Montag, 16. Januar 2017

Udo Ulfkotte: Die umstrittene Risikopersönlichkeit



Die Nachricht vom Tode Udo Ulfkottes hatte etwas Verstörendes. Die Kommentierungen anlässlich seines Todes haben es auch.

Wieder ein Mittfünfziger, den es dahinrafft. Ein Tod, der einem schmerzhaft die eigene Vergänglichkeit vor Augen führt. Ulfkotte war nur wenige Monate älter als ich.
Und wieder wird der Tod eines Menschen für Grabenkämpfe instrumentalisiert. Das liegt einerseits an Ulfkotte selbst, der ein Polarisierer war, der eher selten für Ausgleich und Verständigung eingetreten ist. Das liegt aber auch an unserer erhitzten, polarisierten Debattenkultur, die sich des Verstorbenen gewissenlos bemächtigt: Von den einen zum Helden und Märtyrer stilisiert, von den anderen zur verachteten Hassfigur, gnadenlos über den Tod hinaus.

Persönlich kannte ich Udo Ulfkotte während des Studiums in den frühen Achtzigern, als er der Konrad-Adenauer-Stiftung nahestand und später zur FAZ ging. Er hatte in Freiburg Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft studiert, war konservativ, ein genialer Analytiker, ein sehr guter Redner und ein gefürchteter Diskutant, scharfzüngig, belesen, bodenständig und doch weltoffen: Er, der Warsteiner Junge, bevorzugte italienischen Rotwein und Meeresfrüchte. Bier mochte er eher nicht.

Die herausragende Eigenschaft Ulfkottes war seine Hypersensibilität. Er hatte ein feines Gespür für gesellschaftliche Schwingungen und Veränderungen und für Strömungen des Zeitgeistes. Wahrnehmungen, die an eher phlegmatischen Zeitgenossen wie mir selbst unbemerkt vorübergingen. Und Udo Ulfkotte war ein unruhiger Geist. Ruhelos, ein Umtriebiger und Getriebener, damals schon.

Seine weitere Entwicklung konnte ich nur aus den Medien verfolgen: Große publizistische und journalistische Erfolge, aber auch heftig Umstrittenes, Scharfes, Polarisierendes, zunehmend Bizarres. Verschwörungstheorien, Geheimdienste, Kopp-Verlag, sein Auftritt bei PEGIDA im Januar 2015.
Seine Welt, so schien mir, hatte etwas Paranoides. Züge, die ich damals an ihm kannte, hatten sich offenbar verfestigt. Man las, er lebe zurückgezogen, im Wald, auf einem autarken Gelände , sein Haus zur Festung umgebaut, die Anschrift geheimgehalten. Nur der Pfarrer und der Bürgermeister wüssten, wo er wohne. Das Haus sei in einen See gebaut, mit eigener Strom- und Wasserversorgung. Wer sich ihm unerkannt nähern wolle, müsse erst über einen meterhohen Zaun und dann durch eine Gänseherde. Ulfkotte entwickelte sich zum bizarren Sonderling. Offenbar, so schien es, fühlte er sich bedroht und verfolgt. Überrascht haben mich diese Entwicklungen nicht. Die Grenze zwischen Genialität, Hypersensibilität und pathologischem Verfolgungswahn ist bekanntlich ein schmaler Grat.

Die Folge waren Herzinfarkte und offenbar eine Vielzahl psychosomatischer Leiden. Ulfkotte, der rastlos Getriebene, war der Prototyp der Typ-A-Persönlichkeit, jenes Menschentyps, der aufgrund von Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmalen in besonderer Weise für kardiovaskuläre Komplikationen anfällig scheint. Medizinisch betrachtet, war er ein Risikofall. Dass er mit 56 Jahren an einem Herzinfarkt verstirbt, ist zutiefst tragisch. Überraschend ist es nicht.

Bei Typ-A-Persönlichkeiten wird oft die Wahrnehmung eines feindlichen Weltbildes als pathogene Variable unterschätzt. Ulfkotte lebte im Daueralarmmodus, in einer feindseligen, ihn bedrohenden Welt. Er war eine gefährdete, eine Risikopersönlichkeit. Er konnte keinen Frieden mit seiner Lebenswelt machen und seine Lebenswelt nicht mit ihm. Am Ende bleibt der Eindruck einer tragischen und irregeleiteten Persönlichkeit, die wenig Nutzen aus einer großen Begabung gezogen und bei aller Genialität wenig zur inneren Befriedung unserer Gesellschaft beigetragen hat.

Udo Ulfkotte, der fried- und ruhelose Streiter, war aufrecht und ehrlich, ein redlicher Kamerad und bei aller Schwierigkeit seiner Persönlichkeit ein guter Mensch. Im Tod hat er seinen verdienten Frieden gefunden. Bleibt zu hoffen, dass wir uns bei aller unterschiedlichen Bewertung seiner Lebensleistung bemühen werden, dem Toten seine Würde zu lassen und seinen Frieden. Und dass so allmählich auch unsere gesellschaftliche Debattenkultur zu einem friedlichen Miteinander zurückfindet.

Samstag, 7. Januar 2017

Die FDP und das große "DU"


Die FDP rückt das große DU ins Zentrum der Wähleransprache. Das Konzept scheint einem Einführungslehrbuch in die Pädagogische Psychologie entnommen: Die ultimative Ansprache des Gegenübers und seine ultimative Wertschätzung. Es geht mir um Dich! Du bist mir wichtig! Du in Deiner individuellen Lebenswelt und subjektiven Befindlichkeit. Wir wollen, dass Du über dein Leben entscheidest. Denn es verändert sich erst dann etwas in unserem Land, wenn Du etwas veränderst. Deine Selbstwirksamkeit liegt uns am Herzen.

Der so ultimativ Angesprochene ist ausdrücklich jeder in der Gesellschaft, der sich so angesprochen fühlt. In besonderer Weise ist aber das DU in der Mitte der Gesellschaft gemeint. Die „Mitte der Gesellschaft“ steht dabei einerseits für die erodierende und stark belastete, von Abstiegsängsten geplagte sozioökonomische Mittelschicht unserer Gesellschaft. Sie steht in einer Debattenkultur, die zunehmend von den Rändern der Gesellschaft her bestimmt wird, auch für die ebenso erodierende und durch scharfe Polarisierung und Fragmentierung bedrohte kulturelle bürgerlich-zivile Mitte zwischen dem Hegemon des linksgrünen, politisch-korrekten Zeitgeistes und dem Rechtspopulismus. Und sie steht für ein bodenständig-verwurzeltes Lebensgefühl von Mittigkeit, für Optimismus, Angstfreiheit und Mut, für Selbstbewusstsein und Solidität, Nüchternheit, Gleichmut und ausgewogenes Denken.

Die "Mitte unserer Gesellschaft" hat also viel Gemeinsamkeit mit den Begriffen "Mittelschicht" und "Mittelstand", aber sie ist längst nicht dasselbe. "Mittelschicht" ist ein sozioökonomischer Schichtungsbegriff, der weit über das Ökonomische hinausgeht und z.B. Bildung und Kultur umfasst. "Mittelstand" ist ein ökonomischer Begriff und beschreibt kleine und mittlere Unternehmen, insbesondere Familienunternehmen, und Freiberufler. Die "Mitte der Gesellschaft" ist ein politisch-soziologischer Begriff, der die gefährdeten und erodierenden stabilen und innovativen Teile der Gesellschaft beschreibt. Wir dürfen "Mittelschicht" und "Mitte der Gesellschaft" keinesfalls gleichsetzen. Beides hängt eng zusammen, ist aber nur zum Teil deckungsgleich.

Die „Mitte der Gesellschaft“ wird nach Dreikönig im Superwahljahr zum Leitmotiv und Leitkonzept unserer Partei - verstanden nicht als diffuses „Wir“, sondern als Konglomerat vieler individueller „Dus“ mit betont eigenem Anspruch. Persönlicher und wertschätzender kann eine Partei ihre Wähler nicht ansprechen: Die psychologisch hervorragend fundierte Kampagne lässt für die anstehenden Wahlkämpfe allemal hoffen.


Mittwoch, 4. Januar 2017

Heimat: Bindung und Identität


Hervorragendes Thema und sehr guter Text von Liane Bednarz.
 https://causa.tagesspiegel.de/kolumnen/die-neurechten-haben-den-heimat-begriff-nicht-gepachtetnbsp.html 


Liberale müssen diese Debatte offensiv führen und klar machen, dass Heimat kein Konzept von Begrenztheit und geschlossener Gesellschaft ist, sondern mit Offenheit, Liberalität und Weltläufigkeit durchaus kompatibel ist. Wir müssen Heimat von unseren psychischen Notwendigkeiten her denken: Als selbstgewähltes und selbstgeschaffenes Konglomerat von Lebensverhältnissen, die uns in individuell völlig verschiedener Ausprägung Bindung und Identität konstituieren und Angstfreiheit, sichere Verwurzelung und Wohlbehagen und damit letztlich Gesundheit garantieren.


 Für den Heimatbegriff sind aus psychologischer Sicht ja vor allem "Bindung" und "Identität" konstitutiv. Beide Konzepte sind genauso vielfältig füllbar, wie es unterschiedliche Persönlichkeiten gibt. Sie eindeutig auf das Deutsche, also das National-Kulturelle auszurichten, wie die Neurechten das tun, ist keineswegs zwangsläufig. Naheliegender wäre ohnehin, den Heimatbegriff am Regionalen oder gar Lokalen auszurichten, wo Bindung und Identität viel intensiver erlebbar sind. Wir müssen allerdings sehen, dass Bindungs- und Identitätsbedürfnisse von Menschen im deutlichen Spannungsfeld zur globalisierten und pluralistischen Massengesellschaft stehen und durch Entfremdungstendenzen bedroht sind. Zunehmend erlebte Fremdheit in der Alltagswelt geht sehr stark mit der Erosion von Bindungs- und Identitätsgefühl einher und bedeutet letztendlich Heimatverlust. Diese berechtigten Verlustängste müssen die bürgerlichen Parteien sehr ernstnehmen und dürfen das Thema nicht den Neurechten überlassen.

Heimat bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Auch Heimatverluste werden völlig verschieden erlebt. Wir müssen uns klarmachen, dass Menschen in ihrer Wahrnehmung von Bindungsverlust und Identitätsverlust völlig unterschiedlich sind und auch in ihrer Toleranz- und Kompensationsfähigkeit. Was der eine kaum wahrnimmt, bedeutet für die andere eine gewaltige Bedrohung und Verlusterfahrung. 

Bei aller Unterschiedlichkeit gibt es aber auch große Gemeinsamkeiten zwischen Menschen, die in unserer Evolutionsgeschichte wurzeln. Wir dürfen nie vergessen, wo wir mit unserem Primatenhintergrund herkommen: Das "environment of evolutionary adaptedness (EEA)", also die Lebensumwelt, in der unsere psychischen Apparate heranreiften, war gering besiedelt, sehr überschaubar, sehr begrenzt, sehr homogen strukturiert und über ein Menschenleben hinweg kaum veränderlich. Unsere Alltagswelt ist in jeder Hinsicht das genaue Gegenteil. Es wäre ein absolutes Wunder, wenn es in dieser Lebenswelt nicht zu massiven Anpassungsproblemen und psychischen Störungen kommen würde.