Freitag, 21. August 2015

Erziehung bleibt Elternrecht und Elternpflicht!






Das Vorschulalter ist für die Entwicklung der Persönlichkeit von herausragender Bedeutung. Der Bildungsforscher Klaus Hurrelmann fordert deshalb in einem Beitrag im neuen „liberal“-Magazin, in dieser sensiblen Phase den Einfluss des Staates auf die Kindererziehung massiv auszuweiten. Erst staatlicher Zugriff stelle Chancengerechtigkeit her, so Hurrelmann. Viele Kinder seien pädagogischer Unkenntnis und Mangelbereitschaft ihrer Eltern „auf Gedeih und Verderb“ ausgeliefert, erhielten in ihren Familien nicht die Anregungen und Unterstützungen, die sie für ihre körperliche, psychische, sprachliche, emotionale und intellektuelle Entwicklung unbedingt benötigten. Für sie seien staatliche Bildungseinrichtungen „überlebenswichtig“. Ohne sie fielen sie frühzeitig zurück und seien nicht in der Lage, den Anforderungen des gesellschaftlichen Lebens gerecht zu werden. Hurrelmann fordert deshalb einen möglichst hohen Anteil von Kindern in den vorschulischen Bildungseinrichtungen und einen möglichst langen Aufenthalt der Kinder in diesen Einrichtungen bei „intensiver Abstimmung der Erziehungsimpulse zwischen Elternhaus und Einrichtung“. Es sei falsch, Eltern die „absolute Monopolstellung bei der Erziehung, Pflege und Bildung der Kinder einzuräumen. Kurz gesagt fordert „Bildungsexperte“ Hurrelmann: Viel mehr Staat in der Kindererziehung.

Ich frage mich, was dieser Artikel überhaupt in einem liberalen Debattenmagazin zu suchen hat. Vielleicht war beabsichtigt, eine heftige liberale Immunreaktion hervorzurufen, denn nichts an Hurrelmanns Forderung ist liberal. Dem Liberalen stellen sich die Nackenhaare auf. Tatsächlich bedeutet Hurrelmanns „intensive Abstimmung“ nichts anderes, als das der Staat bei elterlicher Erziehung maßgeblich und überall mitbestimmt – von vorne bis hinten.

In unserem Grundgesetz heißt es in Artikel 6: „Erziehung und Pflege der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben dies in weiser Einsicht nach den grauenhaften Erfahrungen mit dem totalitären nationalsozialistischen Regime, das die Kindererziehung vollständig an sich gerissen hatte, so formuliert. Das war ausgesprochen liberal, denn es setzte ein hohes Maß an Vertrauen in die pädagogischen Fähigkeiten und in die Bereitschaft der Menschen. Es war aber auch deshalb liberal, weil es ein naturgegebenes Recht und eine naturgegebene Pflicht definierte, die sich aus dem Elternsein zwangsläufig ergibt.

Machen wir uns nichts vor: Staatliche Umerziehung und die mit ihr einhergehende Reifedegeneration und Erosion von Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit sowie die Auflösung solider traditioneller Familienstrukturen haben dazu geführt, dass viele Eltern den im Grundgesetz definierten Rechten und Pflichten bestenfalls noch rudimentär nachkommen und aus verschiedenenen Gründen auch gar nicht mehr in der Lage sind, dies leisten zu können. Für diese Kinder muss adäquate öffentliche Ersatzbetreuung sichergestellt werden. Als Liberale müssen wir aber daran festhalten, dass viele Eltern noch sehr wohl sowohl bereit als auch in der Lage sind, ihre Kinder entwicklungsgerecht zu fördern und zu erziehen. Wir müssen einerseits ihr Recht mit Zähnen und Klauen verteidigen, dies tun zu dürfen, als auch den unumkehrbaren Anspruch aufrechterhalten, sie niemals aus dieser elterlichen Verantwortung zu entlassen. Alles andere wäre zutiefst unliberal. Viele von uns sind noch weitgehend im privaten familiären Rahmen erzogen und liebevoll gefördert worden – in meinem Fall zum erheblichen Teil von den Großeltern. Die allermeisten von uns sind reife, verantwortungs- und handlungsfähige Menschen geworden. Wir müssen als Liberale dafür Sorge tragen, dass das so bleibt. Das bedeutet, grundsätzlich zunächst auf die Menschen zu setzen und ihnen die Erziehung ihrer Kinder zuzutrauen und auch zuzumuten - wie es immer schon war.

Dienstag, 18. August 2015

„tl,dr“ und die alte Kunst des Lesens


Gestern habe ich in einer Facebook-Gruppe meinen Essay über den liberalen Leitbegriff der „Leistung“ und gesellschaftliche Veränderungen der Leistungskultur eingestellt, nachdem ich schon zuvor dort versucht hatte, durch eine Fragestellung zum Thema und eine Verlinkung zum Essay eine Diskussion über das Thema in Gang zu bringen. Die Reaktionen waren äußerst dürftig gewesen. Auch gestern kam lange keine Reaktion auf den Text. Dann erschien als erste Reaktion nur das Kürzel „tl,dr“. Kurz darauf gab es ein „Like“ für diese mir kryptische Botschaft. Ich habe das dann mit wenig Hoffnung auf Erfolg gegoogelt, erfuhr aber sofort, dass es sich um eine in professionellen Autorenkreisen und auch im Internet durchaus übliche Textanmerkung handelt, die bedeutet: „too long, didn’t read“.

„Hättest Du eigentlich kennen müssen“, sagte meine innere Stimme, die aber dann gleich mit dem Hinweis vertröstet wurde, dass ich eben keine Journalistenausbildung besitze und meine Interneterfahrung auch noch begrenzt ist. Und für einen Deutsch- und Englischlehrer gehört das Kürzel nun mal nicht zum standardmäßig verwendeten Repertoire; es würde auch bei Schulleitung, Eltern und Schülern nicht gut angekommen sein, wenn ich an den Rand einer Schülerklausur geschrieben hätte: „too long, didn’t read“. Und auch als klinischer Psychologe könnte man gleich einpacken, wenn man Klientenschreiben oder Gutachten mit diesem Kürzel abhaken würde. Nun gut, ich hatte wieder was gelernt…

Ich schrieb dann (noch immer hatte es außer „tl,dr“ und dem „Like“ keine Reaktion auf meinen Text gegeben): „Selber Schuld. Wäre vielleicht lohnend gewesen…“ Und siehe da, plötzlich kam der freundliche Hinweis, sogar in Langform: „Was ich überflogen hab, fand ich auch recht interessant!“ Ich wollte erwidern: „…aber offenbar nicht interessant genug, um den Text zu Ende zu lesen“, verkniff es mir aber.

Schon seit längerer Zeit hatte ich das vage Gefühl, dass längere Texte mit komplexer Argumentationsstruktur in Internetforen nicht gut ankommen. Nun hatte ich es Schwarz auf Weiß und mir wurde bewusst, wie typisch dieses „too long, didn’t read“ für unsere Diskussionskultur im Internet war: Lange Texte, differenzierte Texte, die über einen BILDzeitungsartigen Aufmacher hinausgehen, werden schlicht nicht mehr gelesen.

Nun mag das durchaus ein Schutzmechanismus der Überforderten sein. Durch die Demokratisierung des Autorenmarktes, die das Internet gebracht hat, werden wir täglich mit Texten überschwemmt und, zugegeben, längst nicht alles, was veröffentlicht wird, ist von auch nur annähernd lohnenswerter Qualität. Dennoch bleibt bei allem psychologischen Verständnis für die Leseverweigerung ein deutlich unangenehmes Gefühl. Warum schreiben wir überhaupt, wenn die Texte ohnehin niemand liest? Ist nicht der Gewinn, den das Internet als demokratisierte Autorenbörse darstellt, eigentlich ein Verlust an Konsumentenkultur? Schnüffeln wir nicht nur noch oberflächlich über das megabreite Angebot von Fast-Food-Schreiberei, ohne noch wirklich zu lesen, ohne uns wirklich mit Meinungen, Argumentation auseinander zu setzen, erst recht ohne zu denken und nachzudenken? Es wäre schlimm, wenn die Twitterkultur tatsächlich das ersetzen würde, was einmal Lesekultur und Gesprächskultur war. Charakteristisch für diese Kultur war die Wertschätzung, die dem guten Buch und dem guten Gesprächspartner entgegengebracht wurde. Geht uns diese Wertschätzung, die oftmals begeistert war, an Liebe grenzte, verloren? Es wäre ein großer Verlust, wenn es so wäre, ein sehr wesentlicher, schmerzlicher Verlust.

Ich schaltete dann gestern den Computer frustriert aus und ging mit Hannah Arendts „Vita activa“ hinaus in den Garten um im Bambuswäldchen zu lesen, im alten, wunderschönen Sinne, was bedeutet: Sich zu öffnen, einzulassen. Sich zu begegnen.

Leistung – Plädoyer für einen liberalen Leitbegriff


„Leistung“ ist traditionell ein liberaler Leitbegriff. Lange Zeit hat der Begriff liberale Identität begründet: Man verstand sich in der liberalen Partei vor allem als in der Partei der Leistungserbringer. Doch wie unsere Leitbilddiskussion gezeigt hat, tun sich viele Liberale zunehmend schwer mit dem einstigen Leitbegriff und nicht wenige plädierten dafür, auf ihn ganz zu verzichten. Was ist die Ursache?

Für manche hat der Absturz in der Wählerunterstützung und das Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag nicht unwesentlich damit zu tun, dass die starke Orientierung am Leitbegriff „Leistung“ die Partei in Misskredit gebracht habe. Um welchen Leistungsbegriff ging es, wenn mantraartig immer wieder gefordert wurde: “Leistung muss sich wieder lohnen“? Ging es den Liberalen nicht primär um Klientelpolitik, um Steuerersparnis der Einkommenseliten? Ging es, wenn Westerwelle „spätrömische Dekadenz“ diagnostizierte, nicht vor allem darum, der arbeitenden, sich ohnehin weithin durch die Arbeitswelt überfordert fühlenden Bevölkerung noch mehr Belastung abzuverlangen, zu noch mehr Leistung aufzurufen, zu noch mehr Produktion oder Dienstleistung in noch kürzerer Zeit? Hat man die Zeichen der Zeit nicht erkannt, nicht wahrgenommen, dass postmaterielle, hedonistische Werte eine größere Bedeutung gewonnen haben und die protestantische Arbeitsethik Max Webers an Zuspruch verliert? Hat man nicht gesehen, dass mit der politischen Forderung nach Leistungsoptimierung in einer Wellness-Gesellschaft kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist?

Das Problem bestand sicher darin, dass nicht deutlich gemacht werden konnte, von welcherart Leistung man eigentlich redet. Ging es uns wirklich nur um Wettbewerbsdruck, Outputoptimierung und Kostensenkung, oder doch eher um das Menschheitsversprechen, dass Menschen sich entwickeln und zum eigenen Wohl, aber auch zum Wohle der Gesamtgesellschaft, das abrufen, was sie gerne tun und am besten können, also Leistungsoptimierung verstanden als ein Mehr an produktiver, kreativer Entfaltung? Und von wem sprach man eigentlich wenn man forderte, Leistung müsse sich wieder lohnen? Meinte man tatsächlich nur die Einkommenseliten? Oder doch auch die, die vor allem unter zunehmend erschwerten Arbeitsbedingungen tatsächlich gesamtgesellschaftlich relevante Leistung erbringen, die Leistungsträger auf der Straße also, für die es kaum noch Anerkennung gab und gibt? Ging es uns nur, oder doch wenigstens vor allem, um Spitzenleistungen einiger weniger, oder um Breitenleistung der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen in diesem Land?

Ein Problem besteht sicher darin, dass Leistung und Erfolg heute oft so weit auseinanderliegen. Forciert von den Medien, aber auch bedingt durch unsere Fixierung auf eine Bestenauswahl gibt es heute immer mehr „Winner-Take-All-Märkte“, in denen der Beste alles gewinnt, für die weniger Erfolgreichen aber wenig bis kaum etwas übrig bleibt. Längst gibt es diese Bestenauswahl nicht mehr nur in der Kulturszene, in den Medien oder im Sport. Auch Rechtsanwälte und Ärzte sind mittlerweile betroffen, ebenso Krankenhäuser und Schulen: Die „Winner-Take-All-Märkte“ breiten sich in unserer Gesellschaft aus.

Früher, in der Arbeitswelt unserer Eltern und Großeltern, lagen Leistung und Erfolg häufig sehr dicht beieinander. Die Bäckerei in der Stadt, der Gartenbaubetrieb auf dem Land forderten viel ab an Arbeitseinsatz, doch der Erfolg bemaß sich an der Leistung: Gute Qualität sicherte zufriedene Kunden und ordentliches Einkommen. Es gab wenig Konkurrenz, viele Streumärkte. Unternehmen und ihre Kunden waren aufeinander angewiesen. Die Arbeitszufriedenheit war entsprechend hoch, Ängste und Depressionen spielten – trotz hoher Arbeitsbelastung – in der Arbeitswelt eine geringe Rolle. Heute hingegen breiten sich Ängste und Depressionen immer mehr aus, weil die Arbeitswelt immer höheren Druck erzeugt und weil immer mehr Menschen in den „Winner-Take-All-Märkten“ sich an den wenigen Erfolgreichen orientieren, damit zu den Verlierern gehören und sich entsprechend so fühlen: Trotz hohen Arbeitseinsatzes warten kaum Erfolg und Anerkennung. Leistung und Erfolg klaffen auseinander. Leistung erbringen alle, doch Erfolg haben nur die Sieger. Leistung lohnt sich, das erfahren immer mehr Menschen täglich, schon längst nicht mehr. Und das nicht nur deshalb, weil die Steuerschrauben bei Leistungsträgern zu eng angezogen sind.
Hinzu kommt, dass bei der „Winner-Takes-All“-Konkurrenz der Sieger längst nicht immer, sogar in den wenigsten Fällen, tatsächlich der Beste ist. Es gewinnt, wer sich am besten verkauft. „Performance“ oder neudeutsch „Performanz“ ist das Zauberwort. Um Leistung im Sinne eines erbrachten Wohls für die Gemeinschaft geht es schon lange nicht mehr. Stattdessen um Selbstmarketing, um Verkaufsstrategie: Wie bringe ich mein Selbst am wirkungsvollsten zum Kunden. Selbstinszenierung ist zunehmend gefragt: Der, der den publikumswirksamsten Auftritt hinlegt. Über den man spricht. Das sind in der Regel nicht die, die am meisten leisten. Und die Besten sind es in der Regel auch nicht.

Für die innengeleitete Generation unserer Großeltern war nicht nur Leistung deckungsgleich mit Erfolg, sondern auch die Bildung. (Auch dies ein liberaler Leitbegriff, häufig zitiert, aber ebenso wie Leistung durchaus nicht unproblematisch, weil der Zusammenhang zum Lebenserfolg längst fraglich geworden ist). Bildung und Leistung bedingten einander. Gute Leistung setzte Bildung voraus, umgekehrt war Leistung die Voraussetzung von Bildung. Beides garantierte – zumindest in der Regel – auch Erfolg und gutes Einkommen. Wer fleißig war und einen akademischen Abschluss in der Tasche hatte, brauchte sich um gesicherte Anstellung keine Sorgen zu machen. Heute sind wir, ist vor allem die „Generation Praktikum“, davon meilenweit entfernt. Sicher ein Grund dafür, dass sich Liberale heute mit beiden Leitbegriffen, aber mit der „Leistung“ noch stärker als mit der „Bildung“, sehr viel schwerer tun als das Bildungsbürgertum vergangener Tage.

Wir leben in einer schwierigen Zeit. Vieles verändert sich, und doch bleibt auch vieles gleich. Die liberalen Leitwerte „Bildung“ und „Leistung“ verändern sich in ihrer alltagsweltlichen Fixierung und Justierung, und doch bleiben sie für Liberale konstitutiv. Wir können und dürfen nicht auf Leistung als Leitwert verzichten. Für Liberale ist Leistung das Produkt der entfalteten Persönlichkeit, also die Förderung und Entfaltung dessen, was Menschsein an sich ausmacht. Es geht darum, menschliche Möglichkeiten freizusetzen, Hindernisse und Hemmnisse zu beseitigen, Anreize zu setzen und Motivation zu befördern. Es geht dabei zunächst um Breitenleistung, um die Förderung der Möglichkeiten aller Menschen. Aber indem wir jeden dazu ermuntern und ihn unterstützen, sein Bestes zu geben, geht es uns auch um Spitzenleistung. Bei aller Fixierung auf den Gipfel dürfen wir aber niemals den Berg aus den Augen verlieren, der diesen Gipfel trägt.

Leistung, so verstanden, ist kein staubiges Relikt aus der Welt der protestantischen Arbeitsethik. Eine reine Wellness- und Freizeitgesellschaft ist auf Dauer nicht zu finanzieren. Und sie ist auch alles andere als chic. Dauerwellness führt zu Dauerlangeweile: Es gehört zur menschlichen Natur, zu entwickeln und zu gestalten. Der Schaffensdrang gehört zu unserer angeborenen Grundausstattung. Leistungsfeindlichkeit hingegen ist ein gruppenspezifisches Kunstprodukt, der menschlichen Psyche wesensfremd.

Ja, Leistung muss sich wieder lohnen. Aber gemeint sein muss der schwierige Arbeitseinsatz der Kranken- und Altenpflegerin und des Polizeibeamten im lebensgefährlichen Einsatz, nicht der Performanzerfolg des Mediensternchens, des hochbezahlten Profikickers, Wertpapierhändlers oder Börsenspekulanten. Wir dürfen nur „Leistung“ sagen, wenn wir auch „Leistung“ meinen und eben nicht den „Performanzerfolg“ durchaus umstrittener Zeitgenossen mit eher beschränktem Sinn für das Gemeinwohl. Wir brauchen einen Leistungsbegriff, hinter dem sich die Menschen versammeln, indem sie sich wiedererkennen können. Er darf nicht, wie es leider häufig der Fall war, in seiner psychischen Wirkung abschrecken und die Gesellschaft spalten. Mit einem solcherart klar definierten und sauber kommunizierten Leistungsbegriff brauchen wir uns dann auch nicht vor den Wählern verstecken.

Samstag, 15. August 2015

Was ist das eigentlich: Liberal?






 Was ist das eigentlich: Liberal?

Liberalsein bedeutet, sich im Zweifel, also wenn Grundwerte miteinander in einen Zielkonflikt geraten, konsequent für die freiheitliche Lösung zu entscheiden. Warum tun wir das? Weil wir überzeugt sind, dass der Mensch im Zustand der Freiheit sein Potenzial, also seine in ihm selbst angelegten Möglichkeiten, am wirkungsvollsten zur Entfaltung bringt. Wenn jeder Bürger mit Optimismus und Mut seine Chancen kreativ nutzen kann, entsteht die bestmögliche und menschenwürdigste Gesellschaft für alle.

Das Kopftuch - religiöses Bekenntnis oder Psychohygiene?



Ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen ist nicht mit der Verfassung vereinbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden. Die Karlsruher Richter halten ein pauschales Kopftuchverbot bei Lehrkräften für nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar. Damit korrigiert das Gericht seine eigene Rechtsprechung aus dem Jahr 2003.

Christian Lindner kommentierte die Entscheidung bei Facebook wie folgt:

"Von Grünen bis AfD begrüßen heute alle das Karlsruher Urteil zur Aufhebung des Kopftuchverbots in Schulen. Manche vielleicht auch nur, weil sie mehr Kruzifixe in staatlichen Schulen aufhängen wollen. Ich persönlich bin sehr reserviert. Der Staat muss weltanschaulich neutral bleiben. Und deshalb sollten seine Amtsträger im Dienst besonders zurückhaltend hinsichtlich ihrer persönlichen Bekenntnisse sein. CL"

Selbstverständlich teile ich Lindners Forderung nach weltanschaulicher Neutralität staatlicher Bildungseinrichtungen. Kruzifixe und andere religiöse Symbole haben in Klassenräumen nichts verloren. Ebenso muss von Lehrkräften verlangt werden, auf demonstrative religiöse, politische oder sonstige weltanschauliche Bekenntnisse im Hinblick auf das Überwältigungsverbot, das eine Manipulation der Schüler verhindern soll, zu verzichten.

Die Frage, die sich mir stellt, ist: Handelt es sich beim Tragen eines Kopftuches in der Regel überhaupt um eine religiöse Demonstration, um ein nach außen gerichtetes Bekenntnis? Bei manchen Frauen, die Kopftuch tragen, mag das so sein. Bei der Mehrheit aber scheint mir, nach allem, was ich von diesen Frauen weiss, eher eine nach innen gerichtete religiöse Keuschheit und Frömmigkeit das Motiv zu sein. Ich kenne Muslima, die sich ohne diese Kopfbedeckung im öffentlichen Raum nackt und unwohl fühlen und psychisch gehemmt sind. Wir würden von Frauen auch nicht verlangen, ohne Büstenhalter in durchsichtiger Bluse zu unterrichten. Dem Kopftuch kommt aber eine solche Funktion psychischer Hygiene und Protektion sehr häufig zu.

Folglich sollten wir explizite religiöse Bekenntnisse im Unterricht klar ablehnen, das Tragen von Kopftüchern aber dann tolerieren, wenn der Verzicht darauf eine Verletzung religiöser Gefühle und/oder eine Störung des psychischen Wohlbefindens und der Identität dieser Frauen bedeuten würde.



 
 
Wir sollten alle Kippa tragen!

In bestimmten Vierteln deutscher Städte sollten Juden auf das Tragen der Kippa verzichten - das rät der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. Der Grund: Die Zahl antisemitischer Straftaten hat im vergangenen Jahr stark zugenommen.
Leider erleben wir defensive Rückzugstendenzen wie hier des Zentralrats der Juden, in "Problembezirken" keine Kippa zu tragen, immer häufiger. Man denke an Braunschweiger und Kölner Karnevalisten. Allmählich wird offenbar unser ganzes Land zum "Problembezirk". Für mich der falsche Weg: Freiheit braucht Mut und muss offensiv verteidigt werden. Vielleicht sollten alle Nichtjuden aus Solidarität Kippa tragen. Vor allem in den "Problembezirken".

Hommage an eine griechische Göttin der Gastfreundschaft




Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis, die fragwürdigen Helden der neuen national-sozialistischen Regierung in Griechenland, sind mit ihrer unseriösen Verhandlungstaktik ein Ärgernis und durch ihre sozialistische Politik eine schwere Belastung der griechischen Wirtschaft. Die beiden polarisieren heftig und ihre Taschenspielertricks sind alles andere als geeignet, Sympathien zu generieren.

Kaum jemand wird diese Politiker, diese Partei und die gegenwärtige Regierungspolitik Griechenlands mögen. Was schlecht ist für das Land und die gegenwärtigen deutsch-griechischen Beziehungen, muss auch klar so benannt werden dürfen. Syriza schadet.

Wie sehr, zeigt sich im Umgang mit griechischstämmigen Mitbürgern in unserem Land. Zum Beispiel in Düsseldorf: Ein anonymer Brief an die Betreiber eines griechischen Restaurants im Stadtteil Hassels hat auf Facebook für große Empörung gesorgt. Darin bezeichnet der unbekannte Schreiber das griechische Volk als „korrupt und faul“ und ruft dazu auf, das griechische Restaurant nicht mehr zu betreten. Boykottaufrufe gegen griechische Unternehmen in unserem Land wegen einer vermeintlich parasitären Mentalität der Griechischstämmigen?

Vor wenigen Wochen wollten wir in Winterberg, dem sauerländischen Wintersportzentrum, ein uns bekanntes griechisches Restaurant besuchen. Es war Wochenende und der Ort war mehr als gut besucht, überwiegend von holländischen und belgischen Kurzurlaubern. Das Restaurant war schon um achtzehn Uhr völlig überfüllt, so dass wir um einen freien Tisch anstanden. Die Wirtin schaffte uns sofort Stühle herbei und wir konnten bequem sitzen. Kurz darauf brachte sie uns einen Ouzo. Wenig später konnten wir einen freien Tisch belegen. Die Wirtin bediente das übervolle Restaurant, indem ständig neue Gäste auf Tische warteten, mit ausgeprägtem gastfreundlichem Humor. Diese Bedienung unter widrigsten Umständen war eine gastronomische Meisterleistung und hätte sicher einen Oscar verdient, oder gar einen Nobelpreis, wenn es so etwas gäbe: Einen Nobelpreis für gastronomische Bedienung!

An diese griechischstämmige Göttin der Gastfreundschaft aus Winterberg musste ich denken, als ich in der anonymen Hetzschrift von „korrupten“, „faulen“ und „parasitären“ Griechen las. Schande über Dich, Du mutloser, anonymer Schreiberling!

Unsere griechischstämmigen Mitbürger verdienen unsere vollste Solidarität. Was wären wir ohne diese fleißigen, redlichen Geister, die uns Gyros, Souflaki, gebratene Auberginen mit Tsatsiki oder Koblauch-Tomatensoße, Retsina, Mavrodaphne und Ouzo servieren. Wie viele Genüsse, wie viele wunderschöne Stunden bei Syrtos- und Sirtakimusik verdanken wir ihnen!

Wir lieben sie, unsere Griechen. Ebenso das wunderschöne Land und seine gastfreundliche Bevölkerung. Daran vermögen auch das Athener Finanzloch und Syriza nichts zu ändern!

Gegen eine politische Instrumentalisierung von Einwanderung und Vielfalt!




Gibt es ein destruktives Element in unserem nationalen Empfinden, ein Element mangelnder Selbstakzeptanz oder - im Extremfall – ein Element des Selbsthasses? Und wenn es ein solches Element gibt – wofür einiges spricht – können wir es dann eher auf Seiten der politischen Linken verorten?

Gelegentlich liest man in Publikationen, die aus dieser Richtung kommen, vom problematischen „deutschen Volkscharakter“, der etwas Aggressives habe, arrogant und besserwisserisch sei, unterwerfen und dominieren wolle. Untermalt wird dieser Topos dann stets mit Grausamkeiten aus deutscher Nazi-Vergangenheit und unterschwellig die Ansicht transportiert, der Nazi-Geist lebe noch fort, sei latent vorhanden und virulent und warte nur darauf, erneut als Ungeist aus der Flasche gelassen zu werden.

Für jemanden, für den das Deutsche und der Deutsche derart feindselig und potenziell bedrohlich daherkommt, liegt es nahe, den „deutschen Volkscharakter“ eindämmen zu wollen und ihn seiner virulenten Wirkung zu berauben. Am wirkungsvollsten gelingt dies, wenn man sein „Brutgebiet“ trockenlegt, also den Ort beseitigt, an dem sich der „deutsche Volkscharakter“ reproduziert: Die deutsche Familie. Erklärt sich hieraus die minderheitsfixierte Sexualpolitik der politischen Linken? Der offensichtlich abgrundtiefe Hass auf die traditionelle deutsche Familienordnung, auf Eltern und ihre Kinder? Wird nicht auch die Zuwanderung missbraucht und instrumentalisiert, um den „deutschen Volkscharakter“ zu verwässern, die deutsche Gesellschaft multikultureller werden zu lassen, internationaler und damit letztlich vor allem weniger deutsch?

Ist die deutsche Linke tatsächlich antideutsch und will sie wirklich die Familie als Grundlage deutscher Kultur und Identität zerstören? Will sie tatsächlich deutsche Gesellschaft durch Einwanderung „verwässern“? Man denkt sofort an Außenminister a.D. Joseph Fischer, der in seinem Buch „Risiko Deutschland“ sagt: “Deutschland muss von außen eingehegt und von innen durch Zustrom heterogenisiert, quasi verdünnt werden.” Es gehe darum, deutsches imperialistisches Gehabe und deutsche Großmannssucht durch verstärkte Einwanderung „zu verwässern“. Deutsche Helden müsse die Welt, tollwütigen Hunden gleich, einfach totschlagen. Oder die Formulierung des Münchner Parteivorstandes der Bündnisgrünen, es gehe nicht um Recht oder Unrecht in der Einwanderungsdebatte, es gehe zuerst um die „Zurückdrängung des deutschen Bevölkerungsanteils in diesem Land.”

Sicher sind diese Zitate fragwürdige Entgleisungen und nicht repräsentativ für die deutsche politische Linke. Dennoch stellt sich die Frage, ob in diesem Teil unserer Gesellschaft eine ausgeprägte Form des Selbsthasses, der Selbstverachtung und einer Selbstverweigerung nationaler Identität virulent ist. Hat ein beträchtlicher Teil der Deutschen ein ernsthaftes Problem mit seinem Deutschsein, dem deutschen Wesen, der deutschen Kultur? Ergibt sich daraus dann ein schwieriges Verhältnis zum Menschen und zum Menschsein an sich?

Etliche Deutsche vor allem - aber nicht nur – aus dem linken Spektrum haben im Allgemeinen ein eher schwieriges Verhältnis zu deutschem Nationalgefühl und deutscher Lebensart. Begründet wird dies durch die entsetzlichen Gräuel deutscher Geschichte. Nach Auschwitz, so gewinnt man den Eindruck, sei deutsche Identität nur noch sehr begrenzt, wenn überhaupt, leb- und erlebbar.
Muss das zwangsläufig so sein? Ohne Zweifel wiegt die deutsche Schuld schwer und die Verpflichtungen, die sich aus der deutschen Geschichte ergeben, lasten heute und in der Zukunft schwer auf deutschen Schultern. Müssen aber darüber hinaus tatsächlich Selbstverachtung und Selbsthass die Folge sein?

In der Gefängnispsychiatrie hilft man Straftätern, häufig Schwerstverbrechern mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung und Selbsthass dabei, eine stabile Ich-Identität aufzubauen. Am Anfang steht dabei immer die Anerkennung der eigenen Schuld. Dann kommt aber die schwierige Aufgabe, die Schuld hinter sich zu lassen und zu einem befreiten Leben nach der Schuld zu gelangen. Für diese Straftäter ist es wesentlich, die oberflächliche narzisstische Selbstverliebtheit, der immer eine tiefe innere Leere und Selbstunsicherheit zugrunde liegt, durch eine solide Form der Selbstliebe und Selbstakzeptanz zu ersetzen. Diese Menschen müssen sich selbst annehmen und erfahren, dass sie von anderen angenommen werden. Selbstverachtung und Selbsthass sind dabei kontraproduktiv. Diese Menschen müssen lernen, sich zu lieben, trotz der Schwere ihrer Schuld.

Eine solche bedingungslose Selbstannahme ist auch die Grundvoraussetzung für eine stabile nationale Identität. Es gibt starke Ressourcen nationaler Kulturleistungen, auf die wir dabei aufbauen können. Wir dürfen die Schuld des Holocaust nicht relativieren, aber wir dürfen die deutsche Geschichte auch nicht darauf beschränken. Es gibt ein Recht auf deutsches Leben nach der Schuld. Selbstverachtung und Selbsthass sind ein kontraproduktiver, falscher Weg. Deutsche Kultur und deutsche Lebensart bleiben auch nach Auschwitz liebenswert. Gerade im Bewusstsein eigener Schuld und der daraus erwachsenden Verantwortung ergibt sich eine neue, reife Form der Selbstakzeptanz. Im Bewusstsein dieser Verantwortung für Frieden und Freiheit dürfen die Deutschen, ja müssen die Deutschen, sich achten, wertschätzen und auch lieben.

Wir brauchen ein gesundes, unverkrampftes Nationalgefühl. Ein verklemmter Umgang mit dem „deutschen Charakter“ ist ebenso kontraproduktiv wie das feindselige Heraufbeschwören einer „Deutschland-verrecke-Fraktion“ der politischen Rechten. Wir brauchen keine Feindbilder. Keine fehlgeleitete Familienpolitik. Es ist schön und vorteilhaft, wenn unsere Gesellschaft durch Einwanderung multikultureller und bunter wird. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass Vielfalt in sehr fragwürdiger Absicht politisch instrumentalisiert wird.

Donnerstag, 13. August 2015

Warum die FDP unverzichtbar ist


Wir kennen die Auswirkungen des fürsorglichen Staates schon lange: Verlust der autonomen Handlungsfähigkeit des Individuums, Verlust an Antrieb, Motivation, Eigenverantwortungsbereitschaft, Verlust an Würde. Wir kennen sie bestens von Menschen, die Sozialleistungen beantragt haben: Das Arbeitslosengeld II etwa, umgangssprachlich meistens „Hartz IV“ genannt – die Grundsicherungsleistung für erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Es soll diesem Personenkreis ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. In der Praxis sehen wir, dass genau dies in der Regel nicht der Fall ist, dass diese Menschen bei längerzeitigem Bezug dieser Sozialleistung vor allem eines verlieren: Ihre Würde.
Verlust an Würde droht immer, wenn der Bürger dem Staat als Sozialstaat oder Ordnungsstaat zu nahe kommt. Wer staatliche „Wohlfahrt“ in Anspruch nehmen möchte, muss sich nackt machen, sein Inneres nach außen kehren, Privatestes offenbaren. Er muss sich endlosen bürokratischen Ritualen unterziehen, gängeln lassen, sagen lassen, was er in Zukunft noch darf und was nicht mehr. Ein weitgehender Verlust an individueller Handlungsfähigkeit und –bereitschaft ist die Folge: Man richtet sich ein in „Hartz IV“, ist nicht länger autonom in seinen Handlungen und Bedürfnissen. Der Staat finanziert das kärgliche Leben – und bestimmt dafür, wo es lang geht. Die Folge ist das, was Martin Seligman die „gelernte Hilflosigkeit“ genannt hat: Den Verlust des Glaubens an die eigene Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung.
Im Moment erleben wir „gelernte Hilflosigkeit“ auf einer neuen Ebene: Der multinationalen. Griechenland als ehemals autonomer Staat hat sich dem Diktat der „Troika“ unterworfen, dem Kontrollgremium der Europäischen Union, das aus Vertretern der Europäischen Zentralbank, des Internationalen Währungsfond und der EU-Kommission besteht. In ähnlicher Weise wie der langzeitige Grundsicherungsleistungsbezieher ist das Land längst seiner autonomen Handlungsfähigkeit beraubt. Griechenland ist von den Finanzinfusionen aus Brüssel abhängig. Es ist nicht länger zu eigenverantwortlichem Handeln in der Lage. Wenn es so etwas gibt wie nationale Würde – Griechenland hat es unter seiner sozialistischen Regierung und dem Brüsseler Diktat längst verloren.
Der Verlust an autonomer Handlungsfähigkeit, Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Würde ist ein Krebsgeschwür unserer Zeit. Wir erleben den freiheitsberaubenden Geist der Fürsorglichkeit nicht mehr nur gegenüber einzelnen Bürgern, sondern gegenüber ganzen Staaten. Unsere Politik vertraut der autonomen Freiheit und Selbstverantwortung nicht mehr. Eigenständigkeit und kreative Lösungskompetenz geht dadurch verloren. Wir erleben eine zunehmende Abhängigkeit aller von allem und dadurch eine Diffusion von Verantwortungsstrukturen. Unsere Politik ist zu einer Politik der Verantwortungslosigkeit und Unfreiheit geworden.
Die deutsche Bundesregierung, die „große“ Koalition aus CDU, SPD und CSU, zelebriert den Paternalismus. Das Zauberwort staatlicher Verhaltenssteuerung heißt „Nudging“. Der Begriff wurde vom Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und vom Rechtswissenschaftler Cass Sunstein in ihrem 2008 erschienenen Buch „Nudge. Improving Decisions About Health, Wealth, and Happiness“ geprägt. Thaler und Sunstein plädieren für Paternalismus: Ausgehend von der empirischen Erkenntnis, dass menschliche Entscheidungen nur begrenzt rational sind und unweigerlich durch eine „Entscheidungsarchitektur“ beeinflusst werden, sollten die staatlichen Organe, die menschliches Verhalten beeinflussen können, dies so tun, dass das Gemeinwohl vergrößert werde. Diese paternalistische Beeinflussung von Menschen, so die Autoren, sei durchaus „libertär“, da dem Bürger jederzeit die Möglichkeit offen steht, sich gegen den Weg zu entscheiden, auf den er “gestupst” wird. Die Merkel-Regierung hat sich längst zum „Libertären Paternalismus“ bekannt und Sozialingenieure ins Kanzleramt berufen, die die neue Verhaltenssteuerung in Angriff nehmen sollen. Wer meint, der Behaviorismus sei überwunden, irrt. In Berlin, aber nicht nur dort, treibt er neue Blüten.
Neben „Nudging“, das unser Verhalten steuern soll, sagt uns „Political Correctness“, wie wir zu fühlen und zu denken haben. „Die Gedanken sind frei“ gilt längst nicht mehr. Politisch Korrektes „Neusprech“ hat längst Auswirkungen auf unsere Gedanken- und Gefühlswelt. Sozialingenieure des Staates und staatsnaher Leitmedien versuchen – mit beachtlichem Erfolg – Schritt für Schritt unsere Sprache zu verändern – und damit uns selbst.
Die gelernte Hilflosigkeit ist zu einem prägenden Agens der Zeitkultur geworden. Wir handeln deutlich unter unseren Möglichkeiten. Wir sind antriebsschwach geworden. Apathie und Behäbigkeit greifen um sich. Sie gehen einher mit einer zunehmenden Bedrücktheit und Larmoyanz. Wir sind kaum noch Gestalter unserer Welt. Wir sind zunehmend fremdbestimmte Leidende in unserer Welt, kraft- und mutlos.
Wir dürfen unsere Selbstbestimmung, unsere Autonomie und Würde nicht kampflos aufgeben. Der paternalistische Wohlfahrts- und Betreuungsstaat unterminiert schleichend unser menschliches Potenzial. Es bedarf dringend einer politischen Kraft, die dies auf ihre Agenda setzt und mit Nachdruck vertritt. Diese freiheitliche Kraft, die den Menschen, aber auch die nationalstaatliche Souveränität, wieder in den Mittelpunkt der Politik rückt, die auf individuelle Fähigkeiten, auf die Vielfalt menschlicher Gestaltungs- und Problemlösungskompetenzen vertraut, die mit einer Kultur des Mutes und des Optimismus der zunehmenden Bedrücktheit und Apathie entgegenwirkt, kann und wird nur die FDP sein.

Vom liberalen Trauma zur Identität der Bewegung

Vom Trauma
Vor einigen Wochen schrieb jemand im internen Teil von „Meine Freiheit“: “Wir haben uns nun genug mit uns selbst beschäftigt. Macht endlich wieder Politik.”
Ich sah das nicht so und schrieb: „Wir haben uns noch nicht genug mit uns selbst beschäftigt. Das parlamentarische Aus ist ein liberales Trauma. Wir haben dieses Trauma noch nicht bewältigt, können noch nicht benennen, was die Ursachen waren, haben die Ängste nicht verarbeitet, dass das Misstrauen und der Bedeutungsverlust andauern.
Wir befinden uns noch im Zustand der Identitätsdiffusion. Wir wissen noch nicht, wer wir sind, was wir wollen und was wir den Wählern anzubieten haben. Wir brauchen darüber aber absolute Klarheit. Wir müssen unsere Fehler aufarbeiten, uns aber auch klarmachen, wo wir schuldlos sind, wo andere uns geschadet haben: die Kanzlerin, der Koalitionspartner, die Medien.
Wir brauchen diese Zeit der Ruhe, des Selbstbewusstwerdens, der Selbstfindung. Wir müssen Vergangenheit bewältigen und Zukunft planen. Schonungslos aufarbeiten und benennen, was misslang, uns auch rückversichern, was erfolgreich war. Es geht nicht um den Relaunch einer Marke, es geht um die Rückgewinnung unserer Identität, die Rückeroberung von liberalem Selbstbewusstsein und eigener Glaubwürdigkeit. Erst wenn wir dies gefunden haben, können wir es wieder erfolgreich nach außen tragen.
Lassen Sie uns die Zeit!“
So schrieb ich damals. Wie steht es heute um unsere Traumaverarbeitung? Um unsere Selbstfindung?
Das Trauma scheint weitgehend verarbeitet. Die Partei unter neuer Führung hat eine neue Parteifarbe, ein neues Logo, ein neues Image, neuen Mut. Bald wird sie sich auch mit neuem Leitbild und programmatisch neu ausrichten.
Allerdings, die Grundangst bleibt: Wird der Wähler die neue Partei annehmen? Wird sie in der verschärften Konkurrenzsituation bestehen können? Und, wer sind wir Liberale, oder, wie wir uns neuerdings betont nennen: Die Freien Demokraten, 2015?
Auf die Frage, so scheint es, steht die endgültige Antwort noch aus.

Von neuer Identität
Nicht nur Frau Mohringer räumt Regale aus und ein; auch ich tue das von Zeit zu Zeit. Vor ein paar Tagen fiel mir dabei alte Wahlwerbung aus den späten Siebzigern in die Hände. Ich war damals gerade in die Partei eingetreten, Genscher war Parteichef und die Partei liberales Korrektiv in der Koalition mit den Sozialdemokraten. „Politik für die Mitte“ war damals das Schlagwort. Im Wahlkampf forderten wir: „Macht die Mitte stark!“
Das parteipolitische Bonn war damals einfach konstruiert: Die Grünen gab es noch nicht. Links standen die Sozialdemokraten, rechts die Christdemokraten. Extremisten auf beiden Rändern waren unbedeutend und nicht im Parlament. Und es gab uns. Rechts von den Sozis und links von der Union. In der Mitte also.
Sind wir heute noch die Mitte? Die gefühlte Mitte vielleicht, aber sicher nicht mehr die Mitte zwischen CDU/CSU und der SPD. Früher, in Merkels Koalition, wurden wir nicht selten als die Rechte im Parlament wahrgenommen, insbesondere von Grünen und der Linkspartei. Schließlich saßen wir auch ganz rechts im Parlament. Rechts von der Union. Heute sehen uns die Rechtspopulisten der AfD als eine gemäßigte Linkspartei, nicht ganz so links wie Grüne und Sozialdemokraten. Wo also steht die FDP 2015? Rechts, links, oder nach wie vor in der Mitte?
Ich würde sagen: Nichts von alledem.
In ihrer frühen Phase haben die Grünen sich mal so selbstbestimmt: „Nicht links, nicht rechts, sondern vorn“. Auf die Grünen hat diese Einordnung nie gepasst, fand ich. Einige wenige Grüne waren rechts am Anfang. Die allermeisten waren links. Und das sind sie eigentlich immer noch.
Vorn, fand ich, waren wir. Die Leistungselite, die Avantgarde. Motor des wissenschaftlichen Fortschritts, Anwälte neuer Technologien, der Bildung, gesellschaftlicher Befreiungsbewegungen. Vorn sind wir eigentlich immer noch. Wir stehen gegen alle Widerstände für ein gemeinsames Europa, für TTIP, für offenen, undogmatischen Umgang mit Gentechnik und Reproduktionstechnologie. Wir sehen die Chancen und die Möglichkeiten. Wir sind nach wie vor die Avantgarde des Fortschritts und des sozialen Wandels.
Aber da ist noch mehr neuerdings. Wenn wir uns die deutsche Parteienlandschaft als Gemälde vorstellen, sind wir nicht nur als Avantgarde in den Vordergrund gemalt, so wie die barbusige Marianne mit der Trikolore die Franzosen in „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugene Delacroix anführt. Es ist eher so, als ob Marianne das Bild verließe, auf uns zustürme, uns bewege und mitreiße.
Die deutschen Parteien erscheinen bildhaft statisch, wie von Delacroix gemalt. In dynamischer Pose, aber eingefroren. Man kann ihre Dynamik ahnen, aber man spürt sie nicht. Das Bild wirkt in seiner Gesamtheit dem Leben nachempfunden – und doch leblos.
Anders die kleine neue FDP. Wie Marianne mit der Fahne stürmt sie uns entgegen und reißt uns mit: Die Animations- und Motivationspartei, die Optimismus und Mut generiert, Kreativität und Gestaltung inspiriert. Menschen für Freisinn begeistert, ihre Entfaltungspotenziale anregt und Gesellschaft zum Leben erweckt.
Ist das unsere neue Identität? Liegt sie nicht vor allem in der Mitte, oder vorn? Sondern in der Bewegung, der Kraft der Begeisterung? Wir setzen auf menschliche Möglichkeiten, auf Optimismus und Mut. Wir setzen als Animations- und Motivationspartei die Kreativgesellschaft in Bewegung!

Welcher Islam gehört zu Deutschland?



Ich habe den gestrigen schönen Frühlingstag zu einem ausgiebigen Spaziergang entlang der Sieg genutzt (Für Nichtortskundige: Die Sieg ist ein Nebenfluss des Rheins und die nördliche Grenze des Westerwalds). An der Sieg leben Nutrias. Das sind aus Südamerika stammende bibergroße Nagetiere aus der Familie der Stachelratten (Echimyidae), die einzige wasserlebende Gattung dieser Familie. Nutrias sind etwas größer als die verwandten Bisamratten, die ebenfalls ursprünglich aus Amerika stammen.
In strahlender Frühlingssonne konnte ich die tagaktiven Nutrias wieder gut beobachten. Schwimmend, auf den naturbelassenen Wiesen am Fluss, in ihren Bauten am Ufer verschwindend. Es sind attraktive Tiere, an deren Anblick sich Spaziergänger an der Sieg längst gewöhnt haben. Dabei waren sie eben nicht immer da: Unsere Nutrias sind Nachfahren von entlaufenen Tieren aus Pelztierfarmen. Seit der Nachkriegszeit leben sie nachgewiesen an der Sieg.

Während ich am Ufer saß und die Nutrias beobachtete, ging mir ständig dieser Satz durch den Kopf, über den ich in den letzten Tagen mehrfach gestolpert war, oder besser, nicht über den Satz selber, sondern über die aufgeregten Reaktionen darauf. Christian Wulffs Satz, den auch Kanzlerin Merkel aufgegriffen hatte: Der Islam gehört zu Deutschland.
 Ich hatte die Aufregung darüber nie wirklich verstanden. Allerdings hatte ich auch nicht intensiv darüber nachgedacht. Gehört der Islam zu Deutschland? Die Antwort auf die Frage schien mir so offensichtlich banal, wie die Frage, ob Straßenlaternen zu Deutschland gehören. Man muss nur auf die Straße gehen, dann begegnet man Muslimen, sieht Moscheen. In den Medien ist der Islam allgegenwärtig. Selbstverständlich, der Islam gehört zu Deutschland.
Ganz so banal konnte dieser Satz aber nicht gemeint sein. Sonst hätte er nicht solch heftige Reaktionen hervorgerufen.

Gehören Nutrias, die Einwanderer aus Südamerika, zu Deutschland? Oder Waschbären, die ebenfalls amerikanischstämmige Immigranten sind? Auch diese Fragen scheinen völlig banal. Eine Waschbärin hat sich auf dem Dachboden unseres Gartenhauses eingerichtet. Nutrias tummeln sich vor meinen Augen in der Sieg. Natürlich gehören diese Tiere heute zu Deutschland. Früher gab es sie nicht, heute schon. Also gehören sie dazu.

Wenn ich die Frage stelle, ob Nutrias zu Deutschland gehören, ist die Frage aber eigentlich nicht die nach der physischen Existenz, sondern eher die nach der Berechtigung ihres Daseins. Die Frage ist also eigentlich: Sollten Nutrias dazugehören? Sollten sie da sein?
Nicht wenige Menschen stellen das Existenzrecht von Neozoen und Neophyten, von eingebürgerten Tieren und Pflanzen, in Frage. Häufig wird dann ökologisch argumentiert: Die Neubürger störten das ökologische Gleichgewicht und verdrängten „einheimische“ Arten, was sie ohne Zweifel mitunter tun. Dahinter steht dann immer eine statische Vorstellung von Lebensgemeinschaften: Die Alteingesessenen haben eine Lebensberechtigung, die Neubürger gelten als Störfall, als Bedrohung. Diese Menschen glauben an eine ewiggültige Vorstellung von „deutschem“ Wald und „deutscher“ Flur. Arten, die zu Goethes Lebzeiten schon hier waren, gehören dazu. Arten, die später gekommen sind, nicht.
Dann gibt es Menschen wie mich, für die Lebensgemeinschaften dynamisch sind, wie die Evolution selbst ständig Veränderungen unterworfen. Neuankömmlinge gelten als Bereicherung, selbst dann, wenn sie alteingesessene Arten verdrängen. Arten haben allein durch ihr Dasein eine Lebensberechtigung erworben. Für uns gehören potenziell selbst Pantherkatzen zur einheimischen Fauna. Nicht nur im Zoo. Früher lebten Säbelzahntiger und Höhlenlöwen dort, wo heute Mitteleuropa ist. Sie sind nur zeitweilig verschwunden…

Zurück zum Islam. Eigentlich muss die Aufregung auch hier um die Frage kreisen, ob der Islam zu Deutschland gehören soll, also um die Frage des Existenzrechts dieser Religion in unserem Land. Leute mit der Vorstellung einer ewiggültigen Goethezeitfauna werden sicher antworten: Keinesfalls. Deutschland ist ein christlich-jüdisch geprägtes Abendland. Also kann der Islam keinesfalls zu unserem Land gehören. Liberale wie ich werden wiederum das Existenzrecht aus dem bloßen Dasein ableiten und die neue Religion und die Menschen, die sie leben, als Bereicherung empfinden.
Doch auch diese Antworten greifen zu kurz. In unserem freiheitlich-demokratischen Land müsste leicht eine Verständigung darüber möglich sein, dass die Religion von 4,3 Millionen Bürgern moslemischen Glaubens, also von deutlich über fünf Prozent der Bevölkerung „dazugehören“ muss. Woran also entzündet sich der Unmut?

Es geht nicht, kann nicht gehen, um den Islam an sich. Natürlich muss der Islam an sich zu unserem Land gehören. Niemand, ausgenommen einige ewiggestrige Goethezeitfaunisten, werden das in Abrede stellen.
Die Frage macht aber Sinn, nicht ob, sondern welcher Islam zu Deutschland gehören soll. Ein fundamentalistischer salafistischer Islam, der grundlegende Vorstellungen von Humanität durch barbarische Rituale in Frage stellt und den viele als Bedrohung empfinden? Ein konservativer, anatolischer Islam, der das Selbstbestimmungsrecht von Frauen leugnet und kaum mit unserer freiheitlichen Ordnung kompatibel erscheint? Oder ein neuer, westlicher, spezifisch deutscher Islam, der fest auf der Basis freiheitlicher Grundwerte wie Toleranz, Achtung der Menschenwürde und Emanzipation beruht?
Ich denke, nur letzteres können wir wollen, müssen wir wollen. Nur diese Form des Islam wird auf breite Zustimmung in der Bevölkerung treffen. Ein spezifisch deutscher, westlicher und freiheitlicher Islam auf dem Boden unserer Verfassung verankert, ist eine Bereicherung für unser Land, gehört zu Deutschland, muss zu Deutschland gehören. Ohne Wenn und Aber.
Ebenso wie meine Waschbärin und die Nutrias an der Sieg.

Die wertvollsten Momente im Leben





Da war so ein Septemberspätnachmittag im Südburgenland, mäßig warm, leicht bewölkt. Ein kleiner Buschenschank im Weinberg, rauhe, hölzerne Tische im Freien unter einem mächtigen Walnussbaum. Die Wirtin hat uns einladend hinaufgewunken, meine Frau und mich. Nur sehr wenige Urlauber kommen unter der Woche an den kleinen Holzhäuschen im Weinberg vorbei. Es ist völlig ruhig, weltvergessen. Die Wirtin ist sehr freundlich, hat einen reizenden südburgenländischen Akzent. Wir bestellen einen Uhudler, dazu Fladenbrot und Schmalz. Der Uhudler ist ein Cuvee aus roten Hybridsorten, Direktträger. Er schmeckt säurebetont, das Bukett ist äußerst intensiv und erinnert an Johannisbeeren oder schwarze Ribiseln, wie die Österreicher sagen.
Es ist ein einzigartiger Wein. Es sind einzigartige Momente. Wir genießen, sind uns nah, fühlen uns geborgen, empfinden intensive unverwechselbare Momente.

Dieser Wein schmeckt nie gleich. Es kommt auf die Reben an, auf den Boden und die Kunst der Winzerin. Aber es kommt auch und vor allem auf die Situation an, in der man ihn trinkt. An jenem Spätnachmittag kam es auf die Wolken an. Auf den Geruch in den Weinbergen. Auf den Walnussbaum und die rauhen Holztische. Auf die Freundlichkeit der Wirtin und auf die offene, gelöste Stimmung meiner Frau. Auf das Blümchenkleid, das sie trug und auf ihren Geruch. Auf ihr Lachen und den Wind in ihren Haaren. Alles zusammen ergab einen unverwechselbaren Geschmack des Uhudlers. Und unverwechselbare, einzigartige Momente.

Das Wertvolle im Leben ist das Einzigartige. Wertlos hingegen ist das Normale, das Typische, das Austauschbare. In unserer Massengesellschaft herrscht aber überall das Normale, das Typische und das Austauschbare vor. Die Massengesellschaft ist eine Gesellschaft des Wertlosen. Die wertvollen, einzigartigen Momente sind sehr selten geworden. Wir finden sie nur noch am Rande des Lebens, in der Provinz, an der Peripherie. Wie in jenem Buschenschank im Weinberg, im Grenzland zu Ungarn, wohin sich selten ein Urlauber verirrt.

Der Einmaligkeit des Erlebens entspricht die Einzigartigkeit des Menschen. Wir sind dann vollkommen menschlich, wenn wir einzigartig sind, individuell und unverwechselbar. Je unverwechselbarer wir sind, umso weniger entsprechen wir der Norm. Unsere Individualität müssen wir uns erkaufen um den Preis der Normalität und der Idealität. Je weniger wir der Norm entsprechen, umso mehr aber sind wir Persönlichkeit.

Persönlichkeit ist immer gerichtet auf Gemeinschaft. Erst in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft gewinnt die individuelle Persönlichkeit Identität. Umgekehrt gewinnt auch die Gemeinschaft ihren Charakter und ihre Identität erst aus dem Zusammenspiel freier, individueller Persönlichkeiten. Individualität und Gemeinschaft bedingen einander.

Das Gegenstück zur Gemeinschaft freier Menschen ist die Massengesellschaft. Die Gesellschaft der Masse kennt nur Nutzen und Funktionalität. Sie kennt keinen Sinn und keinen Wert. Ebenso wenig respektiert sie menschliche Freiheit und menschliche Würde. Die Massengesellschaft vergöttert den Typus, das Durchschnittliche und das Normale. Individualität und menschliche Freiheit müssen in der Massengesellschaft untergehen. Ebenso die menschliche Würde.

Menschen flüchten sich in die Masse, weil sie in der Masse der Verantwortlichkeit entgehen können. In der Masse sind alle gleich. Die Persönlichkeit löst sich auf im Kollektiv. Kollektive Nichtunterscheidbarkeit bedeutet kollektive Verantwortung. Kollektive Verantwortung bedeutet aber kollektive Verantwortungslosigkeit, denn am Ende ist jeder für alles und niemand für irgendetwas verantwortlich. Die Gesellschaft der Masse wird zum Konglomerat verantwortungsloser entpersönlichter Wesen.

Freiheit bedeutet die Loslösung von der Gebundenheit an den Typus. Den Mut zur Persönlichkeit jenseits der Norm. Die Bereitschaft, für sich und andere Verantwortung übernehmen zu wollen. Freiheit erwirkt das menschliche Ideal der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit. Sie macht uns zur Persönlichkeit und sowohl zum wertgebundenen wie zum wertvollen Wesen.
Finden wir doch den Mut zur Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit, zur Freiheit und zur Verantwortung. Gehen wir hinaus in die abgelegenen Weinberge des Lebens und suchen wir doch die verborgenen Buschenschänken. Hier begegnet uns der unverwechselbar schmeckende Wein, hier treffen wir mit einigem Glück auf die Momente voller Wert und dem Bewusstsein menschlicher Würde.

Samstag, 8. August 2015

Freiheitlicher Humanismus und humanistischer Liberalismus - zwei sinnvolle Begriffe?



von Ralph Wallrabenstein

Was ist Humanismus? Den verschiedenen Strömungen des Humanismus ist ein menschenfreundliches und optimistisches Menschenbild zu eigen, das davon ausgeht, menschliches Leben verbessern zu können. Grundlage humanistischer Konzeptionen ist ein Gesellschaftsmodell, das Menschen die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung garantiert. Damit verbindet sich Kritik an bestehenden politischen und sozioökonomischen Verhältnissen, die aus humanistischer Sicht diesem Ziel entgegenstehen. Zentraler Kernbestandteil jeder humanistischen Konzeption sind Bildung und Aufklärung, die menschliche Emanzipation und die Entfaltung der reifen, freien, verantwortlichen Persönlichkeit anstreben.

Und was ist Liberalismus? Der Liberalismus ist eine politische und sozialphilosophische Bewegung, die eine freiheitliche politische, ökonomische und soziale Ordnung anstrebt. Leitziel des Liberalismus ist die Freiheit des Individuums gegenüber staatlichen und nichtstaatlichen Machtapparaten. Neben dem Konservatismus und dem Sozialismus wird er zu den drei großen politischen Ideologien gezählt, die sich im 18. und 19. Jahrhundert in Europa herausgebildet haben. Die individuelle persönliche Freiheit ist nach liberaler Überzeugung die Grundnorm einer jeden menschlichen Gesellschaft, auf die hin Staat und Gesellschaft ihre politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung auszurichten haben. Dabei wird unter Freiheit zunächst vor allem die Abwesenheit jeglicher Gewalt und jedes Zwangs verstanden, insbesondere von staatlicher Seite. In einem engeren Sinne liberalistischer Positionen beschränkt sich die Rolle des Staates auf den konkreten Schutz der Freiheit der Individuen und der die Freiheit garantierenden Rechtsordnung.

Freiheit bedeutet nach liberalem Verständnis jedoch nicht nur „Freiheit von“, sondern vor allem auch „Freiheit zu“, also nicht nur Abwesenheit von staatlichem und gesellschaftlichem Zwang, sondern auch die Befähigung zu einem selbstbestimmten und würdevollen Leben in Verantwortung. Verantwortung für sich selbst und für andere ist der Kernbestandteil jeder liberalen Botschaft: Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht möglich.

Humanismus und Liberalismus, so verstanden, zielen auf dasselbe ab: Basierend auf der Grundannahme, dass der Mensch sich in Freiheit am besten und wirkungsvollsten zu einer verantwortlichen, reifen Persönlichkeit entfalten kann, die der menschlichen Natur entspricht, streben sie eine Veränderung staatlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse an, die dem Leben in Freiheit, Verantwortung und menschlicher Würde besser entspricht. Zentrales Element dieses freiheitlich-humanistischen Anspruchs ist die aufklärerische Bildung.

So verstanden, ist wahrer Liberalismus immer humanistisch geprägt, während andererseits wahrer Humanismus immer freiheitlich geprägt ist. Ein antihumanistischer Liberalismus ist folglich ebenso denkunmöglich, wie ein antifreiheitlicher Humanismus. Humanismus und Liberalismus bedingen einander. Sie sind wie zwei Seiten derselben Medaille.

Macht es deshalb Sinn, von Freiheitlichem Humanismus zu sprechen, wenn es einen unfreiheitlichen Humanismus eigentlich nicht gibt? Macht es Sinn, von Humanistischem Liberalismus zu sprechen, wenn es einen antihumanistischen Liberalismus eigentlich nicht gibt? Beide Begriffe wirken redundant, etwa wie „Trächtige Schwangerschaft“. Sollten sie deshalb vermieden werden?
Ich denke, sie sind solange sinnvoll und auch notwendig, wie es nicht unerhebliche Strömungen gibt, die einen Liberalismus vertreten, der antihumanistisch geprägt ist und menschliche Würde und sozialen Zusammenhalt nicht ausreichend respektiert. Sie sind ebenfalls solange sinnvoll und auch notwendig, wie es nicht unerhebliche Strömungen gibt, die einen unfreiheitlichen Humanismus vertreten, der mehr auf den Staat und das Kollektiv abzielt, als auf das Individuum, und der eher an Gesetze und staatliche Reglementierung denkt, als an den einzelnen, eigenverantwortlichen Bürger.
Solange es diese Positionen gibt, denke ich, kann es nicht schaden, sich als humanistischer Liberaler zu bezeichnen und als freiheitlicher Humanist. Selbst, wenn man das Gefühl hat, die Begriffe klingen wie „eine trächtige Schwangere“…

Angie - Das Anxiolytikum im Kanzleramt


(Mai 2015)

Angela Merkel ist die beliebteste Besetzung des Kanzleramts der Bundesrepublik Deutschland. Nie zuvor war ein Kanzler über so lange Zeiträume so beliebt wie sie. Seit endlosen Zeiten führt sie das Beliebtheitsranking des ZDF-Politbarometers an. Keinem Kanzler zuvor war das gelungen. Gleichzeitig gab es noch nie einen Kanzler, den man im Hinblick auf seine politische Agenda so schlecht einschätzen konnte wie Angela Merkel. Man weiß nicht recht, wo sie hin will und wofür sie steht. In dieser Hinsicht hat sie viel mit William Jefferson Clinton gemeinsam, dem „Master of political flip-flopping“, der seine politischen Ziele nach Meinungsumfragen ausrichtete und abschätzig „Slick Willie“ genannt wurde. Dennoch war Bill Clinton – wie Angela Merkel – äußerst beliebt.

Sexuelle Eskapaden eines Bill Clinton erleben wir bei Angela Merkel allerdings nicht. Diskussionen über Spermaflecken auf der Hose haben wir bei Angie nun wirklich nicht zu befürchten, stattdessen beschäftigt ihre stereotype Handhaltung – die Raute. Wie unschuldig und harmlos, wie vollständig unprivat im Verhältnis zum schlimmen Bill. Angela, die Pfarrerstochter, ist vollkommen öffentlich. Wenn sie ihren Ehemann überhaupt mal vorzeigt, ist er unscheinbar blass, nichtssagend unpretentiös.

Warum ist Angela Merkel so beliebt? Wofür liebt man sie eigentlich? Ihre politischen Erfolge sind mehr als bescheiden, wenn man sie mit denen der großen Bundeskanzler vergleicht. Und selbst gemessen an Ludwig Erhard, dem vielleicht glücklosesten der Nachkriegskanzler, ist die Bilanz äußerst dürftig. Selbst Merkels größte Stunde, als sie am 8. Oktober 2008 inmitten der Finanzkrise gemeinsam mit Finanzminister Steinbrück eine Garantieerklärung für die Spareinlagen der Deutschen abgab, war, wie wir heute wissen, diese Erklärung nichts als ein gewagter Bluff. Immerhin, der Bluff wirkte – und hat das Land vor Schlimmerem bewahrt.

Über herausragende persönliche Qualitäten scheint Merkel auch nicht zu verfügen. Man denke nur an die gewissenlose Art, in der sie, sehr zum Schaden des Landes – und zum noch größeren Schaden ihrer eigenen Partei – neben etlichen anderen Friedrich Merz und Jürgen Rüttgers hinweggeräumt hat. Die „schwarze Witwe“ ist ein jüngst erschienener Buchtitel, überaus treffend, wie ich finde. Und über Guido Westerwelle und Philipp Rösler, ihre beiden Vizekanzler der schwarzgelben Koalition, redet heute kaum noch jemand. Dass sie in der Versenkung verschwanden, war nicht zuletzt Merkels „Verdienst“.

Dass man ihre dürftigen Erfolge so wenig wahr- und ihr so wenig übelnimmt, hat sicher damit zu tun, dass man ohnehin nicht weiß, wofür sie stand und wo sie mit Deutschland hinwollte. Wer keine politischen Ziele propagiert, kann auch keine Ziele verfehlen. Wer keine Ziele verfehlt, scheint erfolgreich, auch wenn er wenig bis gar nichts erreicht. Angela Merkel, die nebulöse Teflonkanzlerin, ist die Antipode zu Franz-Josef Strauß, diesem knorrigen, eigenständigen Typen voller Charakter, den man lieben und hassen konnte, an dem man sich als Liberaler so heftig und leidenschaftlich reiben konnte. Was für ein großartiger Kanzler hätte er werden können – und großartig vor allem deshalb, weil so grundverschieden von Angela Merkel.

Die einzige Erklärung, die für Merkels Beliebtheit bleibt, ist ihre psychotherapeutische Wirkung. „Mutti Merkel“ spendet uns Deutschen Sicherheit und Geborgenheit, betäubt die allgegenwärtigen Verlustängste, lullt uns ein, singt uns Schlafliedchen. Wie eine Schlaftablette am Abend beseitigt sie die Sorgen und alles um uns herum ist wohltuend friedlich und angenehm warm. Angie lieben wir vor allem als Kuschelkanzlerin, als Super-Nanny, die aus dem Paternalismus vergangener Tage einen Maternalismus gemacht hat. Wer will diese Wohlfühlmutti schon abwählen? Am liebsten wäre uns, wenn wir sie noch als Wohlfühlomi erleben dürften...

Dass in diesem Wohlfühlnebel unsere Freiheit schwindet, wir infantilisieren, verkindlichen, unsere Reife, unsere Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit schwindet, stört da wenig. Dass sich eine trübe Wolke aus Apathie und ein Spinnennetz aus Mainstreamverfangenheit und Political Correctness-Gläubigkeit über uns gelegt hat, die unsere Kräfte lähmen, unsere Entwicklung und Entfaltung hemmen, nehmen wir kaum noch wahr. Warum den schönen Schein des Wohlfühldusels zerstören? Angela Merkel bedient unsere tief verwurzelten Instinkte. Wir fühlen uns wohl bei ihr und sicher. Und dafür lieben wir sie.

Mittwoch, 5. August 2015

Die Suche nach Sinn, Ziel und Richtung


Vor kurzem las ich in meiner persönlichen Mail folgendes:
“Du bist ständig auf Sinnsuche. Das ist typisch für Menschen die sich mit Psychologie beschäftigen. Warum lebst Du nicht einfach. Es muss doch nicht in allem ein Sinn stecken. Hauptsache ist doch man macht es gerne, wenn nicht, lässt man es halt. Und um existentielle Dinge kommt man nicht drum herum, auch wenn sie vielleicht in Deinen Augen keinen Sinn haben. Glaub mir, ohne ständige Sinnsuche ist das Leben einfacher. Liebe, lache, weine ohne Sinn!“

Einige Wochen vorher sprach ich mit einer sehr gläubigen Protestantin über Sinn, Ziel und Richtung des Lebens. Sie sagte, sie müsse über all dies nicht nachdenken. Der Sinn ihres Lebens sei Gott. Das Ziel ihres Lebens sei Gott. Die Richtung ihres Lebens sei Gott.
Und dann höre ich häufig von atheistischer Seite, Sinnsuche sei ein mystisches, pseudoreligiöses Unterfangen, das der rational denkende Mensch tunlichst vermeiden solle. Es gebe keinen Sinn im Leben. Unsere Existenz sei völlig absurd und sinnlos.

Ich teile diese Auffassungen nicht. Für eine psychisch gesunde Entwicklung einer reifen, erfüllten Persönlichkeit bedarf es einer Sinngebung, eines Lebenszieles und einer Lebensrichtung. Und Sinn, Ziel und Richtung sollten nicht verbindlich von außen vorgegeben sein, sondern müssen aus uns selbst kommen. Wir selbst bestimmen unseren Weg, aber damit wir uns nicht verirren in Beliebigkeit und abgleiten in Zynismus, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, brauchen wir diesen Halt, dieses Geländer. Dieses Geländer mag Gott sein. Im völligen Gottvertrauen zu leben, macht das Leben einfacher, weil ich nicht fragen muss, nicht hinterfragen muss, nicht suchen muss.

Der freie Mensch entscheidet sich für den schwierigeren Weg der Suche, aber gegen die Beliebigkeit und den Zynismus. Wir wachsen mit einer Aufgabe, der wir uns verschreiben, in deren Dienst wir uns stellen. Sie gibt unserem Leben Sinn, Ziel und Richtung. Sie verleiht unserem Leben Halt, Orientierung und Perspektive. Doch der gewählte Weg ist nie endgültig, die gewählte Aufgabe nie erfüllt. Ständig müssen wir uns neu fragen und hinterfragen. Ständig neu suchen. Die Suche nach dem Lebenssinn bleibt unsere Lebensaufgabe und der Weg dorthin unser Ziel.

Die Furcht vor der Freiheit

Die Furcht vor der Freiheit
Die Auflösung der vor-individuellen Gesellschaft und die Abschaffung des Obrigkeitsstaates haben den Menschen ein Ausmaß an Freiheit beschert, das jahrhundertelang völlig unvorstellbar schien und die optimistischsten Erwartungen übertroffen hat. Mit dem Sieg über den Nationalsozialismus und der unblutigen Revolution gegen das SED-Regime wurden zwei Diktaturen auf deutschem Boden überwunden und die Freiheit erkämpft.
Doch die Menschen tun sich schwer mit der erkämpften Freiheit. Das freiheitliche Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und die zunehmenden Globalisierungsprozesse haben zu massiven Unsicherheitsgefühlen, Bindungsverlusten und Orientierungsproblemen geführt, die neue Ängste heraufbeschwören und die Menschen zurücktreiben in scheinbar überwundene Muster kollektiver Zwangssysteme, in Konformismus, Destruktivität und sie sich neuen Autoritäten unterwerfen lässt.
Der Psychologe und Sozialphilosoph Erich Fromm legte 1941 eine sozialpsychologische Studie mit dem Titel „Die Furcht vor der Freiheit“ vor, in der er das Hinabgleiten in das diktatorische Unrechtsregime als eine Folge von Fluchtbewegungen analysierte, die aus zunehmender Entfremdung, Orientierungslosigkeit und Zukunftsangst resultierten. Die Freiheit habe dem Menschen zwar Unabhängigkeit und Rationalität gebracht, aber auch zu massiven Überforderungen geführt. Der Mensch habe es noch nicht vermocht, sein individuelles Selbst zu verwirklichen und seine intellektuellen, emotionalen und sinnlichen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Fromm gelangte somit zu einem doppelten Freiheitsbegriff: Freiheit von Unterdrückung müsse nicht zwangsläufig mit einer Freiheit zu einem selbstbestimmten Leben einhergehen, sondern löse unter ungünstigen gesellschaftlichen Bedingungen antiliberale Fluchtmechanismen aus.
Folgen der „Furcht vor der Freiheit“ können wir in unserer heutigen Gesellschaft allgegenwärtig studieren. Die weit verbreitete Neigung zum Konformismus, zum Abschieben von Verantwortung an den Staat und seine Verwaltungen, das Unterwerfen unter fragwürdige Autoritäten und kollektive Zwangssysteme, bürokratische Regeln und Gesetze haben zu einem massiven Freiheitsverlust im persönlichen Leben und zu einer Lähmung menschlicher Kreativität und Schaffenskraft geführt, die Potenziale brachliegen lässt und uns damit wertvoller Entwicklungsoptionen beraubt. Mit unserer Neigung, uns ständig unter Nannys Schürze zu flüchten, stellen wir uns selbst zunehmend ins Abseits.
Aus humanistischer Sicht, die den menschlichen Anspruch auf selbstbestimmte Verantwortlichkeit ernst nimmt, ist gefordert, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kritisch zu hinterfragen und ggf. zu verändern, unter denen die Nanny-Kultur gedeiht. Wir müssen die vorhandenen Ängste der Menschen ernstnehmen, ihre Sicherheitsbedürfnisse respektieren und ihren Entfremdungstendenzen, Orientierungs-, Sinn- und Bindungsverlusten durch konkrete lebensweltliche Angebote entgegensteuern. Ziel muss es sein, eine produktive Lebenskultur zu schaffen, indem sich im Sinne Erich Fromms eine gegen totalitäre Fluchtmechanismen immune „Freiheit zu selbstbestimmten Leben“ dauerhaft entwickeln kann.

Freiheitlicher Humanismus und humanistischer Liberalismus?


Den verschiedenen Strömungen des Humanismus ist ein menschenfreundliches und optimistisches Menschenbild zu eigen, das davon ausgeht, menschliches Leben verbessern zu können. Grundlage humanistischer Konzeptionen ist ein Gesellschaftsmodell, das Menschen die bestmögliche Persönlichkeitsentfaltung garantiert. Damit verbindet sich Kritik an bestehenden politischen und sozioökonomischen Verhältnissen, die aus humanistischer Sicht diesem Ziel entgegenstehen. Zentraler Kernbestandteil jeder humanistischen Konzeption sind Bildung und Aufklärung, die menschliche Emanzipation und die Entfaltung der reifen, freien, verantwortlichen Persönlichkeit anstreben.
Der Liberalismus ist eine politische und sozialphilosophische Bewegung, die eine freiheitliche politische, ökonomische und soziale Ordnung anstrebt. Leitziel des Liberalismus ist die Freiheit des Individuums gegenüber staatlichen und nichtstaatlichen Machtapparaten. Neben dem Konservatismus und dem Sozialismus wird er zu den drei großen politischen Ideologien gezählt, die sich im 18. und 19. Jahrhundert in Europa herausgebildet haben. Die individuelle persönliche Freiheit ist nach liberaler Überzeugung die Grundnorm einer jeden menschlichen Gesellschaft, auf die hin Staat und Gesellschaft ihre politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung auszurichten haben. Dabei wird unter Freiheit zunächst vor allem die Abwesenheit jeglicher Gewalt und jedes Zwangs verstanden, insbesondere von staatlicher Seite. In einem engeren Sinne liberalistischer Positionen beschränkt sich die Rolle des Staates auf den konkreten Schutz der Freiheit der Individuen und der die Freiheit garantierenden Rechtsordnung.
Freiheit bedeutet nach liberalem Verständnis nicht nur „Freiheit von“, sondern vor allem auch „Freiheit zu“, also nicht nur Abwesenheit von staatlichem und gesellschaftlichem Zwang, sondern auch die Befähigung zu einem selbstbestimmten und würdevollen Leben in Verantwortung. Verantwortung für sich selbst und für andere ist der Kernbestandteil jeder liberalen Botschaft: Ohne Verantwortung ist Freiheit nicht möglich.
Humanismus und Liberalismus, so verstanden, zielen auf dasselbe ab: Basierend auf der Grundannahme, dass der Mensch sich in Freiheit am besten und wirkungsvollsten zu einer verantwortlichen, reifen Persönlichkeit entfalten kann, die der menschlichen Natur entspricht, streben sie eine Veränderung staatlicher und gesellschaftlicher Verhältnisse an, die dem Leben in Freiheit, Verantwortung und menschlicher Würde besser entspricht. Zentrales Element dieses freiheitlich-humanistischen Anspruchs ist die aufklärerische Bildung.
So verstanden, ist wahrer Liberalismus immer humanistisch geprägt, während andererseits wahrer Humanismus immer freiheitlich geprägt ist. Ein antihumanistischer Liberalismus ist folglich ebenso denkunmöglich, wie ein antifreiheitlicher Humanismus. Humanismus und Liberalismus bedingen einander. Sie sind wie zwei Seiten derselben Medaille.
Macht es deshalb Sinn, von Freiheitlichem Humanismus zu sprechen, wenn es einen unfreiheitlichen Humanismus eigentlich nicht gibt? Macht es Sinn, von Humanistischem Liberalismus zu sprechen, wenn es einen antihumanistischen Liberalismus eigentlich nicht gibt? Beide Begriffe wirken redundant, etwa wie „Trächtige Schwangerschaft“. Sollten sie deshalb vermieden werden?
Ich denke, sie sind solange sinnvoll und auch notwendig, wie es nicht unerhebliche Strömungen gibt, die einen Liberalismus vertreten, der antihumanistisch geprägt ist und menschliche Würde und sozialen Zusammenhalt nicht ausreichend respektiert. Sie sind ebenfalls solange sinnvoll und auch notwendig, wie es nicht unerhebliche Strömungen gibt, die einen unfreiheitlichen Humanismus vertreten, der mehr auf den Staat und das Kollektiv abzielt, als auf das Individuum, und der eher an Gesetze und staatliche Reglementierung denkt, als an den einzelnen, eigenverantwortlichen Bürger.
Solange es diese Positionen gibt, denke ich, kann es nicht schaden, sich als humanistischer Liberaler zu bezeichnen und als freiheitlicher Humanist. Selbst, wenn man das Gefühl hat, es klingt wie „eine trächtige Schwangere“…

Zurück zur Charakter- und Verantwortungskultur!


Psychologie und gesellschaftliches Leben des Neunzehnten Jahrhunderts waren tief geprägt vom Konzept des menschlichen Charakters. Menschlichem Empfinden, Denken und Handeln wurden Attribute zugeschrieben – es gab Menschen mit gutem, weniger gutem und schlechtem Charakter. Menschen wurde Entscheidungsgewalt zugeschrieben und damit die Fähigkeit, verantwortlich zu handeln: Menschen galten als frei in ihrem Tun und trugen Verantwortung.
Seit den 1890er Jahren erlebten wir eine schleichende Erosion der Verantwortungskultur durch die Sozialwissenschaften, die Anthropologie, aber auch die Psychologie. Die Umwelt galt nun als prägender Faktor menschlichen Handelns, die soziokulturellen Bedingungen, unter denen man aufwuchs, die soziale Schicht. Menschliche Taten wurden an der Biografie gemessen – die „schwierige“ Kindheit wurde häufig als Entschuldigungsgrund für menschliche Verfehlungen gesehen. Die Prägung durch Lebensumwelt galt nun als entscheidend. Charakter verlor an Bedeutung.
Mit dem Charakter verfiel auch die Verantwortungskultur. Verantwortung für menschliches Handeln wurde relativiert, die Herkunft und soziale Lage wurden verantwortlich gemacht, dann die falsche Erziehung durch die Eltern. Heute dienen Erkenntnisse der Neuropsychologie und Hirnforschung der Absolution menschlicher Schuld: Wenn das Unterbewusste unser Handeln prägt und Verhalten als elektrochemische Vorgänge an den Synapsen der Nervenzellen verstanden wird, ist der Mensch dann überhaupt noch frei in seinen Entscheidungen und verantwortlich für sein Handeln?
Bedingt durch dieses Menschenbild rückte das Schlechte menschlicher Existenz in den Fokus. Es galt und gilt, Benachteiligungen zu beseitigen, Behinderungen zu erkennen, menschliche Schwächen und Defizite herauszustellen. Der Mensch wird zunehmend als Opfer gesehen und menschliches Leben zunehmend pathologisiert. Mit dem Verfall des Charakterkonzeptes geriet das Edle, Gute, Starke und Gesunde menschlichen Seins in Vergessenheit. Wo uns früher die Zukunft antrieb zu Spitzenleistungen und menschlicher Größe, sind wir heute Gezogene unserer leidvollen Vergangenheit.
Viel zu lange war unsere Psychologie zentriert auf die Störung und das Leiden, auf negative Gefühle, auf das Pathologische und Tragische, die Entfremdung, die Depression und die Angst. Viel zu lange haben wir Menschen als Opfer gesehen, als hilflos Getriebene, tendenziell unfrei und verantwortungslos.
Die Humanistische Psychologie richtet den Fokus wieder auf das Gute im Menschen, auf positive Gefühle, positives Denken und Handeln, positive menschliche Beziehungen. Freier Wille, Entscheidung und Verantwortung sind tragende Konzepte dieser Positiven Psychologie. Der Charakter als prägender Bestandteil menschlicher Existenz gewinnt wieder an Bedeutung, damit auch charakterliche Bildung und Erziehung und Konzepte wie Belohnung und Strafe. Charakterstärke, Tugend und Talent sind wieder Orientierungsgrößen, ebenso Persönlichkeitsentfaltung, Leistung und Entwicklung. Menschliche Möglichkeiten liegen im Zentrum humanistischer Betrachtung: Wir sind nicht Getriebene unserer Vergangenheit, sondern aktive Gestalter unserer Zukunft.


Persönlichkeitsbildung und menschlicher Adel


Karl Jaspers schrieb 1930 in „Die geistige Situation der Zeit“: Die Frage, ob menschliche Würde noch möglich sei, ist identisch mit der Frage, ob noch Adel möglich sei.“ Jaspers verstand unter dem Begriff nicht den Geburtsadel, sondern eine geistig-moralische Elite, die verkörpere, was edel und gut am Menschen sei. „Die Besten im Sinne eines Adels des Menschseins sind nicht schon die Begabten, welche man auslesen könnte, […], nicht schon geniale Menschen, die außergewöhnliche Werke schaffen, sondern unter allen diesen die Menschen, die sie selbst sind, im Unterschied von denen, die in sich nur eine Leere fühlen, keine Sache als die ihre kennen, sich selber fliehen. Es beginnt heute der letzte Feldzug gegen den Adel. […] Man möchte die Entwicklung rückgängig machen, die für das Wesen der neueren, aber jetzt vergangenen Zeit gehalten wird, die Entfaltung der Persönlichkeit.“

Jaspers schrieb dies in der Zeit des aufkommenden Nationalsozialismus, in der Spätphase der Weimarer Republik. Die Fragen, die er stellt, sind allerdings heute so aktuell, wie sie es damals waren. Sie scheinen zeitlos gültig. Wir leben heute in einer Massengesellschaft, in der Gleichheit über Freiheit dominiert. Es zählt die Mehrheitsentscheidung, die Quote, nicht die Entscheidung für Qualität. Das Herausragende, die Spitzenleistung, wird kritisch beargwöhnt. Das Individuelle, Originelle ist vielen suspekt. Identifikationsobjekte sind Marken: Das Lacoste-Shirt und der Mercedesstern. Nicht die Genialität eines forschenden Wissenschaftlers. Die Kultur der Massengesellschaft ist eine Kultur des Mittelmaßes, bestenfalls. Oft genug dominiert das menschenunwürdig Banale.

Unsere demokratischen westlichen Gesellschaften tun sich schwer mit Eliten. Bestenfalls werden noch Leistungseliten akzeptiert, deren Erfolg sich quantitativ bemessen lässt. Aber wie steht es mit dem Adel im Sinne Karl Jaspers? Schätzen wir Menschen noch für das Edle ihres Denkens und Empfindens, für das Gute Ihres Tuns? Ist die Entfaltung der Persönlichkeit noch eine Leitkategorie in Bildung und Erziehung in unseren Schulen – oder doch längst die bloße Funktionalität des „Wertvoll ist, was Geldwert schafft“?

Für Karl Jaspers waren die Besten „im Sinne des Adels des Menschen“ jene, „die sie selbst sind“. Dies war weniger eine Leistungselite, als eine Bewusstseinselite, eine Entfaltungselite, eine Freiheitselite und vor allem eine Verantwortungselite.

Wie stehen freiheitliche Humanisten zum Konzept der Elite? Vertreten wir eine Zielrichtung der Persönlichkeitsbildung? Haben wir eine Vorstellung davon, was eine gute, menschliche Entwicklung ausmacht? Welche Rolle spielt die Entfaltung unserer Anlagen und Möglichkeiten? Das Ausleben menschlicher Vielfalt? Die individuelle Eigentlichkeit? Gibt es für Liberale und für freiheitliche Humanisten einen Begriff des menschlichen Adels im Sinne Karl Jaspers?

Abi G8 - Weiter im Turbo-Takt...

Wie ernst kann man uns eigentlich nehmen, wenn wir im Leitbild die „beste Bildung der Welt“ fordern? Im Landtag von NRW hat unsere Fraktion am 24.06. erneut am bildungspolitischen Rohrkrepierer der letzten Jahre, dem „Turbo-Abi“ - also der Verkürzung der Gymnasialzeit von 9 auf 8 Jahre festgehalten. Die Volksinitiative „G9-jetzt!“ hatte dem Landtag rund 100.000 Unterschriften übergeben und so die erneute Beschäftigung mit dem Thema erwirkt. Die FDP-Fraktion hat leider – mit der rot-grünen Landesregierung und Teilen der Union – gegen die Initiative und für die Beibehaltung des Turbo-Abis gestimmt.

Gewinner der Turbopraxis in NRW seit 2005 waren allein Psychiater und psychologische Psychotherapeuten – sie hatten deutlich mehr zu tun. Dennoch kenne ich keinen einzigen davon, der die Turboregelung nicht eindeutig ablehnt. Denn die Verkürzung geht erheblich zulasten der Schüler. Die Verschreibung von Anxiolitika, Antidepressiva und Amphetaminderivaten wie Methylphenidat (Ritalin) an Jugendliche hat seit Einführung des Turbo-Abis sprunghaft zugenommen. Vermehrter Leistungsdruck, weniger freie Zeit, viel mehr Angst und Erschöpfungsdepression sind die Folge. Daneben auch eine spürbare Verringerung der Studierfähigkeit, von Arbeitsfähigkeit und -motivation im Betrieb und schlechterer bis nicht vorhandener Orientierung bei der Berufswahl.

„Wir wollen die Gymnasien stärken und sie nicht erneut belasten“ sagte Yvonne Gebauer für die FDP im Düsseldorfer Landtag. Die Rückkehr zum Abitur nach 9 Jahren wäre ein Fehler und würde den Schulen erneut einen jahrelangen Umstellungsprozess bringen. Leider kein Wort zur psychologischen Belastung der Schüler oder der Studierfähigkeit. Dann appellierte eine andere Abgeordnete dafür, den Bürgerwillen ernst zu nehmen: Die Einführung des verkürzten Bildungsganges sei überhastet gewesen und ein Fehler, habe zu einer massiven Verdichtung der Inhalte in der Sekundarstufe I geführt. Die Menschen in NRW wollten das G8 nicht und dies müsse die Landespolitik zur Kenntnis nehmen. Recht hatte Monika Pieper. Nur leider vertrat sie nicht die FDP, sondern die Piratenpartei – die einzige Fraktion, die gegen das Turbo-Abi gestimmt hat.

Sehr bedauerlich ist die Unfähigkeit oder mangelnde Bereitschaft, aus bildungspolitischen Fehlern zu lernen. Natürlich kann man mit funktionalistischen Argumenten für G8 argumentieren, wie Yvonne Gebauer dies tat. G8 spart Kosten und Verwaltungsaufwand, entlastet die Schulen und die Schulverwaltung. Natürlich kann man so argumentieren. Aber mit der „besten Bildung der Welt“ und einer menschenorientierten Bildungspolitik hat das dann nichts, aber auch gar nichts zu tun.

Spielt nicht mit den Schmuddelkindern!

Unnötig wie ein Kropf war sie, die Hexenjagd Karen Horns, der ehemaligen FAZ-Redakteurin und Wirtschaftspublizistin und Vorsitzenden der Friedrich-August-von Hayek-Gesellschaft, gegen eine angebliche Unterwanderung des liberalen Lagers durch „rechte Reaktionäre“. Horn hat den liberalen Verein, einen der wenigen freiheitlichen Thinktanks in unserem Land, durch ihre Angriffe erheblich geschwächt und gespalten, allerdings auch eine wichtige und notwendige Debatte darüber angeregt, was Liberale ausmacht, was sie sind und möglicherweise nicht sind.

Die 26 Mitglieder der Gesellschaft, die in einem offenen Brief Horns Rücktritt gefordert haben – unter anderem Christian Watrin, Frank Schäffler, Hans Jörg Hennecke und Vera Lengsfeld – kritisierten zu Recht eine Einengung des liberalen Spektrums durch die ehemalige Vorsitzende, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und Ausgrenzung von Teilen der Gesellschaft. Die Gesellschaft müsse Platz haben für Liberale unterschiedlicher Schattierungen, für Ordoliberale, christliche Liberale, Libertäre und staatskritische Liberale. Horn, die den großen liberalen Ökonomen Wilhelm Röpke als Reaktionär bezeichnet hatte, biedere sich auf polemische und ausgrenzende Weise der „Politischen Korrektheit“ und linksliberalen Denkweisen an, so der Vorwurf ihrer Kritiker. Horn hatte eine Abgrenzung von „politisch heiklen“ Organisationen gefordert. Auch „'wertkonservative' Liberale“ bezeichnete sie in einem Artikel in der Zeitschrift „Schweizer Monat“ als „falsche Freunde“, vor denen man sich hüten solle. Mitglieder hielten ihr hingegen vor, dass das politische Spektrum in Deutschland weit nach links verrutscht sei und es eher einen dominanten linken Zeitgeist gebe, dem man sich entgegenstellen müsse.

Führende Freidemokraten wie Parteichef Christian Lindner und der ehemalige Gesundheitsminister Daniel Bahr haben gemeinsam mit Karen Horn die Hayek-Gesellschaft nun verlassen. Damit haben sie sich mit der Hexenjagd auf Wertkonservative und Libertäre, „Reaktionäre und Radikale“ im liberalen Lager solidarisch erklärt und sich einem kritischen Diskurs über liberale Inhalte und liberale Identität verweigert. Der Massenaustritt im liberalen Thinktank kommt einer Selbstkastration gleich. Es soll abgetrennt werden, was immer auch liberal war: Das Wertkonservative, das Ordoliberale und das Libertäre. Die Hysterie der Vorgänge erinnert stark an die Kommunistenjagd der McCarthy-Ära. Säuberung und Purismus im liberalen Lager? Dies kann und darf es nicht geben.

Was sagt uns Lindners Austritt über den Kurs der neuen FDP? Erst kürzlich hat sich der Parteichef sehr öffentlichkeitswirksam gegen die Aufnahme wechselwilliger AfD-Mitglieder ausgesprochen. Vor ein paar Tagen erlebten wir dieselbe inszenierte Ausgrenzung seitens der Tauber-CDU. In FDP-nahen Internetforen wird zunehmend gebetsmühlenartig darauf hingewiesen, dass Liberale keine Konservativen sind. Nun, das ist ohne Zweifel so. Aber was soll die ständige Betonung der Abgrenzung? Was soll die medienwirksam inszenierte Abweisung von AfD-Wechslern?

Anbiederung an den sozialdemokratisch geprägten Zeitgeist, an den Nanny-Staat und die Political-Correctness-Kultur hat man Karen Horn zu Recht vorgeworfen. Muss man auch der Lindner-Parteiführung diesen Vorwurf machen? Dürfen wir nicht mehr mit den Schmuddelkindern spielen, weil die FDP zurück in die Regierung möchte und zwar vorzugsweise an der Seite von Roten und Grünen? Sollen wir uns nun „Freie Demokraten“ statt „Liberale“ nennen, weil die Magenta-Partei mit dieser neuen Selbstdarstellung besser in die Ampel passt?

Es ist sicher zu begrüßen, dass die FDP der babylonischen Gefangenschaft der Union entkommen möchte und sich durch betonte Eigenständigkeit neue Bündnisoptionen erobert. Was unsere Identität, die liberale Seele, aber nicht erträgt, ist angeordnete Anbiederung an sozialdemokratisch geprägte Political-Correctness-Maßstäbe. Wir sind eben keine ampeltaugliche freidemokratische Ergänzung zum sozialdemokratischen Mainstream. Wir sind Liberale mit Ecken und Kanten, wertkonservativen Bindungen und libertären Ideen, die sich nicht verbiegen lassen. Will man uns dazu zwingen, wird es wohl bald einen „Weckruf“ innerhalb der Partei geben – von Liberalen in der freidemokratischen Magenta-FDP, die für das gesamte Spektrum des politischen Liberalismus eintreten und gegen die verordnete Selbstkastration aufbegehren.

Die FDP – Animations- und Motivationspartei

Die FDP muss sich bei ihrer Neuausrichtung auf ihre Alleinstellungsmerkmale konzentrieren. Es kann in der außerparlamentarischen Opposition nicht nur darum gehen, die bessere Alternative zu den anderen Parteien zu bieten – so werden wir nicht ausreichend wahrgenommen. Wir müssen deutlich machen, wo wir anders sind und zwar grundsätzlich anders.

Die FDP ist grundsätzlich anders, wenn sie sich nicht als Versorgungspartei präsentiert, wie alle anderen Parteien, sondern als Partei der Selbstversorger. Das Menschenbild muss ein aktives, unternehmerisches sein: Wir müssen die Menschen in die Lage versetzen und ihnen das Gefühl geben, ihre Lebenschancen nutzen und ihre Lebensverhältnisse verändern zu können. Die Positive Psychologie kennt das Konzept der Selbstwirksamkeit. Es bedeutet das positive, optimistische Gefühl, die eigenen Lebensverhältnisse wirksam beeinflussen und gestalten zu können. Wir müssen die Partei der aktiven Gestaltung von Lebensentwürfen werden.

Die FDP muss einerseits die Partei sein, in der Menschen partizipieren können (Mitmachpartei). Sie muss sich deshalb strukturell zur Gesellschaft hin öffnen. Andererseits muss sie die Partei sein, die Menschen in die Lage versetzt, ihre Lebenschancen aktiv wahrzunehmen (Partei der Mitmacher). Dies bedarf Bildung und Motivation, aber auch ökonomischer Grundsicherung.

Die FDP muss die Partei der Beweglichkeit werden, die sich gegen Erstarrungserscheinungen in Staat und Gesellschaft richtet. Viele Menschen bei uns sind schwerfällig geworden: Sie setzen auf staatliche Versorgungssysteme, statt auf sich selbst. Sie streben nach Bequemlichkeit, statt nach Leistung, weil sich Leistung zu wenig lohnt. Doch auch die staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen sind zu schwerfällig geworden. Unternehmerische Initiative wird zu oft erstickt im Gestrüpp bürokratischer Verordnungen. Die FDP muss hier Impulsgeber und Animator werden, die Menschen mitreißen, für Aufbrüche begeistern.

Die FDP muss dabei nicht das Rad neu erfinden, nicht krampfhaft nach neuen Themen und neuen Inhalten suchen. Stattdessen sollte sie sich auf ihre ideologischen Wurzeln besinnen und nach programmatischer Klarheit streben. Zu oft sind wir beliebig gewesen, verwechselbar, nicht originär, eindeutig und klar. Zu selten ist den Menschen bewusst gewesen, dass wir die einzige Freiheitspartei und die einzige Verantwortungspartei in Deutschland sind. Die alten Fundamente des politischen Liberalismus sind aber nach wie vor tragfähig. Unternehmergeist, Bürgersolidarität, Eigenverantwortung und Freiheit – damit müssen wir uns nicht verstecken.

Prinzipientreue Besinnungskultur bedeutet aber nicht, dass wir Gralshüter politischer Dogmen sind. Liberalismus muss sich immer neu bestimmen, an veränderte Bedingungen anpassen wie das Leben selbst. Was wir brauchen ist eine offene und faire Streitkultur über freiheitliches Leben in einer Zeit rasanter Veränderung. Wir müssen Mut machen, Chancen zu erkennen und zu nutzen, Potenziale zu entfalten und Aufbrüche zu gestalten.