Mittwoch, 4. Januar 2017
Heimat: Bindung und Identität
Hervorragendes Thema und sehr guter Text von Liane Bednarz.
https://causa.tagesspiegel.de/kolumnen/die-neurechten-haben-den-heimat-begriff-nicht-gepachtetnbsp.html
Liberale müssen diese Debatte offensiv führen und klar machen, dass Heimat kein Konzept von Begrenztheit und geschlossener Gesellschaft ist, sondern mit Offenheit, Liberalität und Weltläufigkeit durchaus kompatibel ist. Wir müssen Heimat von unseren psychischen Notwendigkeiten her denken: Als selbstgewähltes und selbstgeschaffenes Konglomerat von Lebensverhältnissen, die uns in individuell völlig verschiedener Ausprägung Bindung und Identität konstituieren und Angstfreiheit, sichere Verwurzelung und Wohlbehagen und damit letztlich Gesundheit garantieren.
Für den Heimatbegriff sind aus psychologischer Sicht ja vor allem "Bindung" und "Identität" konstitutiv. Beide Konzepte sind genauso vielfältig füllbar, wie es unterschiedliche Persönlichkeiten gibt. Sie eindeutig auf das Deutsche, also das National-Kulturelle auszurichten, wie die Neurechten das tun, ist keineswegs zwangsläufig. Naheliegender wäre ohnehin, den Heimatbegriff am Regionalen oder gar Lokalen auszurichten, wo Bindung und Identität viel intensiver erlebbar sind. Wir müssen allerdings sehen, dass Bindungs- und Identitätsbedürfnisse von Menschen im deutlichen Spannungsfeld zur globalisierten und pluralistischen Massengesellschaft stehen und durch Entfremdungstendenzen bedroht sind. Zunehmend erlebte Fremdheit in der Alltagswelt geht sehr stark mit der Erosion von Bindungs- und Identitätsgefühl einher und bedeutet letztendlich Heimatverlust. Diese berechtigten Verlustängste müssen die bürgerlichen Parteien sehr ernstnehmen und dürfen das Thema nicht den Neurechten überlassen.
Heimat bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Auch Heimatverluste werden völlig verschieden erlebt. Wir müssen uns klarmachen, dass Menschen in ihrer Wahrnehmung von Bindungsverlust und Identitätsverlust völlig unterschiedlich sind und auch in ihrer Toleranz- und Kompensationsfähigkeit. Was der eine kaum wahrnimmt, bedeutet für die andere eine gewaltige Bedrohung und Verlusterfahrung.
Bei aller Unterschiedlichkeit gibt es aber auch große Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, die in unserer Evolutionsgeschichte wurzeln. Wir dürfen nie vergessen, wo wir mit unserem Primatenhintergrund herkommen: Das "environment of evolutionary adaptedness (EEA)", also die Lebensumwelt, in der unsere psychischen Apparate heranreiften, war gering besiedelt, sehr überschaubar, sehr begrenzt, sehr homogen strukturiert und über ein Menschenleben hinweg kaum veränderlich. Unsere Alltagswelt ist in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil. Es wäre ein absolutes Wunder, wenn es in dieser Lebenswelt nicht zu massiven Anpassungsproblemen und psychischen Störungen kommen würde.
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