Leistung – Plädoyer für einen liberalen Leitbegriff
„Leistung“
ist traditionell ein liberaler Leitbegriff. Lange Zeit hat der Begriff
liberale Identität begründet: Man verstand sich in der liberalen Partei
vor allem als in der Partei der Leistungserbringer. Doch wie unsere
Leitbilddiskussion gezeigt hat, tun sich viele Liberale zunehmend schwer
mit dem einstigen Leitbegriff und nicht wenige plädierten dafür, auf
ihn ganz zu verzichten. Was ist die Ursache?
Für manche hat der
Absturz in der Wählerunterstützung und das Ausscheiden aus dem Deutschen
Bundestag nicht unwesentlich damit zu tun, dass die starke Orientierung
am Leitbegriff „Leistung“ die Partei in Misskredit gebracht habe. Um
welchen Leistungsbegriff ging es, wenn mantraartig immer wieder
gefordert wurde: “Leistung muss sich wieder lohnen“? Ging es den
Liberalen nicht primär um Klientelpolitik, um Steuerersparnis der
Einkommenseliten? Ging es, wenn Westerwelle „spätrömische Dekadenz“
diagnostizierte, nicht vor allem darum, der arbeitenden, sich ohnehin
weithin durch die Arbeitswelt überfordert fühlenden Bevölkerung noch
mehr Belastung abzuverlangen, zu noch mehr Leistung aufzurufen, zu noch
mehr Produktion oder Dienstleistung in noch kürzerer Zeit? Hat man die
Zeichen der Zeit nicht erkannt, nicht wahrgenommen, dass postmaterielle,
hedonistische Werte eine größere Bedeutung gewonnen haben und die
protestantische Arbeitsethik Max Webers an Zuspruch verliert? Hat man
nicht gesehen, dass mit der politischen Forderung nach
Leistungsoptimierung in einer Wellness-Gesellschaft kein Blumentopf mehr
zu gewinnen ist?
Das Problem bestand sicher darin, dass nicht
deutlich gemacht werden konnte, von welcherart Leistung man eigentlich
redet. Ging es uns wirklich nur um Wettbewerbsdruck, Outputoptimierung
und Kostensenkung, oder doch eher um das Menschheitsversprechen, dass
Menschen sich entwickeln und zum eigenen Wohl, aber auch zum Wohle der
Gesamtgesellschaft, das abrufen, was sie gerne tun und am besten können,
also Leistungsoptimierung verstanden als ein Mehr an produktiver,
kreativer Entfaltung? Und von wem sprach man eigentlich wenn man
forderte, Leistung müsse sich wieder lohnen? Meinte man tatsächlich nur
die Einkommenseliten? Oder doch auch die, die vor allem unter zunehmend
erschwerten Arbeitsbedingungen tatsächlich gesamtgesellschaftlich
relevante Leistung erbringen, die Leistungsträger auf der Straße also,
für die es kaum noch Anerkennung gab und gibt? Ging es uns nur, oder
doch wenigstens vor allem, um Spitzenleistungen einiger weniger, oder um
Breitenleistung der großen Mehrheit der arbeitenden Menschen in diesem
Land?
Ein Problem besteht sicher darin, dass Leistung und Erfolg
heute oft so weit auseinanderliegen. Forciert von den Medien, aber auch
bedingt durch unsere Fixierung auf eine Bestenauswahl gibt es heute
immer mehr „Winner-Take-All-Märkte“, in denen der Beste alles gewinnt,
für die weniger Erfolgreichen aber wenig bis kaum etwas übrig bleibt.
Längst gibt es diese Bestenauswahl nicht mehr nur in der Kulturszene, in
den Medien oder im Sport. Auch Rechtsanwälte und Ärzte sind
mittlerweile betroffen, ebenso Krankenhäuser und Schulen: Die
„Winner-Take-All-Märkte“ breiten sich in unserer Gesellschaft aus.
Früher,
in der Arbeitswelt unserer Eltern und Großeltern, lagen Leistung und
Erfolg häufig sehr dicht beieinander. Die Bäckerei in der Stadt, der
Gartenbaubetrieb auf dem Land forderten viel ab an Arbeitseinsatz, doch
der Erfolg bemaß sich an der Leistung: Gute Qualität sicherte zufriedene
Kunden und ordentliches Einkommen. Es gab wenig Konkurrenz, viele
Streumärkte. Unternehmen und ihre Kunden waren aufeinander angewiesen.
Die Arbeitszufriedenheit war entsprechend hoch, Ängste und Depressionen
spielten – trotz hoher Arbeitsbelastung – in der Arbeitswelt eine
geringe Rolle. Heute hingegen breiten sich Ängste und Depressionen immer
mehr aus, weil die Arbeitswelt immer höheren Druck erzeugt und weil
immer mehr Menschen in den „Winner-Take-All-Märkten“ sich an den wenigen
Erfolgreichen orientieren, damit zu den Verlierern gehören und sich
entsprechend so fühlen: Trotz hohen Arbeitseinsatzes warten kaum Erfolg
und Anerkennung. Leistung und Erfolg klaffen auseinander. Leistung
erbringen alle, doch Erfolg haben nur die Sieger. Leistung lohnt sich,
das erfahren immer mehr Menschen täglich, schon längst nicht mehr. Und
das nicht nur deshalb, weil die Steuerschrauben bei Leistungsträgern zu
eng angezogen sind.
Hinzu kommt, dass bei der
„Winner-Takes-All“-Konkurrenz der Sieger längst nicht immer, sogar in
den wenigsten Fällen, tatsächlich der Beste ist. Es gewinnt, wer sich am
besten verkauft. „Performance“ oder neudeutsch „Performanz“ ist das
Zauberwort. Um Leistung im Sinne eines erbrachten Wohls für die
Gemeinschaft geht es schon lange nicht mehr. Stattdessen um
Selbstmarketing, um Verkaufsstrategie: Wie bringe ich mein Selbst am
wirkungsvollsten zum Kunden. Selbstinszenierung ist zunehmend gefragt:
Der, der den publikumswirksamsten Auftritt hinlegt. Über den man
spricht. Das sind in der Regel nicht die, die am meisten leisten. Und
die Besten sind es in der Regel auch nicht.
Für die innengeleitete
Generation unserer Großeltern war nicht nur Leistung deckungsgleich mit
Erfolg, sondern auch die Bildung. (Auch dies ein liberaler Leitbegriff,
häufig zitiert, aber ebenso wie Leistung durchaus nicht
unproblematisch, weil der Zusammenhang zum Lebenserfolg längst fraglich
geworden ist). Bildung und Leistung bedingten einander. Gute Leistung
setzte Bildung voraus, umgekehrt war Leistung die Voraussetzung von
Bildung. Beides garantierte – zumindest in der Regel – auch Erfolg und
gutes Einkommen. Wer fleißig war und einen akademischen Abschluss in der
Tasche hatte, brauchte sich um gesicherte Anstellung keine Sorgen zu
machen. Heute sind wir, ist vor allem die „Generation Praktikum“, davon
meilenweit entfernt. Sicher ein Grund dafür, dass sich Liberale heute
mit beiden Leitbegriffen, aber mit der „Leistung“ noch stärker als mit
der „Bildung“, sehr viel schwerer tun als das Bildungsbürgertum
vergangener Tage.
Wir leben in einer schwierigen Zeit. Vieles
verändert sich, und doch bleibt auch vieles gleich. Die liberalen
Leitwerte „Bildung“ und „Leistung“ verändern sich in ihrer
alltagsweltlichen Fixierung und Justierung, und doch bleiben sie für
Liberale konstitutiv. Wir können und dürfen nicht auf Leistung als
Leitwert verzichten. Für Liberale ist Leistung das Produkt der
entfalteten Persönlichkeit, also die Förderung und Entfaltung dessen,
was Menschsein an sich ausmacht. Es geht darum, menschliche
Möglichkeiten freizusetzen, Hindernisse und Hemmnisse zu beseitigen,
Anreize zu setzen und Motivation zu befördern. Es geht dabei zunächst um
Breitenleistung, um die Förderung der Möglichkeiten aller Menschen.
Aber indem wir jeden dazu ermuntern und ihn unterstützen, sein Bestes zu
geben, geht es uns auch um Spitzenleistung. Bei aller Fixierung auf den
Gipfel dürfen wir aber niemals den Berg aus den Augen verlieren, der
diesen Gipfel trägt.
Leistung, so verstanden, ist kein staubiges
Relikt aus der Welt der protestantischen Arbeitsethik. Eine reine
Wellness- und Freizeitgesellschaft ist auf Dauer nicht zu finanzieren.
Und sie ist auch alles andere als chic. Dauerwellness führt zu
Dauerlangeweile: Es gehört zur menschlichen Natur, zu entwickeln und zu
gestalten. Der Schaffensdrang gehört zu unserer angeborenen
Grundausstattung. Leistungsfeindlichkeit hingegen ist ein
gruppenspezifisches Kunstprodukt, der menschlichen Psyche wesensfremd.
Ja,
Leistung muss sich wieder lohnen. Aber gemeint sein muss der schwierige
Arbeitseinsatz der Kranken- und Altenpflegerin und des Polizeibeamten
im lebensgefährlichen Einsatz, nicht der Performanzerfolg des
Mediensternchens, des hochbezahlten Profikickers, Wertpapierhändlers
oder Börsenspekulanten. Wir dürfen nur „Leistung“ sagen, wenn wir auch
„Leistung“ meinen und eben nicht den „Performanzerfolg“ durchaus
umstrittener Zeitgenossen mit eher beschränktem Sinn für das Gemeinwohl.
Wir brauchen einen Leistungsbegriff, hinter dem sich die Menschen
versammeln, indem sie sich wiedererkennen können. Er darf nicht, wie es
leider häufig der Fall war, in seiner psychischen Wirkung abschrecken
und die Gesellschaft spalten. Mit einem solcherart klar definierten und
sauber kommunizierten Leistungsbegriff brauchen wir uns dann auch nicht
vor den Wählern verstecken.
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