Donnerstag, 13. August 2015

Welcher Islam gehört zu Deutschland?



Ich habe den gestrigen schönen Frühlingstag zu einem ausgiebigen Spaziergang entlang der Sieg genutzt (Für Nichtortskundige: Die Sieg ist ein Nebenfluss des Rheins und die nördliche Grenze des Westerwalds). An der Sieg leben Nutrias. Das sind aus Südamerika stammende bibergroße Nagetiere aus der Familie der Stachelratten (Echimyidae), die einzige wasserlebende Gattung dieser Familie. Nutrias sind etwas größer als die verwandten Bisamratten, die ebenfalls ursprünglich aus Amerika stammen.
In strahlender Frühlingssonne konnte ich die tagaktiven Nutrias wieder gut beobachten. Schwimmend, auf den naturbelassenen Wiesen am Fluss, in ihren Bauten am Ufer verschwindend. Es sind attraktive Tiere, an deren Anblick sich Spaziergänger an der Sieg längst gewöhnt haben. Dabei waren sie eben nicht immer da: Unsere Nutrias sind Nachfahren von entlaufenen Tieren aus Pelztierfarmen. Seit der Nachkriegszeit leben sie nachgewiesen an der Sieg.

Während ich am Ufer saß und die Nutrias beobachtete, ging mir ständig dieser Satz durch den Kopf, über den ich in den letzten Tagen mehrfach gestolpert war, oder besser, nicht über den Satz selber, sondern über die aufgeregten Reaktionen darauf. Christian Wulffs Satz, den auch Kanzlerin Merkel aufgegriffen hatte: Der Islam gehört zu Deutschland.
 Ich hatte die Aufregung darüber nie wirklich verstanden. Allerdings hatte ich auch nicht intensiv darüber nachgedacht. Gehört der Islam zu Deutschland? Die Antwort auf die Frage schien mir so offensichtlich banal, wie die Frage, ob Straßenlaternen zu Deutschland gehören. Man muss nur auf die Straße gehen, dann begegnet man Muslimen, sieht Moscheen. In den Medien ist der Islam allgegenwärtig. Selbstverständlich, der Islam gehört zu Deutschland.
Ganz so banal konnte dieser Satz aber nicht gemeint sein. Sonst hätte er nicht solch heftige Reaktionen hervorgerufen.

Gehören Nutrias, die Einwanderer aus Südamerika, zu Deutschland? Oder Waschbären, die ebenfalls amerikanischstämmige Immigranten sind? Auch diese Fragen scheinen völlig banal. Eine Waschbärin hat sich auf dem Dachboden unseres Gartenhauses eingerichtet. Nutrias tummeln sich vor meinen Augen in der Sieg. Natürlich gehören diese Tiere heute zu Deutschland. Früher gab es sie nicht, heute schon. Also gehören sie dazu.

Wenn ich die Frage stelle, ob Nutrias zu Deutschland gehören, ist die Frage aber eigentlich nicht die nach der physischen Existenz, sondern eher die nach der Berechtigung ihres Daseins. Die Frage ist also eigentlich: Sollten Nutrias dazugehören? Sollten sie da sein?
Nicht wenige Menschen stellen das Existenzrecht von Neozoen und Neophyten, von eingebürgerten Tieren und Pflanzen, in Frage. Häufig wird dann ökologisch argumentiert: Die Neubürger störten das ökologische Gleichgewicht und verdrängten „einheimische“ Arten, was sie ohne Zweifel mitunter tun. Dahinter steht dann immer eine statische Vorstellung von Lebensgemeinschaften: Die Alteingesessenen haben eine Lebensberechtigung, die Neubürger gelten als Störfall, als Bedrohung. Diese Menschen glauben an eine ewiggültige Vorstellung von „deutschem“ Wald und „deutscher“ Flur. Arten, die zu Goethes Lebzeiten schon hier waren, gehören dazu. Arten, die später gekommen sind, nicht.
Dann gibt es Menschen wie mich, für die Lebensgemeinschaften dynamisch sind, wie die Evolution selbst ständig Veränderungen unterworfen. Neuankömmlinge gelten als Bereicherung, selbst dann, wenn sie alteingesessene Arten verdrängen. Arten haben allein durch ihr Dasein eine Lebensberechtigung erworben. Für uns gehören potenziell selbst Pantherkatzen zur einheimischen Fauna. Nicht nur im Zoo. Früher lebten Säbelzahntiger und Höhlenlöwen dort, wo heute Mitteleuropa ist. Sie sind nur zeitweilig verschwunden…

Zurück zum Islam. Eigentlich muss die Aufregung auch hier um die Frage kreisen, ob der Islam zu Deutschland gehören soll, also um die Frage des Existenzrechts dieser Religion in unserem Land. Leute mit der Vorstellung einer ewiggültigen Goethezeitfauna werden sicher antworten: Keinesfalls. Deutschland ist ein christlich-jüdisch geprägtes Abendland. Also kann der Islam keinesfalls zu unserem Land gehören. Liberale wie ich werden wiederum das Existenzrecht aus dem bloßen Dasein ableiten und die neue Religion und die Menschen, die sie leben, als Bereicherung empfinden.
Doch auch diese Antworten greifen zu kurz. In unserem freiheitlich-demokratischen Land müsste leicht eine Verständigung darüber möglich sein, dass die Religion von 4,3 Millionen Bürgern moslemischen Glaubens, also von deutlich über fünf Prozent der Bevölkerung „dazugehören“ muss. Woran also entzündet sich der Unmut?

Es geht nicht, kann nicht gehen, um den Islam an sich. Natürlich muss der Islam an sich zu unserem Land gehören. Niemand, ausgenommen einige ewiggestrige Goethezeitfaunisten, werden das in Abrede stellen.
Die Frage macht aber Sinn, nicht ob, sondern welcher Islam zu Deutschland gehören soll. Ein fundamentalistischer salafistischer Islam, der grundlegende Vorstellungen von Humanität durch barbarische Rituale in Frage stellt und den viele als Bedrohung empfinden? Ein konservativer, anatolischer Islam, der das Selbstbestimmungsrecht von Frauen leugnet und kaum mit unserer freiheitlichen Ordnung kompatibel erscheint? Oder ein neuer, westlicher, spezifisch deutscher Islam, der fest auf der Basis freiheitlicher Grundwerte wie Toleranz, Achtung der Menschenwürde und Emanzipation beruht?
Ich denke, nur letzteres können wir wollen, müssen wir wollen. Nur diese Form des Islam wird auf breite Zustimmung in der Bevölkerung treffen. Ein spezifisch deutscher, westlicher und freiheitlicher Islam auf dem Boden unserer Verfassung verankert, ist eine Bereicherung für unser Land, gehört zu Deutschland, muss zu Deutschland gehören. Ohne Wenn und Aber.
Ebenso wie meine Waschbärin und die Nutrias an der Sieg.

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