Montag, 6. Februar 2017

Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens?

Eine sehr empfehlenswerte neue Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung lädt ein, über politische Bildung, insbesondere in unseren Schulen, neu nachzudenken: "Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung".
Der Beutelsbacher Konsens war das Ergebnis einer sehr einflussreichen Tagung von Politikdidaktikern stark divergierender parteipolitischer Lager im Herbst 1976 im schwäbischen Beutelsbach. Der Konsens legte Grundsätze für heftig umstrittene Ziele und Methoden politischer Bildung fest.
Er formulierte drei pädagogische Prinzipien: Kontroversitätsgebot, Überwältigungsverbot und Befähigung zum politischen Handeln. Gemäß dem Überwältigungsverbot, auch Indoktrinationsverbot, dürfen Lehrer ihren Schülern nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen sie in die Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können. Das Gebot der Kontroversität zielt ebenfalls darauf ab, Schülern freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Lehrer sollen ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es auch in Wissenschaft oder Politik kontrovers erscheint. Lehrermeinungen sind für den Unterricht unerheblich und dürfen nicht zur Überwältigung der Schüler eingesetzt werden. Das Prinzip der Schülerorientierung soll Schüler in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigenen Positionen zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne ihrer eigenen Interessen zu beeinflussen.
Aus heutiger Sicht ist kritisch zu fragen, ob der Beutelsbacher Konsens nicht durch seine Überbetonung des Kontroversen und die starke Handlungsorientierung in einer Zeit zunehmender Komplexität zur Orientierungslosigkeit und Verunsicherung von Schülern beiträgt und ob Schülern in einer Entwicklungsphase erheblicher psychologischer Verunsicherung nicht verstärkt glaubhafte Rollenmodelle und Vorbilder präsentiert werden sollten.

http://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/236903/brauchen-wir-den-beutelsbacher-konsens


Indoktrination ist sicher ernstzunehmen. Aus meiner eigenen Erfahrung kenne ich das besonders von linken/grünen Lehrern, die stark ideologiegebunden unterrichtet haben. Als ebenso problematisch habe ich aber immer das völlige Fehlen von Orientierung empfunden, insbesondere in Bezug auf Wertediskussionen und moralische Maßstäbe. Häufig galt Werterelativismus als besonders chic und ein "anything goes" war die bestimmende Maxime. Desorientierung und Sinnkrise führen dann zu Anpassungsproblemen, Kriminalität und Drogenabusus, im Extremfall auch zum Suizid. 

In der Publikation wird z.B. kritisch diskutiert, ob das starke Neutralitätsgebot nicht politische Lethargie befördert und zum Rückzug der apolitischen Generation beigetragen haben könnte. Ebenso wird die starke Emanzipationsorientierung des Beutelsbacher Konsenses heute eher kritisch gesehen, wie insgesamt die 68er-Bewegung heute differenzierter gesehen wird. Von psychologischer Seite werden vor allem negative Auswirkungen auf die Identitätsentwicklung betont. Die Wichtigkeit von Vorbildern und positiven Rollenmodellen wird wieder als wichtiger betrachtet, als es die 68er-Generation getan hat. Bindung und Identität wird gegenüber der Emanzipation wieder stärker geschätzt.

Die Betonung von Konflikt und Kontroverse richtete sich ja explizit gegen zwei Ausprägungen des herkömmlichen Politikunterrichts: Einmal die eher unpolitische und weitgehend deskriptive "Institutionenkunde", zum anderen die Vermittlung der Politik als harmonisierendes Miteinander, die das Verbindende der "Volksgemeinschaft" betonen sollte. Diese Wegwendung vom Gemeinsamen und Harmonisierenden hin zum Konfliktbetonten und Trennenden hat natürlich auch starke Auswirkungen auf das Menschenbild, das für gesellschaftliche Prozesse prägend ist. 

Zur Forderung nach Neutralität: Etliche Interpreten des Beutelsbacher Konsenses sind der Auffassung, dass Indoktrinationsverbot und Kontroversitätsgebot nicht zwangsläufig auch ein Neutralitätsgebot beinhalten oder beinhalten sollten. Ich teile diese Auffassung. Strikte Neutralität würde ja bedeuten, dass Lehrer ihre eigene Meinung nicht in den Unterricht einbringen dürften. Schüler brauchen aber Orientierung an authentischen Persönlichkeiten, deren Meinung und Verhalten auch Rollenmodell sein kann. Wichtiger als Neutralität eines Lehrers erscheint mir völlige Transparenz, damit Schüler in der Lage sind, Meinung und Verhalten in ein weltanschauliches Gesamtgefüge einordnen zu können. Pluralismus ist aber insofern zu fordern, als auch abweichenden Meinungen im Unterricht Raum einzuräumen ist. [...] Ich stimme Ihnen insofern völlig zu, dass Schüler authentische Persönlichkeiten brauchen, die auch Rollenmodell sein können. Eigene Meinung entsteht aber sehr häufig nicht durch bloßes Übernehmen, sondern durch Reibung an Lehrermeinung. Frau X hat sicher Recht, dass es Impulse des Lehrers bedarf, die über Ihre/seine authentische Darstellung eigener Meinung hinausgehen müssen. Aus meiner Sicht ist nicht strikte Neutralität des Lehrers zu fordern, wohl aber Transparenz, Authentizität und Echtheit, sowie kritisch-pluralistische Impulssetzung, um auch anderen Meinungen Raum zu geben und so eine Urteilsbildung der Schüler anzuregen.

Etliche Interpreten des Beutelsbacher Konsenses sind der Auffassung, dass Indoktrinationsverbot und Kontroversitätsgebot nicht zwangsläufig auch ein Neutralitätsgebot beinhalten oder beinhalten sollten. Ich teile diese Auffassung. Strikte Neutralität würde ja bedeuten, dass Lehrer ihre eigene Meinung nicht in den Unterricht einbringen dürften. Schüler brauchen aber Orientierung an authentischen Persönlichkeiten, deren Meinung und Verhalten auch Rollenmodell sein kann. Wichtiger als Neutralität eines Lehrers erscheint mir völlige Transparenz, damit Schüler in der Lage sind, Meinung und Verhalten in ein weltanschauliches Gesamtgefüge einordnen zu können. Pluralismus ist aber insofern zu fordern, als auch abweichenden Meinungen im Unterricht Raum einzuräumen ist.

Die Betonung von Konflikt und Kontroverse richtete sich ja explizit gegen zwei Ausprägungen des herkömmlichen Politikunterrichts: Einmal die eher unpolitische und weitgehend deskriptive "Institutionenkunde", zum anderen die Vermittlung der Politik als harmonisierendes Miteinander, die das Verbindende der "Volksgemeinschaft" betonen sollte. Diese Wegwendung vom Gemeinsamen und Harmonisierenden hin zum Konfliktbetonten und Trennenden hat natürlich auch starke Auswirkungen auf das Menschenbild, das für gesellschaftliche Prozesse prägend ist.

Ich stimme Ihnen insofern völlig zu, dass Schüler authentische Persönlichkeiten brauchen, die auch Rollenmodell sein können. Eigene Meinung entsteht aber sehr häufig nicht durch bloßes Übernehmen, sondern durch Reibung an Lehrermeinung. Frau R. hat sicher Recht, dass es Impulse des Lehrers bedarf, die über Ihre/seine authentische Darstellung eigener Meinung hinausgehen müssen. Aus meiner Sicht ist nicht strikte Neutralität des Lehrers zu fordern, wohl aber Transparenz, Authentizität und Echtheit, sowie kritisch-pluralistische Impulssetzung, um auch anderen Meinungen Raum zu geben und so eine Urteilsbildung der Schüler anzuregen.

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