Montag, 20. Juli 2015

Positive Psychologie als liberale Leitwissenschaft

Positive Psychologie als liberale Leitwissenschaft 

Im Folgenden will ich ausführen, warum aus meiner Sicht der Positiven Psychologie die Rolle einer Leitwissenschaft für die neue FDP und den politischen Liberalismus generell zukommt. Hierzu ist eine knappe Analyse unserer gesellschaftlichen Situation und des Zeitgeistes notwendig. Zunächst aber ein paar Worte zu der liberalen Leitwissenschaft.

Was ist die Positive Psychologie?
Die Positive Psychologie ist als kritische Antwort auf die Klinische Psychologie entstanden, die sich mit psychischen Erkrankungen und Störungen, mit Konflikten und Mängeln beschäftigt. Die Klinische Psychologie ist defizitorientiert, sie diagnostiziert den Mangel und versucht ihn zu beheben. Sie konzentriert sich folglich auf die Therapie von Störungen.
Die Positive Psychologie ist hingegen ressourcenorientiert. Sie pathologisiert nicht, sucht nicht die Störung. Sie betont das Gesunde, das Funktionstüchtige, die Stärken von Menschen und deren Selbstheilungskräfte. Positive Psychologie fokussiert sich auf Glück und Lebenszufriedenheit von Menschen, auf Wachstumspotenziale der Persönlichkeit, auf die Stärkung von Widerstandskräften und die Förderung von Bewältigungsstrategien. Das Ziel ist die reife, gesunde, stabile und entfaltete Persönlichkeit. Positive Psychologie richtet sich auf menschliche Möglichkeiten, auf Leistungschancen und Entfaltungspotenziale. Sie ist ein dezidiert optimistisches Programm positiven Denkens, positiven Empfindens und positiven Handelns.
Wichtige Konzepte der Positiven Psychologie sind Ressource, Resilienz und Salutogenese. Salutogenese beschäftigt sich mit der Entstehung von Gesundheit als Gegenstück zur Pathogenese, die sich auf die Entstehung von Krankheit fokussiert. Salutogenese, die Förderung von Gesundheit wird als Prozess verstanden, in den man steuernd eingreifen kann. Resilienz bezeichnet die Widerstandskraft gegenüber physischen und psychischen Stressbelastungen. Auch Resilienz kann gefördert werden. Ressourcen sind psychophysische Kraftquellen, die sich entdecken und entwickeln lassen. Sie dienen dem Coping, der Bewältigung und Verarbeitung von belastenden Lebensereignissen.

Wie steht es um unsere Gesellschaft und den Zeitgeist?
Wir bewegen uns in einem gesellschaftlichen Umfeld, das sehr stark von Pessimismus geprägt ist. Menschen glauben viel zu wenig an ihre Möglichkeiten und an ihre Entfaltungspotenziale. Leistung hat in unserer Gesellschaft einen zu geringen Stellenwert bekommen. In unserer repräsentativen Demokratie glauben die Menschen viel zu wenig daran, partizipieren zu können, die Fähigkeiten zu besitzen, etwas bewirken und verändern zu können. Die Folge ist ein apathischer Rückzug aus dem öffentlichen Raum. Oder eine anklagende und zugleich hilflose Demonstration von „Wutbürgern“, wie wir es bei der Pegida-Bewegung erleben.
Unsere Gesellschaft ist zutiefst von Depressionen und Angststörungen geprägt. Ein überbordender Individualismus verlangt Menschen im Alltag immer mehr ab. Sie müssen immer mehr selbst entscheiden, Lebensentwürfe planen und Verantwortung tragen. Die Folge sind starke Überforderungsgefühle und Empfindungen von Hilflosigkeit und der Wahrnehmung, den Anforderungen des zunehmend komplexeren Lebens nicht mehr gewachsen zu sein. Am Ende steht die Angsterkrankung, die Depression und das zunehmende Verlangen nach Flucht: Der Weg in die Sucht, oder, wenn nichts mehr hilft, in den Suizid.
Viele Menschen führt die Hilflosigkeit, die Depression und die Angst zu einem gesellschaftlichen Rückzug, in die innere Emigration. Sie stehen dem Leben, insbesondere dem politischen Leben, abweisend und feindlich gegenüber. Sie sind hart und verbittert gegen sich selbst und hart und verbittert gegen Andere. Sie lehnen alles Fremde ab, wenden sich gegen Einwanderer, begegnen anderen Menschen zunehmend zynisch, abweisend und unmenschlich. Sie verweigern Menschen in Not ihre Hilfe und den menschlichen Umgang.
Noch nie ist es uns in Deutschland insgesamt so gut gegangen wie heute. Noch nie war der allgemeine Wohlstand so üppig, die Armut so gering, die gesundheitliche Versorgung so gut und die Lebenserwartung so hoch. Noch nie hatten wir über eine so lange Zeit ein politisches System, das Stabilität, Freiheit und Frieden gesichert hat. Flüchtlinge aus aller Welt zieht es in unser gemeinsames Europa und in unser Land, weil es uns hier so gut geht.
Doch die öffentliche Wahrnehmung erkennt das nicht an. Unser politisches System, die repräsentative Demokratie, wird nicht wertgeschätzt. Unsere Parteien, unsere Freiheit werden nicht wertgeschätzt. Die Partei der Freiheit wird aus dem Parlament gewählt. Die europäische Union, Garant von Frieden und Freiheit in Europa, wird nicht wertgeschätzt. Unsere gemeinsame Währung, Garant für wirtschaftliche Prosperität, wird nicht wergeschätzt. Die NATO, Garant für unsere Sicherheit, wird nicht wertgeschätzt. Wir erkennen alle diese Leistungen nicht an, uns ist nicht bewusst, was wir haben, uns ist nicht klar, was wir verlieren können.

Wofür stehen Liberalismus und die Partei der Freiheit?
Liberale stehen – mehr als andere – für diese nicht ausreichend wertgeschätzten Institutionen: Für unsere repräsentative Demokratie, für unsere Verfassung, für die europäische Integration und die EU, für unsere gemeinsame Währung, für die transatlantische Partnerschaft, für die NATO.
Liberale stehen zudem – wieder mehr als andere – für Werte wie Freiheit, Verantwortung, Leistung, Offenheit und Toleranz. Auch diese Werte werden nicht ausreichend wertgeschätzt. Generell werden Werte nicht ausreichend wertgeschätzt. Wertbewusstes Leben, Denken und Handeln stehen nicht hoch im Kurs.
Es kann deshalb nicht überraschen, dass der Liberalismus, dass die FDP, die Partei der Freiheit, die für nicht wertgeschätzte Institutionen und für aufgegebene Werte stehen, sich in einer Krise befinden. Wie die Inhalte, für die sie stehen, werden zwangsläufig auch die liberale Partei und die Weltanschauung, die dahintersteht, nicht ausreichend wertgeschätzt.
Kann sich das ändern? Es kann – und es muss, denke ich.

Was hat die Positive Psychologie uns Liberalen zu bieten?
Wie bei der Therapie eines Einzelmenschen mit einer Depression oder Angststörung muss es auch uns Liberalen, die wir uns einer gewaltigen kollektiven gesellschaftlichen Melange aus Angst, Verzweiflung, Missmut, Wut und Zynismus gegenübersehen, darum gehen, Wahrnehmungen und kognitive Verarbeitungen zu verändern, die die gesellschaftliche Pessimismus-Welle generieren.
Die Positive Psychologie kann uns anleiten, die Welt um uns herum, vor allem die politische Welt, anders wahrzunehmen, indem wir den Blickwinkel verändern, genauer hinschauen und vergleichen. Uns fragen, ob uns Institutionen und Werte tatsächlich so gleichgültig sind und so wenig bedeuten. Uns die Vorstellung nahebringen, dies alles tatsächlich verlieren zu können.
Sie kann uns Mechanismen der gelernten Hilflosigkeit offenlegen und uns zeigen, wie wir aktiv und erfolgreich partizipieren können, uns in politische Prozesse einbringen und mitwirken können. Sie kann uns ein Bewusstsein vermitteln, dass wir selbstwirksam sind, dass wir Dinge verändern, aber auch sie bewahren und sie verteidigen können.
Sie kann uns zeigen, wie man eine pessimistische Sicht auf die Dinge gegen eine optimistische eintauscht und warum das gut für uns ist. Denn Optimisten sind nicht nur erfolgreicher, sie sind auch gesünder und leben länger.
Sie kann uns anleiten, wieder wertbewusster zu leben, die Natur und die Gemeinschaft wieder zu schätzen, Bindungen wiederaufzubauen, die Entfremdung und Isolation entgegenwirken.
Sie kann uns motivieren, uns für unsere Werte und Bindungen einzusetzen, überzeugtere und engagiertere Familienmenschen zu sein, Bürger unserer Kommune, Staatsbürger, leidenschaftliche Deutsche und Europäer.
Sie kann uns Liberale darin bestärken, entschlossen und engagiert für Institutionen und Werte einzutreten, die momentan wenig geschätzt werden. Wenn wir selber überzeugt sind, können wir andere überzeugen. Wenn wir selber begeistert sind, können wir andere begeistern. Wenn wir mitgerissen sind, können wir andere mitreißen.
Unsere Gesellschaft benötigt dringend optimistische und engagierte Streiter, Bewahrer und Verteidiger, Gestalter und Veränderer. Wertbewusste und gemeinschaftsorientierte Menschen, leistungsorientiert, das Gemeinwohl im Blick, selbstbewusst, tolerant, offen und menschenfreundlich. Echte Liberale eben, die motiviert und optimistisch eine freiheitliche Gesellschaft bauen.
Die Positive Psychologie hält den Werkzeugkasten bereit, den wir dafür brauchen.

Burnout
Obwohl sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert haben und die körperliche Beanspruchung vieler Tätigkeiten geringer geworden ist, erleben wir eine Zunahme von psychischen und psychosomatischen Störungen: Burnout, die Erschöpfungsdepression, scheint eine der größten individuellen Herausforderungen unserer Zeit zu sein.
Unsere globalisierte Gesellschaft fordert von manchen Menschen, über ihre Grenzen zu gehen: Mobilität, Flexibilität und permanente Erreichbarkeit verursachen einen inneren Daueralarm, der langfristig zur Überbelastung führt. Herbert J. Freudenberger prägte Anfang der 1970er Jahre den Begriff „Burnout“, definiert als „einen Zustand erschöpfter physischer und mentaler Ressourcen“, der in einem ursächlichem Zusammenhang mit dem Arbeitsleben steht. Der amerikanische Psychoanalytiker verstand den Zustand explizit nicht als psychische Erkrankung, sondern als Folge einer lebensweltlichen Überlastungssituation. Auch das DSM-V klassifiziert Burnout nicht als psychische Erkrankung.
Gewöhnlich nimmt Burnout einen spiralförmigen Verlauf. Am Anfang steht ein Gefühl von Erschöpfung. Man fühlt sich überfordert, unausgeschlafen und kann nach der Arbeit schlecht abschalten. Zudem ist man unzufrieden mit den Arbeitsergebnissen und der Arbeitssituation. Die eigenen Erwartungen werden nicht annähernd erfüllt, was zu hoher Frustration und Desillusionierung führt. Die Betroffenen haben keine Freude mehr an ihrer Arbeit, erledigen nur noch das Nötigste und distanzieren sich von Klienten und Kollegen. Häufig haben sie das Gefühl, ausgenutzt und nicht anerkannt zu werden. Im Kontakt mit ihren Mitmenschen sind die Betroffenen dann launisch, vorwurfsvoll, ungeduldig und gereizt, was zu weiteren Konflikten führt. Der eigene Anteil an den Auseinandersetzungen wird nicht gesehen. Wer sich aber selbst die Schuld an der Misere gibt, reagiert eher depressiv. Die Betroffenen fühlen sich hilflos, sind ängstlich und nervös. Angesichts der fehlenden Ressourcen, der eigenen Unfähigkeit, etwas an ihrer krisenhaft zugespitzten Situation zu ändern, schwindet ihre Selbstachtung immer mehr.
Die Folge dieser Entwicklung ist ein Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit, Motivation und Kreativität. Die permanente Anspannung und die daraus resultierende Erschöpfung führen zu Konzentrations- und Gedächtnisschwächen. Komplexe Aufgaben zu lösen und klare Entscheidungen zu treffen, fällt Betroffenen sehr schwer. Es kommt zu einer Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens. Die Menschen ziehen sich emotional zurück bis hin zur Gleichgültigkeit. Sie vernachlässigen ihre Hobbys, ihre Freunde und ihre Familie, und werden langsam einsam. Psychosomatische Reaktionen und Somatisierungsstörungen treten nun gehäuft auf. Ebenso werden auch mehr Alkohol, Kaffee, Tabak oder andere Drogen konsumiert. Schließlich dominiert das Gefühl der Verzweiflung. Hilflosigkeit und Ohnmacht gipfeln in einer allgemeinen Hoffnungslosigkeit. Das Leben erscheint sinn- und bedeutungslos. Es kommt zu Suizidvorstellungen.
Erschöpfungsdepression hat sehr viel mit Selbstfürsorge und Selbstachtsamkeit zu tun. Nur wenn wir die Signale des Körpers und unsere inneren Befindlichkeiten wahrnehmen können, sind wir in der Lage, rechtzeitig gegenzusteuern. Viele Menschen gehen über ihre Grenzen, weil sie diese nicht bemerken oder aber ignorieren. Am Beginn der Spirale ist es möglich und notwendig, diese krankmachende Entwicklung zu stoppen. Das setzt voraus, dass wir uns selbst mit unseren Gefühlen ernst nehmen und uns Menschen suchen, die uns schätzen und uns bei der Suche nach Lösungen und Alternativen unterstützen. Zu schnell fallen wir in krisenhaft zugespitzten Situationen in alte, oft nicht mehr adäquate Denk- und Verhaltensstrukturen zurück, die uns selbst nicht bewusst sind. Das Wissen um die eigenen Bedürfnisse, Ressourcen und Grenzen ist die Voraussetzung für eine bewusste Gestaltung des eigenen Lebens und fördert die Fähigkeit zur gesunden Selbstfürsorge. Wir müssen lernen, uns zu fordern, ohne uns zu überfordern, zur inneren Ruhe und Gelassenheit finden, unsere Grenzen erkennen und respektieren und ein Bewusstsein für die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickeln.
Unsere nachfolgend skizzierten Modelle der Selbsttherapie von Formen der Erschöpfungsdepression orientieren sich an folgenden Prämissen:
1. Stressabbau – die Menschen müssen zur Ruhe kommen.
2. Selbstfindung – Sich-Bewusstmachen der eigenen Leistungsstärken und –schwächen.
3. Reorganisation der Arbeitstätigkeit. Die Arbeit soll fordern, nicht überfordern. Der Arbeitsprozess darf nicht entfremdet sein. Arbeitsergebnisse müssen (be)greifbar sein. Soziale Einbindung ist zentral. Menschen müssen ein Verantwortungsgefühl für ihre Arbeitstätigkeit entwickeln. Sie müssen über Freiheitsspielräume verfügen, in denen sich Kreativität und Schöpfertum generieren lässt. […]

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