. Eine Angst nicht ernstzunehmen, weil die Person sich gegen "vernünftige Einsichten immunisiert " habe, gründet auf einer Unterstellung und zudem in subjektiver Arroganz. Ich kann einem anderen die Angst nicht durch Argumente ausreden - damit erreiche ich nur Blockade. Ich kann ihm bestenfalls bei der Bewältigung der Angst helfen.

Angst ist eine Emotion - also entzieht sie sich jedes rationalen Zugangs. Es gibt diese argumentative Perspektive bezogen auf die Angst nicht - folglich kann sie auch nicht mit der therapeutischen verwechselt werden. Ich habe lediglich dafür plädiert, real existierende Ängste im Rahmen politischer Betrachtungen ernst zu nehmen.

Nochmal: Es gibt keine nichtgerechtfertigte Angst. Es gibt lebensbehindernde Ängste, die Leidensdruck verursachen und deshalb therapiert gehören. Wer Angst hat, kann damit nicht recht oder unrecht haben. Emotion ist eine Qualität jenseits von Logik und Werturteil. Worum es uns allen gehen sollte, ist die Bewältigung von Angst.

(Eigenbeiträge aus einer Facebook-Debatte)

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