Ohne Frage hat die
FDP auf dem Berliner Bundesparteitag einen guten Eindruck gemacht:
Jugendlich kam sie daher, dynamisch und sympathisch. Und demonstrativ
geschlossen. Diese Geschlossenheit darf aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass eine wesentliche funktionale Zukunftsfrage noch
nicht gelöst ist: Die Frage nämlich, in welcher Konstellation und
Funktion liberale Inhalte im Bund und in den Ländern in der Zukunft
umgesetzt werden sollen. In Berlin gab es sehr viel Beifall und Lob
für die Mainzer Koalitionsverhandlungen für eine Ampelkoalition.
Die erheblichen Zweifel an der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit der
Entscheidung, Koalitionsverhandlungen mit Roten und Grünen
aufzunehmen, wurden im allgemeinen Harmoniebestreben hinweg
geklatscht, völlig ungeachtet der Tatsache, dass dies eine massive
Dehnung des Wählerwillens bedeutet hat – um es mal höflich
auszudrücken. Dass gleichermaßen
die Mainzer Entscheidung für eine Koalition wie die Stuttgarter
Entscheidung dagegen beklatscht und quasi ein „anything goes“
abgefeiert wurde, zeigt aber auch die spürbare Verunsicherung über
die zukünftige Rolle und Aufgabe der Partei gerade in funktioneller
Hinsicht.
Um längerfristig
erfolgreich zu sein, muss die FDP aus meiner Sicht in vier
Disziplinen überzeugen:
Erstens, sie muss
den Wählern inhaltliche Argumente liefern, um gewählt zu werden.
Sie muss als einzige liberale Partei in Deutschland die Stimme der
Freiheit in sämtlichen Politikbereichen hörbar machen und
konsequent für liberale Lösungen eintreten. Daneben muss sie als
Partei des Bürgertums bürgerliche Werte und Tugenden konsequent
verteidigen. Insgesamt sind wir hier auf einem sehr guten Weg.
Zweitens, sie muss
den Wählern emotionale Wahlargumente liefern. Sie muss
freiheitliches Lebensgefühl vermitteln, auf vorhandene Ängste eine
Antwort haben und der weit verbreiteten Lethargie und
Antriebslosigkeit etwas entgegensetzen. Mit der Kampagne „GERMAN
MUT“ und ihrer Fortsetzung in der „Beta Republik“ sind wir auch
hier auf einem guten und neuartigen Weg: Es geht darum, Emotion und
Lebensgefühl als Kategorien der politischen Kommunikation mit den
Menschen zu entdecken und für die Wählermotivation fruchtbar zu
machen.
Drittens, sie muss
den Menschen ein funktionales Argument liefern, um gewählt zu
werden. Eine Perspektive läge darin, sich wie in Rheinland-Pfalz als
weitere linksmittige Funktionspartei anzubieten, also als gelben
Faktor in einer Ampel mit Rot und Grün, Schwarz und Grün, oder der
„Deutschlandkoalition“ mit Schwarz und Rot. Gegen dieses Modell
spricht aus meiner Sicht, dass für eine weitere Funktionspartei
links von der Mitte neben den „sozialdemokratischen“ Parteien
CDU, SPD und Grünen kaum Bedarf besteht und der Konkurrenzdruck
extrem hoch ist. Aus meiner Sicht ist die längerfristige
(Überlebens)prognose für die FDP in diesen Konstellationen nicht
günstig.
Die Alternative
besteht darin, zunächst auf Regierungsbeteiligungen zu verzichten
und sich konsequent als Programmpartei und „Partei der Bewegung“
als Opposition zum „Merkel-Block“ der sozialdemokratischen
Parteien zu präsentieren. Hier wäre die FDP eine bürgerliche, aus
der Mitte des politischen Spektrums kommende Alternative zur
„Alternative für Deutschland“ und eine echte Alternative für
die Menschen und damit ein stabilisierender Faktor für unsere
Demokratie. Die „Große Koalition“ hat zu einer bedrohlichen
Entfremdung eines beträchtlichen Teils der Wählerschaft von unserem
politisch-repräsentativen System geführt. Es wäre
überlebenswichtig für unser repräsentatives System, dass sich eine
bürgerliche Partei aus der Mitte des politischen Spektrums an die
Spitze der Bewegung der Entfremdeten und Abgewandten setzt und diese
Menschen nicht dem Rechtspopulismus überlässt.
Zwischen den
sozialdemokratischen Parteien links von der Mitte und der immer
weiter nach rechts abdriftenden AfD liegt ein weites Feld, das
weitgehend konkurrenzlos bearbeitet werden kann. Für die FDP kann es
im Moment nicht um staatspolitische Verantwortung gehen – es geht
zunächst um eigene Stabilisierung und Konsolidierung und die
Rückkehr in den Deutschen Bundestag. Dies lässt sich aus meiner
Sicht in der Opposition besser erreichen, weil wir widerspruchsfreier
agieren können und keine Kompromisse eingehen müssen. Die Aussicht
auf eine weitere Merkel-geführte Koalition sollte uns darüber
hinaus in jeder Hinsicht abschrecken.
In Bezug auf die
funktionelle Ausrichtung ist die zukünftige Rolle der FDP noch nicht
klar. Hier müssen wir zu einer Entscheidung kommen.
Viertens muss sich
die FDP ein solides und widerspruchsfreies Image erarbeiten. Aus
meiner Sicht sind Solidität und Glaubwürdigkeit oberstes Gebot. Wir
müssen in bester bürgerlicher Tradition ehrlich und redlich
daherkommen. Dazu gehört, dass man nach der Wahl das einhält, was
man vor der Wahl versprochen hat. Deshalb ist die Mainzer
Entscheidung, gegen den Wählerwillen und gegen die eigenen
Wahlkampfaussagen Koalitionsverhandlungen mit Rotgrün aufzunehmen,
aus meiner Sicht ein schwerer Fehler gewesen. Wir sind 2013 nicht
zuletzt deshalb aus dem Bundestag geflogen, weil wir
Wahlkampfversprechen nicht einlösen konnten. Wir hatten – und
haben – ein Glaubwürdigkeitsproblem - wie das gesamte
politisch-repräsentative System insgesamt. Auch hier hätten wir als
bemüht glaubwürdige Partei ein Alleinstellungsmerkmal. Zudem sind
aber absolute Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und Redlichkeit für eine
gegenwärtig noch außerparlamentarische Partei mit noch nicht
soliden Umfragewerten überlebensrelevant.