Vom Trauma
Vor einigen Wochen schrieb jemand im internen Teil von „Meine
Freiheit“: “Wir haben uns nun genug mit uns selbst beschäftigt. Macht
endlich wieder Politik.”
Ich sah das nicht so und schrieb: „Wir haben uns noch nicht genug mit
uns selbst beschäftigt. Das parlamentarische Aus ist ein liberales
Trauma. Wir haben dieses Trauma noch nicht bewältigt, können noch nicht
benennen, was die Ursachen waren, haben die Ängste nicht verarbeitet,
dass das Misstrauen und der Bedeutungsverlust andauern.
Wir befinden uns noch im Zustand der Identitätsdiffusion. Wir wissen
noch nicht, wer wir sind, was wir wollen und was wir den Wählern
anzubieten haben. Wir brauchen darüber aber absolute Klarheit. Wir
müssen unsere Fehler aufarbeiten, uns aber auch klarmachen, wo wir
schuldlos sind, wo andere uns geschadet haben: die Kanzlerin, der
Koalitionspartner, die Medien.
Wir brauchen diese Zeit der Ruhe, des Selbstbewusstwerdens, der
Selbstfindung. Wir müssen Vergangenheit bewältigen und Zukunft planen.
Schonungslos aufarbeiten und benennen, was misslang, uns auch
rückversichern, was erfolgreich war. Es geht nicht um den Relaunch einer
Marke, es geht um die Rückgewinnung unserer Identität, die
Rückeroberung von liberalem Selbstbewusstsein und eigener
Glaubwürdigkeit. Erst wenn wir dies gefunden haben, können wir es wieder
erfolgreich nach außen tragen.
Lassen Sie uns die Zeit!“
So schrieb ich damals. Wie steht es heute um unsere Traumaverarbeitung? Um unsere Selbstfindung?
Das Trauma scheint weitgehend verarbeitet. Die Partei unter neuer
Führung hat eine neue Parteifarbe, ein neues Logo, ein neues Image,
neuen Mut. Bald wird sie sich auch mit neuem Leitbild und programmatisch
neu ausrichten.
Allerdings, die Grundangst bleibt: Wird der Wähler die neue Partei
annehmen? Wird sie in der verschärften Konkurrenzsituation bestehen
können? Und, wer sind wir Liberale, oder, wie wir uns neuerdings betont
nennen: Die Freien Demokraten, 2015?
Auf die Frage, so scheint es, steht die endgültige Antwort noch aus.
Von neuer Identität
Nicht nur Frau Mohringer räumt Regale aus und ein; auch ich tue das
von Zeit zu Zeit. Vor ein paar Tagen fiel mir dabei alte Wahlwerbung aus
den späten Siebzigern in die Hände. Ich war damals gerade in die Partei
eingetreten, Genscher war Parteichef und die Partei liberales Korrektiv
in der Koalition mit den Sozialdemokraten. „Politik für die Mitte“ war
damals das Schlagwort. Im Wahlkampf forderten wir: „Macht die Mitte
stark!“
Das parteipolitische Bonn war damals einfach konstruiert: Die Grünen
gab es noch nicht. Links standen die Sozialdemokraten, rechts die
Christdemokraten. Extremisten auf beiden Rändern waren unbedeutend und
nicht im Parlament. Und es gab uns. Rechts von den Sozis und links von
der Union. In der Mitte also.
Sind wir heute noch die Mitte? Die gefühlte Mitte vielleicht, aber
sicher nicht mehr die Mitte zwischen CDU/CSU und der SPD. Früher, in
Merkels Koalition, wurden wir nicht selten als die Rechte im Parlament
wahrgenommen, insbesondere von Grünen und der Linkspartei. Schließlich
saßen wir auch ganz rechts im Parlament. Rechts von der Union. Heute
sehen uns die Rechtspopulisten der AfD als eine gemäßigte Linkspartei,
nicht ganz so links wie Grüne und Sozialdemokraten. Wo also steht die
FDP 2015? Rechts, links, oder nach wie vor in der Mitte?
Ich würde sagen: Nichts von alledem.
In ihrer frühen Phase haben die Grünen sich mal so selbstbestimmt:
„Nicht links, nicht rechts, sondern vorn“. Auf die Grünen hat diese
Einordnung nie gepasst, fand ich. Einige wenige Grüne waren rechts am
Anfang. Die allermeisten waren links. Und das sind sie eigentlich immer
noch.
Vorn, fand ich, waren wir. Die Leistungselite, die Avantgarde. Motor
des wissenschaftlichen Fortschritts, Anwälte neuer Technologien, der
Bildung, gesellschaftlicher Befreiungsbewegungen. Vorn sind wir
eigentlich immer noch. Wir stehen gegen alle Widerstände für ein
gemeinsames Europa, für TTIP, für offenen, undogmatischen Umgang mit
Gentechnik und Reproduktionstechnologie. Wir sehen die Chancen und die
Möglichkeiten. Wir sind nach wie vor die Avantgarde des Fortschritts und
des sozialen Wandels.
Aber da ist noch mehr neuerdings. Wenn wir uns die deutsche
Parteienlandschaft als Gemälde vorstellen, sind wir nicht nur als
Avantgarde in den Vordergrund gemalt, so wie die barbusige Marianne mit
der Trikolore die Franzosen in „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugene
Delacroix anführt. Es ist eher so, als ob Marianne das Bild verließe,
auf uns zustürme, uns bewege und mitreiße.
Die deutschen Parteien erscheinen bildhaft statisch, wie von
Delacroix gemalt. In dynamischer Pose, aber eingefroren. Man kann ihre
Dynamik ahnen, aber man spürt sie nicht. Das Bild wirkt in seiner
Gesamtheit dem Leben nachempfunden – und doch leblos.
Anders die kleine neue FDP. Wie Marianne mit der Fahne stürmt sie uns
entgegen und reißt uns mit: Die Animations- und Motivationspartei, die
Optimismus und Mut generiert, Kreativität und Gestaltung inspiriert.
Menschen für Freisinn begeistert, ihre Entfaltungspotenziale anregt und
Gesellschaft zum Leben erweckt.
Ist das unsere neue Identität? Liegt sie nicht vor allem in der
Mitte, oder vorn? Sondern in der Bewegung, der Kraft der Begeisterung?
Wir setzen auf menschliche Möglichkeiten, auf Optimismus und Mut. Wir
setzen als Animations- und Motivationspartei die Kreativgesellschaft in
Bewegung!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen