Terrorattentäter – Psychisch krank oder „schrecklich normal“?
Das Terrorattentat von Charleston (South Carolina), bei dem neun Afroamerikaner aus offenbar rassistischen Gründen während einer Bibelstunde in einer Kirche erschossen wurden, hat in amerikanischen Medien eine ganze Reihe von Diskussionen ausgelöst: Natürlich wird erneut über den Dauerbrenner, eine Verschärfung von Waffengesetzen gestritten. Dann wird die alte Südstaatenflagge kritisch auf ihren Symbolgehalt im Hinblick auf Rassismus und rechtsextreme Gewalt hin befragt. Schließlich wird heftig diskutiert, ob es sich bei dem Anschlag überhaupt um Terror mit politisch motiviertem Hintergrund gehandelt hat. Aus europäischer Sicht vermag keine dieser Debatten wirklich vom Hocker zu reißen – zu offensichtlich erscheinen die Antworten.
Eine Diskussion aber, im Vergleich zu den anderen eher am Rande geführt, erscheint durchaus spannend, die Frage nämlich, ob das Label „psychisch krank“ bei Terrorattentätern dieser Art den Tätern nicht zu leichtfertig aufgeklebt wird, mitunter in der offensichtlichen Absicht, damit tiefergehenden gesellschaftlichen Debatten, etwa denen über Terrorgefahr, Rassismus und Verschärfung der Waffengesetze von vornherein aus dem Weg zu gehen.
Sind Terrorattentäter wie der junge Weiße aus Charleston offensichtlich psychisch krank oder werden sie allzu leichtfertig von Medien und Öffentlichkeit krankgeschrieben? Es geht bei der Frage nicht um die juristische Bewertung der Schuldfähigkeit des Todesschützen zum Tatzeitpunkt, auch nicht wirklich darum, ob beim Täter zuvor eine psychiatrische Diagnose nach DSM 5 oder ICD10, den psychiatrischen Klassifikationssystemen für psychische Erkrankungen und Störungen, festgestellt worden ist, etwa die Diagnose einer depressiven Erkrankung, einer Angststörung oder einer Persönlichkeitsstörung wie Antisoziales Verhalten. Es geht bei der Frage allein um die öffentliche Wahrnehmung des Täters und seiner Tat, darum nämlich, ob man die Tat einem psychisch Kranken, einem „Verrückten“ zuschreibt, oder einem Normalen, einem „schrecklich Normalen“ und welche gesellschaftlichen Konsequenzen man dann aus diesem Befund ziehen will.
Den Begriff des „schrecklich Normalen“ verwendet der Theologe und Chefarzt einer psychiatrischen Klinik in Köln Manfred Lütz. Lütz sagt in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Irre – wir behandeln die Falschen“, dass Diktatoren wie Hitler und Stalin keineswegs psychisch krank gewesen seien, sondern völlig normal, „schrecklich normal“. Die Gesellschaft müsse deshalb nicht vor den häufig völlig harmlosen psychisch Kranken geschützt werden, sondern im Gegenteil vor den Normalen, die uns tagtäglich bedrohen.
Diese Auffassung von der klaren Schwarz-Weiß-Abgrenzung von „Gesund“ und „Krank“ ist in Psychiatrie und klinischer Psychologie durchaus umstritten. Viele Autoren vertreten eher die Vorstellung eines Kontinuums, also einer breiten Palette von Grautönen, die ein sehr weites Feld von sehr geringfügigen bis sehr weitreichenden psychischen Störungen und Belastungen beschreiben. Nach diesem Verständnis ist potenziell jeder Mensch irgendwie psychisch belastet – es kommt also nicht auf ein „ob“, sondern allein auf Ausmaß und Ausprägung von psychischen Störungen an. Eine psychosomatische Rehaklinik, die vorzugsweise Patienten mit „Burnout“, der Erschöpfungsdepression, behandelt, verlässt kein Patient ohne eine Diagnose nach DSM oder ICD, häufig sind kombinierte Diagnosen einer depressiven Erkrankung – oder einer Angststörung – mit einer oder mehreren Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen. Diese mit schwerwiegend klingenden Diagnosen ausgestatteten Menschen sind in aller Regel völlig „normal“ wirkende Zeitgenossen. Gewalttäter oder gar Attentäter befinden sich gewöhnlich nicht darunter. Wenn man diese völlig „normalen“ Kranken vor Augen hat und hört, dass Hitler und Stalin völlig „normal“, also keinesfalls krank gewesen sein sollen, oder der Attentäter aus South-Carolina, der ihm völlig unbekannte betende Menschen in einer Kirche erschießt, um „ein Zeichen zu setzen“, nicht „krank“, nicht einmal „gestört“ gewesen sein soll, reibt man sich mehr als verwundert die Augen. Keine Psychopathie? Nicht einmal eine antisoziale Persönlichkeitsstörung?
Es gibt heute viele Psychiater und Klinische Psychologen, die völlig zu Recht fordern, mit Diagnosen überaus sparsam umzugehen, um Menschen nicht unnötigerweise zu pathologisieren. Eine freizügig liberalistische Gesellschaft ist heute zudem viel eher bereit, menschliches Verhalten zu tolerieren als früher. Vieles, was früher als jenseits der Norm betrachtet wurde, wird heute völlig zu Recht akzeptiert und toleriert. Im Allgemeinen rechtfertigen heute nur noch zwei Bedingungen die Feststellung einer Erkrankung oder Störung: Wenn erstens erheblicher Leidensdruck besteht, und/oder wenn zweitens ein erhebliches Risiko der Eigen- oder Fremdgefährdung besteht.
Dieses „Risiko der Fremdgefährdung“ war bei Hitler und Stalin ganz ohne Zweifel ebenso gegeben, wie beim Attentäter von Charleston. Wenn die Öffentlichkeit vor solchen Menschen ganz offensichtlich geschützt werden muss – und nur ein konsequenter Schutz der Öffentlichkeit kann, ganz ungeachtet des Vorliegens einer DSM- oder ICD-Diagnose die sinnvolle Konsequenz sein, kommt man, denke ich, um eine pathologisierende Bewertung eines solchen Täters nicht herum. Dem gesunden Menschenverstand, unserem Bauchgefühl widerstrebt es, solche Taten als „völlig normal“ durchzuwinken. Doch dabei ist es letztlich völlig unerheblich, ob man solche Täter als „krank“, „gestört“ oder „schrecklich normal“ beurteilt. Darauf, die Menschen vor solchen Tätern und den Entwicklungen, die zur Vollendung der Tat führen, zu schützen, - und zwar wirkungsvoll und konsequent – darauf allein kommt es an.
Das Terrorattentat von Charleston (South Carolina), bei dem neun Afroamerikaner aus offenbar rassistischen Gründen während einer Bibelstunde in einer Kirche erschossen wurden, hat in amerikanischen Medien eine ganze Reihe von Diskussionen ausgelöst: Natürlich wird erneut über den Dauerbrenner, eine Verschärfung von Waffengesetzen gestritten. Dann wird die alte Südstaatenflagge kritisch auf ihren Symbolgehalt im Hinblick auf Rassismus und rechtsextreme Gewalt hin befragt. Schließlich wird heftig diskutiert, ob es sich bei dem Anschlag überhaupt um Terror mit politisch motiviertem Hintergrund gehandelt hat. Aus europäischer Sicht vermag keine dieser Debatten wirklich vom Hocker zu reißen – zu offensichtlich erscheinen die Antworten.
Eine Diskussion aber, im Vergleich zu den anderen eher am Rande geführt, erscheint durchaus spannend, die Frage nämlich, ob das Label „psychisch krank“ bei Terrorattentätern dieser Art den Tätern nicht zu leichtfertig aufgeklebt wird, mitunter in der offensichtlichen Absicht, damit tiefergehenden gesellschaftlichen Debatten, etwa denen über Terrorgefahr, Rassismus und Verschärfung der Waffengesetze von vornherein aus dem Weg zu gehen.
Sind Terrorattentäter wie der junge Weiße aus Charleston offensichtlich psychisch krank oder werden sie allzu leichtfertig von Medien und Öffentlichkeit krankgeschrieben? Es geht bei der Frage nicht um die juristische Bewertung der Schuldfähigkeit des Todesschützen zum Tatzeitpunkt, auch nicht wirklich darum, ob beim Täter zuvor eine psychiatrische Diagnose nach DSM 5 oder ICD10, den psychiatrischen Klassifikationssystemen für psychische Erkrankungen und Störungen, festgestellt worden ist, etwa die Diagnose einer depressiven Erkrankung, einer Angststörung oder einer Persönlichkeitsstörung wie Antisoziales Verhalten. Es geht bei der Frage allein um die öffentliche Wahrnehmung des Täters und seiner Tat, darum nämlich, ob man die Tat einem psychisch Kranken, einem „Verrückten“ zuschreibt, oder einem Normalen, einem „schrecklich Normalen“ und welche gesellschaftlichen Konsequenzen man dann aus diesem Befund ziehen will.
Den Begriff des „schrecklich Normalen“ verwendet der Theologe und Chefarzt einer psychiatrischen Klinik in Köln Manfred Lütz. Lütz sagt in seinem populärwissenschaftlichen Buch „Irre – wir behandeln die Falschen“, dass Diktatoren wie Hitler und Stalin keineswegs psychisch krank gewesen seien, sondern völlig normal, „schrecklich normal“. Die Gesellschaft müsse deshalb nicht vor den häufig völlig harmlosen psychisch Kranken geschützt werden, sondern im Gegenteil vor den Normalen, die uns tagtäglich bedrohen.
Diese Auffassung von der klaren Schwarz-Weiß-Abgrenzung von „Gesund“ und „Krank“ ist in Psychiatrie und klinischer Psychologie durchaus umstritten. Viele Autoren vertreten eher die Vorstellung eines Kontinuums, also einer breiten Palette von Grautönen, die ein sehr weites Feld von sehr geringfügigen bis sehr weitreichenden psychischen Störungen und Belastungen beschreiben. Nach diesem Verständnis ist potenziell jeder Mensch irgendwie psychisch belastet – es kommt also nicht auf ein „ob“, sondern allein auf Ausmaß und Ausprägung von psychischen Störungen an. Eine psychosomatische Rehaklinik, die vorzugsweise Patienten mit „Burnout“, der Erschöpfungsdepression, behandelt, verlässt kein Patient ohne eine Diagnose nach DSM oder ICD, häufig sind kombinierte Diagnosen einer depressiven Erkrankung – oder einer Angststörung – mit einer oder mehreren Diagnosen von Persönlichkeitsstörungen. Diese mit schwerwiegend klingenden Diagnosen ausgestatteten Menschen sind in aller Regel völlig „normal“ wirkende Zeitgenossen. Gewalttäter oder gar Attentäter befinden sich gewöhnlich nicht darunter. Wenn man diese völlig „normalen“ Kranken vor Augen hat und hört, dass Hitler und Stalin völlig „normal“, also keinesfalls krank gewesen sein sollen, oder der Attentäter aus South-Carolina, der ihm völlig unbekannte betende Menschen in einer Kirche erschießt, um „ein Zeichen zu setzen“, nicht „krank“, nicht einmal „gestört“ gewesen sein soll, reibt man sich mehr als verwundert die Augen. Keine Psychopathie? Nicht einmal eine antisoziale Persönlichkeitsstörung?
Es gibt heute viele Psychiater und Klinische Psychologen, die völlig zu Recht fordern, mit Diagnosen überaus sparsam umzugehen, um Menschen nicht unnötigerweise zu pathologisieren. Eine freizügig liberalistische Gesellschaft ist heute zudem viel eher bereit, menschliches Verhalten zu tolerieren als früher. Vieles, was früher als jenseits der Norm betrachtet wurde, wird heute völlig zu Recht akzeptiert und toleriert. Im Allgemeinen rechtfertigen heute nur noch zwei Bedingungen die Feststellung einer Erkrankung oder Störung: Wenn erstens erheblicher Leidensdruck besteht, und/oder wenn zweitens ein erhebliches Risiko der Eigen- oder Fremdgefährdung besteht.
Dieses „Risiko der Fremdgefährdung“ war bei Hitler und Stalin ganz ohne Zweifel ebenso gegeben, wie beim Attentäter von Charleston. Wenn die Öffentlichkeit vor solchen Menschen ganz offensichtlich geschützt werden muss – und nur ein konsequenter Schutz der Öffentlichkeit kann, ganz ungeachtet des Vorliegens einer DSM- oder ICD-Diagnose die sinnvolle Konsequenz sein, kommt man, denke ich, um eine pathologisierende Bewertung eines solchen Täters nicht herum. Dem gesunden Menschenverstand, unserem Bauchgefühl widerstrebt es, solche Taten als „völlig normal“ durchzuwinken. Doch dabei ist es letztlich völlig unerheblich, ob man solche Täter als „krank“, „gestört“ oder „schrecklich normal“ beurteilt. Darauf, die Menschen vor solchen Tätern und den Entwicklungen, die zur Vollendung der Tat führen, zu schützen, - und zwar wirkungsvoll und konsequent – darauf allein kommt es an.
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