Ist es tatsächlich
so, dass die "Neue Rechte" die bürgerliche Mitte erobern
will? Dass das "Hass- und Wutbürgertum" und die
Fremdenfeindlichkeit in der bürgerlichen Mitte angekommen sind, wie
so häufig behauptet wird? Ist es tatsächlich so, dass „gefährliche
Bürger“ und eine „gefährliche Partei“ die bürgerliche Mitte
bedrohen?
Neurechtes Gedankengut usurpiere die Mitte, dringe viral in sie ein und verändere sie, liest man. Rechtes Denken und rechte Wahrnehmung seien längst in der politischen Mitte angekommen. Ist es aber überhaupt
so, dass irgendetwas in der bürgerlichen Mitte ankommt? Oder
polarisiert sich die bürgerliche Mitte, entstehen Fliehkräfte und
tiefe Gräben? Entsteht eine Art schwarzes Loch dort, wo einmal die
bürgerliche Mitte war? Meine Wahrnehmung ist eher, dass man in der
Fremd- und Selbstwahrnehmung abdriftet - vorzugsweise nach rechts -
und die Gefahr besteht, dass man der bürgerlichen Mitte verloren
geht.
Die große Gefahr
besteht heute darin, dass sich Meinung verideologisiert und
verabsolutiert: Wenn man der rechten Denkungsart eine antirechte
entgegensetzt, die auf ebenso dogmatisch-selbstgefällige Art nur
sich selbst akzeptiert und toleriert, entstehen Gräben. Wenn man
Denkverbote und Diskursverbote implementiert, erlöschen
Kommunikation und das Gemeinsame. Wenn man Andersdenkende ausgrenzt,
sie zu „Verbrechern“ abstempelt oder ihnen die Menschlichkeit
abspricht, wie es der sächsische Ministerpräsident getan hat,
beraubt man sich der gemeinsamen menschlichen Basis, die jede
Verständigung trägt. Antidemokratisch ist nicht allein das rechte
oder völkische Denken. Antidemokratisch ist die inhärente
Abschaffung des Pluralismus, die Neigung, dass man die "Wahrheit"
exklusiv bei sich selbst verortet und Handlungen im politischen
Umfeld legitimiert sieht.
Es ist dringend an
der Zeit, dass wir die gefährlichen Bürger, die Gutmenschen, die
Lügenpresse, die Angst-, Hass- und Wutbürger zu Grabe tragen. Was
übrig bleibt, sind Menschen mit unterschiedlichen politischen Zielen
und Meinungen, über die Verständigung möglich und ein
lösungsorientierter Ausgleich erforderlich ist. Was übrig bleibt,
sind Menschen mit Ängsten und berechtigten Lebensinteressen, die
gehört und ernst genommen werden wollen. Es ist dringend an der
Zeit, dass die Politik ihr Handeln wieder an den Interessen und
Bedürfnissen dieser Menschen ausrichtet und dass wieder Politik für
die Menschen und nicht gegen sie gemacht wird.