Samstag, 8. August 2015

Angie - Das Anxiolytikum im Kanzleramt


(Mai 2015)

Angela Merkel ist die beliebteste Besetzung des Kanzleramts der Bundesrepublik Deutschland. Nie zuvor war ein Kanzler über so lange Zeiträume so beliebt wie sie. Seit endlosen Zeiten führt sie das Beliebtheitsranking des ZDF-Politbarometers an. Keinem Kanzler zuvor war das gelungen. Gleichzeitig gab es noch nie einen Kanzler, den man im Hinblick auf seine politische Agenda so schlecht einschätzen konnte wie Angela Merkel. Man weiß nicht recht, wo sie hin will und wofür sie steht. In dieser Hinsicht hat sie viel mit William Jefferson Clinton gemeinsam, dem „Master of political flip-flopping“, der seine politischen Ziele nach Meinungsumfragen ausrichtete und abschätzig „Slick Willie“ genannt wurde. Dennoch war Bill Clinton – wie Angela Merkel – äußerst beliebt.

Sexuelle Eskapaden eines Bill Clinton erleben wir bei Angela Merkel allerdings nicht. Diskussionen über Spermaflecken auf der Hose haben wir bei Angie nun wirklich nicht zu befürchten, stattdessen beschäftigt ihre stereotype Handhaltung – die Raute. Wie unschuldig und harmlos, wie vollständig unprivat im Verhältnis zum schlimmen Bill. Angela, die Pfarrerstochter, ist vollkommen öffentlich. Wenn sie ihren Ehemann überhaupt mal vorzeigt, ist er unscheinbar blass, nichtssagend unpretentiös.

Warum ist Angela Merkel so beliebt? Wofür liebt man sie eigentlich? Ihre politischen Erfolge sind mehr als bescheiden, wenn man sie mit denen der großen Bundeskanzler vergleicht. Und selbst gemessen an Ludwig Erhard, dem vielleicht glücklosesten der Nachkriegskanzler, ist die Bilanz äußerst dürftig. Selbst Merkels größte Stunde, als sie am 8. Oktober 2008 inmitten der Finanzkrise gemeinsam mit Finanzminister Steinbrück eine Garantieerklärung für die Spareinlagen der Deutschen abgab, war, wie wir heute wissen, diese Erklärung nichts als ein gewagter Bluff. Immerhin, der Bluff wirkte – und hat das Land vor Schlimmerem bewahrt.

Über herausragende persönliche Qualitäten scheint Merkel auch nicht zu verfügen. Man denke nur an die gewissenlose Art, in der sie, sehr zum Schaden des Landes – und zum noch größeren Schaden ihrer eigenen Partei – neben etlichen anderen Friedrich Merz und Jürgen Rüttgers hinweggeräumt hat. Die „schwarze Witwe“ ist ein jüngst erschienener Buchtitel, überaus treffend, wie ich finde. Und über Guido Westerwelle und Philipp Rösler, ihre beiden Vizekanzler der schwarzgelben Koalition, redet heute kaum noch jemand. Dass sie in der Versenkung verschwanden, war nicht zuletzt Merkels „Verdienst“.

Dass man ihre dürftigen Erfolge so wenig wahr- und ihr so wenig übelnimmt, hat sicher damit zu tun, dass man ohnehin nicht weiß, wofür sie stand und wo sie mit Deutschland hinwollte. Wer keine politischen Ziele propagiert, kann auch keine Ziele verfehlen. Wer keine Ziele verfehlt, scheint erfolgreich, auch wenn er wenig bis gar nichts erreicht. Angela Merkel, die nebulöse Teflonkanzlerin, ist die Antipode zu Franz-Josef Strauß, diesem knorrigen, eigenständigen Typen voller Charakter, den man lieben und hassen konnte, an dem man sich als Liberaler so heftig und leidenschaftlich reiben konnte. Was für ein großartiger Kanzler hätte er werden können – und großartig vor allem deshalb, weil so grundverschieden von Angela Merkel.

Die einzige Erklärung, die für Merkels Beliebtheit bleibt, ist ihre psychotherapeutische Wirkung. „Mutti Merkel“ spendet uns Deutschen Sicherheit und Geborgenheit, betäubt die allgegenwärtigen Verlustängste, lullt uns ein, singt uns Schlafliedchen. Wie eine Schlaftablette am Abend beseitigt sie die Sorgen und alles um uns herum ist wohltuend friedlich und angenehm warm. Angie lieben wir vor allem als Kuschelkanzlerin, als Super-Nanny, die aus dem Paternalismus vergangener Tage einen Maternalismus gemacht hat. Wer will diese Wohlfühlmutti schon abwählen? Am liebsten wäre uns, wenn wir sie noch als Wohlfühlomi erleben dürften...

Dass in diesem Wohlfühlnebel unsere Freiheit schwindet, wir infantilisieren, verkindlichen, unsere Reife, unsere Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit schwindet, stört da wenig. Dass sich eine trübe Wolke aus Apathie und ein Spinnennetz aus Mainstreamverfangenheit und Political Correctness-Gläubigkeit über uns gelegt hat, die unsere Kräfte lähmen, unsere Entwicklung und Entfaltung hemmen, nehmen wir kaum noch wahr. Warum den schönen Schein des Wohlfühldusels zerstören? Angela Merkel bedient unsere tief verwurzelten Instinkte. Wir fühlen uns wohl bei ihr und sicher. Und dafür lieben wir sie.

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