Freitag, 5. Februar 2016

Der Karneval und die Angst


In diesem Jahr regiert die Angst im Karneval. Sie hat es leicht, die Karnevalisten zu beherrschen und die Stimmung zu lähmen. Denn Angst erfordert Kontrolle des Verhaltens – und der Karneval entzieht seine Spontaneität und Lebendigkeit gerade dem Kontrollverlust, dem sich unbeherrschten Hingeben und Treibenlassen, der lasziven Erotik und der ungebändigten Sinnlichkeit. Die Angst definiert enge Grenzen des Verhaltens und der Moral – der Karneval aber lebt von der Entgrenzung der Leidenschaft und der Triebhaftigkeit, der Aufhebung moralischer Normen im gegenseitigen Vertrauen. Das notwendige Vertrauen aber ist längst erodiert, wenn man unter jeder Karnevalsmaske einen maghrebinischen Grabscher und sexuellen Gewalttäter, einen Taschendieb und Räuber oder gar einen Terroristen vermuten muss. Die Angst tötet die Ausschweifung, das Freie und Wilde, das den Karneval ausmacht. Sie verhindert das Spiel mit den anderen Rollen und anderen Identitäten, weil sich der Verängstigte in die eigene Rolle und Identität zurückzieht und sich daran klammert und darin versteckt. Die Angst lähmt die Naivität und offene Ehrlichkeit der Narren, verhindert das Sich-Hingeben und Öffnen, verhindert aber ebenso die gewagte Aggressivität des Erobernden, der sich zu nichts mehr traut. Die eine ist gelähmt, weil sie ständig befürchtet, zum Opfer zu werden – der andere ist gelähmt, weil er ständig befürchtet, zum Täter zu werden. Die Herrschaft der Angst wird zur Dominanz der Kontrolle, die die Narren in Ketten legt und ihre Masken zu ihrer eigenen entpersonalisierten Identität werden lässt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen