Montag, 20. Juli 2015
Im Garten der Sinnfindung
Die Naturwissenschaft sagt uns, dass unser Existenzgrund im Weiterleben unserer Gene besteht. Wir sind da, um zu überleben, um uns gegen Konkurrenten durchzusetzen, um uns fortzupflanzen, um unsere Nachkommen erfolgreich aufzuziehen, um schließlich zu sterben, damit unsere Nachkommen ihrerseits erfolgreich ihre Nachkommen aufziehen können, die dann ihrerseits ihre Nachkommen aufziehen werden…
Ist das reine Fortbestehen im Kreislauf des Fressens und Gefressenwerdens also der eigentliche Sinn und Zweck unserer Existenz?
Viele Menschen finden ihren Lebenssinn in Gott. Für sie ist ein gottgefälliges Leben nach göttlichen Gesetzen Lebenssinn und Lebenszweck.
Welche Lösung auf die Sinnfrage finden aber Menschen, die der Überzeugung sind, dass es keinen Gott gibt?
Viele weichen einer Auseinandersetzung mit der Sinnfrage und letztlich auch mit sich selbst aus. Sie „funktionieren“ zwar im Alltag unauffällig weiter, doch haben sie im Sinne der Existenzphilosophie Martin Heideggers eine Existenzform der „Uneigentlichkeit“, also eine nicht authentische Lebensweise gewählt. Viele dieser uneigentlichen, nicht authentischen Menschen begegnen uns häufig. Manche prägen und bestimmen unsere Gesellschaft. Das öffentliche Leben selbst wird wird uneigentlich und unauthentisch.
Viele Menschen flüchten sich in die Sucht. Sie werden anhängig von Drogen, von Glücksspielen oder von Pornografie. Gerade die neuen Technologien eröffnen Impulskontrollstörungen ein breites Potenzial. Immer mehr dieser Menschen flüchten in Scheinwelten und entziehen sich der Realität. Auch sie prägen eine Gesellschaft des Unwirklichen, des bloßen Scheins.
Andere Menschen reagieren mit Zynismus. Zyniker sind Menschen, die zwar eine große Sinnleere in ihrem Leben empfinden, das Leiden daran und jedes Mitleid für Andere jedoch unterdrücken. Ihr Leben wird dann nur noch von Sachzwängen und dem Selbsterhaltungstrieb vorangetrieben. Auch die Gesellschaft der Zyniker ist unmenschlich, weil bar jeden Mitgefühls und menschlicher Empathie.
Wieder andere Menschen reagieren verzweifelt. In einer solchen Verfassung droht das Leben zu scheitern. Es kommt zu einer chronischen oder akuten Lebensunfähigkeit, Lebensverneinung oder Lebensverweigerung. Mögliche Folgen können Depressionen und Suizid sein. Die Gesellschaft der Verzweifelten ist ein Jammertal der Hoffnungslosigkeit und der Wehleidigkeit.
Schließlich gibt es die „Akzeptiert Hoffnungslosen“, die der Auffassung sind, das Leben habe a priori keinen Sinn und sei an sich absurd. Diese Menschen bewerten ihr Leben als weder gut noch schlecht, sondern haben sich mit der Absurdität ihrer Lage abgefunden und sind zum begrenzten Genuss der Datschenidylle ihrer Absurdität in der Lage.
Wenn wir durch die Straßen unserer Großstädte gehen, begegnen uns alle diese Menschen: Die nichtauthentischen Uneigentlichen, die Süchtigen, die Zyniker, die Verzweifelten und die Akzeptiert-Hoffnungslosen. Die Gesellschaft, in der sie sich bewegen und die sie prägen, ist ein Spiegelbild ihres inneren Seins: Nichtauthentisch und uneigentlich, irreal und weltfremd, zynisch und verzweifelt. Und grau, unendlich grau.
Die Religiösen nennen dies eine gottlose Welt. Eine Welt ohne Gott.
Haben die Religiösen am Ende Recht?
Sie hätten vielleicht Recht, wenn es nicht die anderen Menschen gäbe und nicht die gänzlich andere Welt.
Diese Menschen führen ein Leben in Freiheit und Würde. Sie bestimmen selbst den Sinn ihrer Existenz. Nach Viktor Frankl kann der Mensch seinem Leben prinzipiell in jeder Situation Sinn abgewinnen oder seinem Leben Sinn geben, solange er bei Bewusstsein ist. Der ehemalige KZ-Häftling sagte: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Dies gelte selbst für Extremsituationen. „Was ist der Mensch? Er ist das Wesen, das immer entscheidet, was er ist.“ Ebenso wie Frankl sah auch Karl Jaspers in der Freiheit und dem Bewusstsein der Verantwortung den maßgeblichen Willensakt.
Im Zentrum der eigenen Sinngebung können unterschiedliche Konzepte stehen: Freiheit oder Verantwortung, Selbstverwirklichung oder Entwicklung, Menschlichkeit , Gerechtigkeit oder Frieden.
Immer sind wir selbst es aber, die unserem Leben einen Sinn geben, die unser Leben nach den selbstgewählten Konzepten ausrichten. Ein solch bewusstes, selbstsicheres Leben ist alles andere als grau. Es ist bunt, schillernd, mitunter ein wenig schrill und grell und vielfältig wie das Leben selbst. Sinnerfülltes Leben ist wie gärtnern im Garten der Menschlichkeit. Wir haben unsere Sinne, unseren Körper, unsere Emotionen.
Wir haben die Freiheit und die Chance, unsere Möglichkeiten zu leben.
Nutzen wir sie!
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