Samstag, 8. August 2015

Freiheitlicher Humanismus und humanistischer Liberalismus - zwei sinnvolle Begriffe?



von Ralph Wallrabenstein

Was ist Humanismus? Den verschiedenen Strömungen des Humanismus ist ein menschenfreundliches und optimistisches Menschenbild zu eigen, das davon ausgeht, menschliches Leben verbessern zu können. Grundlage humanistischer Konzeptionen ist ein Gesellschaftsmodell, das Menschen die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung garantiert. Damit verbindet sich Kritik an bestehenden politischen und sozioökonomischen Verhältnissen, die aus humanistischer Sicht diesem Ziel entgegenstehen. Zentraler Kernbestandteil jeder humanistischen Konzeption sind Bildung und Aufklärung, die menschliche Emanzipation und die Entfaltung der reifen, freien, verantwortlichen Persönlichkeit anstreben.

Und was ist Liberalismus? Der Liberalismus ist eine politische und sozialphilosophische Bewegung, die eine freiheitliche politische, ökonomische und soziale Ordnung anstrebt. Leitziel des Liberalismus ist die Freiheit des Individuums gegenüber staatlichen und nichtstaatlichen Machtapparaten. Neben dem Konservatismus und dem Sozialismus wird er zu den drei großen politischen Ideologien gezählt, die sich im 18. und 19. Jahrhundert in Europa herausgebildet haben. Die individuelle persönliche Freiheit ist nach liberaler Überzeugung die Grundnorm einer jeden menschlichen Gesellschaft, auf die hin Staat und Gesellschaft ihre politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung auszurichten haben. Dabei wird unter Freiheit zunächst vor allem die Abwesenheit jeglicher Gewalt und jedes Zwangs verstanden, insbesondere von staatlicher Seite. In einem engeren Sinne liberalistischer Positionen beschränkt sich die Rolle des Staates auf den konkreten Schutz der Freiheit der Individuen und der die Freiheit garantierenden Rechtsordnung.

Freiheit bedeutet nach liberalem Verständnis jedoch nicht nur „Freiheit von“, sondern vor allem auch „Freiheit zu“, also nicht nur Abwesenheit von staatlichem und gesellschaftlichem Zwang, sondern auch die Befähigung zu einem selbstbestimmten und würdevollen Leben in Verantwortung. Verantwortung für sich selbst und für andere ist der Kernbestandteil jeder liberalen Botschaft: Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht möglich.

Humanismus und Liberalismus, so verstanden, zielen auf dasselbe ab: Basierend auf der Grundannahme, dass der Mensch sich in Freiheit am besten und wirkungsvollsten zu einer verantwortlichen, reifen Persönlichkeit entfalten kann, die der menschlichen Natur entspricht, streben sie eine Veränderung staatlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse an, die dem Leben in Freiheit, Verantwortung und menschlicher Würde besser entspricht. Zentrales Element dieses freiheitlich-humanistischen Anspruchs ist die aufklärerische Bildung.

So verstanden, ist wahrer Liberalismus immer humanistisch geprägt, während andererseits wahrer Humanismus immer freiheitlich geprägt ist. Ein antihumanistischer Liberalismus ist folglich ebenso denkunmöglich, wie ein antifreiheitlicher Humanismus. Humanismus und Liberalismus bedingen einander. Sie sind wie zwei Seiten derselben Medaille.

Macht es deshalb Sinn, von Freiheitlichem Humanismus zu sprechen, wenn es einen unfreiheitlichen Humanismus eigentlich nicht gibt? Macht es Sinn, von Humanistischem Liberalismus zu sprechen, wenn es einen antihumanistischen Liberalismus eigentlich nicht gibt? Beide Begriffe wirken redundant, etwa wie „Trächtige Schwangerschaft“. Sollten sie deshalb vermieden werden?
Ich denke, sie sind solange sinnvoll und auch notwendig, wie es nicht unerhebliche Strömungen gibt, die einen Liberalismus vertreten, der antihumanistisch geprägt ist und menschliche Würde und sozialen Zusammenhalt nicht ausreichend respektiert. Sie sind ebenfalls solange sinnvoll und auch notwendig, wie es nicht unerhebliche Strömungen gibt, die einen unfreiheitlichen Humanismus vertreten, der mehr auf den Staat und das Kollektiv abzielt, als auf das Individuum, und der eher an Gesetze und staatliche Reglementierung denkt, als an den einzelnen, eigenverantwortlichen Bürger.
Solange es diese Positionen gibt, denke ich, kann es nicht schaden, sich als humanistischer Liberaler zu bezeichnen und als freiheitlicher Humanist. Selbst, wenn man das Gefühl hat, die Begriffe klingen wie „eine trächtige Schwangere“…

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