Samstag, 27. August 2016
Der gesunde Menschenverstand
So eine schlechte Beurteilung hat er nicht verdient, unser "gesunder Menschenverstand". Mit Verstand, also dem Kognitiven, hat er ja auch nicht viel zu tun. Er ist eher unser emotionales Bauchgefühl, ein Produkt unserer limbischen Gehirnstrukturen, und ein Ergebnis unserer langen psychischen Evolution, der erfolgreichen Lebensbewältigung unzähliger Generationen. Wir sind oft nicht schlecht beraten, wenn wir der gewaltigen stammesgeschichtlichen Lebenserfahrung von Amygdala und Hippocampus vertrauen, über die unser mitunter eitler und selbstgefälliger präfrontaler Cortex eben noch nicht verfügt. Eine wertvolle Orientierung im Chaos des Lebens bieten uns diese Urinstinkte allemal - und wir können sicher sein, dass zumindest die grobe Richtung stimmt, wenn uns der "gesunde Menschenverstand" den Weg weist.
Diese Instinkte oder auch die Intuition seien aber nicht gemeint, wenn in einer Diskussion dem "gesunden Menschenverstand" gehuldigt werde, meint Heinrich Schmitz. (http://diekolumnisten.de/2016/08/20/gesunder-menschenverstand-ach-was/). Natürlich meint der "gesunde Menschenverstand" genau das. In der Flüchtlingsfrage etwa warnt uns die Amygdala, sprich unser Bauchgefühl, vor der Überfremdung: Der Zustrom junger Männer aus einem fremden Kulturkreis - berechtigt oder nicht als unkontrolliert und außer Kontrolle geraten wahrgenommen - ist furchtbesetzt und drängt uns zu Abwehrreaktionen. Unser Neocortex, besonders der orbitofrontale Teil des präfrontalen Cortex, mag uns einflüstern, dass es gute rationale Gründe gibt, viele Flüchtlinge aufzunehmen - aber die Furcht prägt unser Verhalten viel wirkungsvoller und wird von uns scheinrationalisiert, wenn wir uns auf den "gesunden Menschenverstand" oder das "gesunde Volksempfinden" berufen. Beides ist nichts anderes als emotionale Reaktion - vor allem Angst - von unserem unterbewussten evolutionären Erbe wirkungsmächtig eingeflüstert.
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