Freitag, 14. Februar 2020

Gereizt. Getrieben. Fremdbestimmt.



Viele Mitglieder der FDP, zum Teil sehr gut bekannte und hochgeschätzte Freundinnen und Freunde verlassen die FDP. Andere verlassen die Facebookgruppe, eine Facebookgruppe wird archiviert und der Grund wird nicht kommuniziert. Facebook-Kontakte „entfreunden“ gereizt wegen unterschiedlicher Betrachtung der Thüringer Vorgänge.

Liberale sind empfindlich in diesen Tagen. Ängstlich, verletzlich, hochsensibel. Reaktionen sind häufig Überreaktionen. Wir sind stark verunsichert. Wir sind Säuberungs-Fetischisten, dulden keine Ambiguität, keinen Widerspruch, keine Spannung von Meinung und Ansicht. Die FDP-Identität ist brüchig, fragil. Was macht die FDP 2020 aus? Was definiert uns? Es scheint so, als sei es vor allem unser Verhältnis zur AfD. Was Liberale momentan unterscheidet, ist ihr Verhältnis zur Brandmauer, zur Abgrenzung gegenüber den Rechtspopulisten.

Wenn unser Verhältnis zur AfD liberale Identität bestimmt, sind wir fremdbestimmt. Eine schlimme Sache für Liberale, für die selbstverantwortete Selbstbestimmung zur DNA gehört. 

Wir sind Getriebene. Vom Zeitgeist, vom Tabu, von der Hexenjagd. Linke geben den Ton an, schwingen den Taktstock. Die FDP der öffentlichen Wahrnehmung reagiert. Auf den Furor der Linken. Auf die Machtspielchen der AfD. Die Partei der Freiheit wird bestimmt, statt zu bestimmen. 

Die FDP-Führung reagiert, statt zu agieren. Sie sagt nicht, was sie denkt, sondern was der Zeitgeist ihr einflüstert, was die angstgetriebene, tabufixierte Öffentlichkeit von ihr hören will. Die FDP-Führung, wenn sie gegenwärtig diesen Namen überhaupt verdient, wird zur Projektionsfläche der Political Correctness.

Wir haben ein Identitätsproblem in der FDP: Was wir mehr denn je brauchen, ist Persönlichkeit, innengeleitete, wertorientierte Charakterlichkeit. Es ist gar keine Frage, ob es noch eine liberale Partei braucht. Es braucht sie heute mehr denn je. Liberale müssen wieder den Ton angeben, nicht Linke und die AfD. An freiheitlichen Werten muss sich der Kompass unserer Demokratie wieder ausrichten, nicht an Tabus der Linken und an Machtspielen der AfD. Wir haben ein Führungsproblem in der FDP: Wir brauchen selbstbestimmte Führung. Und wir müssen in der Gesellschaft und in der Parteienlandschaft wieder führen wollen und Sinn, Ziel und Richtung bestimmen: Selbstbestimmt, innengeleitet, wertorientiert. Wir müssen wieder wollen. Und klar kommunizieren, was wir wollen.

Freitag, 21. Dezember 2018

Mut zur subjektiven Wahrheit



Relotius: Lügner und Betrüger oder werteorientierter Autor emotional authentischer Texte? Viele von uns sind empört über das Plädoyer Georg Restles, indem er uns Neutralitätswahn vorwirft und einen werteorientierten Journalismus fordert. Doch wir sollten herunterkochen, denn Restle hat in Teilen Recht: Haltungs- und werteorientierter Journalismus ist nicht das Problem. Wir brauchen Journalisten, die innengeleitet sind, die werteorientiert schreiben und Haltung zeigen. Das Problem ist Politische Korrektheit, das Vorherrschen einer Haltungsvorschrift, eine linksgrüne Hegemonie, die Haltung und Werte verordnet und Meinung vorschreibt.

Journalisten müssen autonom sein und sie müssen authentisch sein. Sie dürfen ebensowenig neutral sein, wie sich ein Politiklehrer an das Neutralitätsgebot des Beutelsbacher Konsenses halten kann und darf. Wir brauchen keine Wahrheits- und Faktenfetischisten. Wir brauchen Mut zur unabhängigen Meinung. Journalismus ist immer subjektiv, Schreiben ist immer Wahrnehmung und Erleben, Dichtung und Wahrheit. Was ein Autor schreibt, kann niemals objektiv wahr sein. Guter Journalismus ist subjektiv wahr, ist autonom und authentisch, sensibel, empathisch und ehrlich.

Hat Relotius nun gelogen oder gar betrogen? Wo der Eindruck erweckt wird, dass es sich bei der Darstellung um Fakten handelt, müssen die auch stimmig sein. Das ist eine Frage der journalistischen Redlichkeit. Nicht immer klar zu beantworten ist allerdings die Frage, was denn nun Fakten sind. Relotius wird vorgeworfen, Personen oder Begegnungen mit Personen erfunden zu haben. Sind das dann Fakten oder doch eher Kunstfiguren oder psychische Entitäten? Im Einzelfall wäre ganz genau zu prüfen, ob Lesern Falsches mit betrügerischer Absicht vermittelt wurde - oder schlicht eine Erzählung mit fiktiven Elementen und eigener Legitimität subjektiver Wahrheit.

Sonntag, 2. Dezember 2018

Flönz: Schweineblut und Kulturkampf


Ich war nie wirklich ein Fan von Kölschem Kaviar. Kölscher Kaviar ist Flönz mit Öllich, Mostard und Röggelche (Für Nicht-Rheinländer: Blutwurst mit Zwiebeln, Senf und Roggenbrötchen). Als Kind hatte ich mal gesehen, wie Flönz zubereitet wird. Das sind so Schicksalsmomente, die über lebenslange Leidenschaft oder lebenslange Abneigung entscheiden. Bei mir war es die Abneigung. Im Moment aber entdecke ich mein Herz für die verschmähte deutsche Blutwurst. Flönz ist zum Symbol des deutschen Kulturkampfes geworden. Es geht dabei nicht um Blut und Schweinefleisch in der Wurst. Es geht um Souveränität und behauptete Identität. Fehlende Sensibilität wird den Veranstaltern der Islamkonferenz vorgeworfen. Das Gegenteil ist aber richtig: Wir leben in einer Kultur der Hypersensibilität, die nur Folge einer starken kollektiven Verunsicherung sein kann. Es gibt starkes Schuldbewusstsein, das uns zu einer Überservilität, einem ständig vorauseilenden Gehorsam verleitet, zu einer Überanpassung: Wir wollen es immer allen Recht machen. Aber wir vergessen dabei uns selbst, geben uns viel zu oft selbst auf. Wir haben eine wundervolle Kulturtradition, auf die wir selbstbewusst stolz sein sollten. Die wir engagiert verteidigen sollten, gegen jeden, immerzu. Dazu gehört Blutwurst. Flönz. Kölscher Kaviar. Ob man ihn mag oder nicht.
(Foto: Wikipedia)

Freitag, 30. November 2018

Parfum


Völlig zu Unrecht werden die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten immer pauschal verurteilt. Mit der sechsteiligen Serie "Parfum" nach Motiven des Bestsellers von Patrick Süskind ist dem ZDF ein wahres Meisterwerk gelungen: Ein Crime-Spektakel mit grandiosem Tiefgang und solidem psychologischen Hintergrund. Der Sechsteiler bietet genug Stoff für ein Semester Psychopathologie. Die Figuren sind meisterhaft ausgearbeitete Chimären aus Tätersein und Opfersein, kaum eine Facette psychischer Verletzung und Deformation bleibt ausgespart. In seiner Zusammenraffung ein übles Portrait unseres Menschseins, aber in jedem Detail ein realistisches. Ein Parforceritt durch menschliche Abgründe wie in der Geisterbahn, liebevoll entsetzlich und berührend grauenvoll.

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/parfum-serie-zdf-neo-100.html?fbclid=IwAR2VWU7CAAlGOVZr3cNYm0Cop7P9Xjwpo6MxmfHEovSzSyYs2YuS5EF5ogQ

 https://www.zdf.de/serien/parfum/darum-gehts-114.html

Montag, 4. Dezember 2017

Die wertvollsten Momente im Leben


Die wertvollsten Momente im Leben

Da war so ein Septemberspätnachmittag im Südburgenland, mäßig warm, leicht bewölkt. Ein kleiner Buschenschank im Weinberg, rauhe, hölzerne Tische im Freien unter einem mächtigen Walnussbaum. Die Wirtin hat uns einladend hinaufgewunken, meine Frau und mich. Nur sehr wenige Urlauber kommen unter der Woche an den kleinen Holzhäuschen im Weinberg vorbei. Es ist völlig ruhig, weltvergessen. Die Wirtin ist sehr freundlich, hat einen reizenden südburgenländischen Akzent. Wir bestellen einen Uhudler, dazu Fladenbrot und Schmalz. Der Uhudler ist ein Cuvee aus roten Hybridsorten, Direktträger. Er schmeckt säurebetont, das Bukett ist äußerst intensiv und erinnert an Johannisbeeren oder schwarze Ribiseln, wie die Österreicher sagen.

Es ist ein einzigartiger Wein. Es sind einzigartige Momente. Wir genießen, sind uns nah, fühlen uns geborgen, empfinden intensive unverwechselbare Momente.

Dieser Wein schmeckt nie gleich. Es kommt auf die Reben an, auf den Boden und die Kunst der Winzerin. Aber es kommt auch und vor allem auf die Situation an, in der man ihn trinkt. An jenem Spätnachmittag kam es auf die Wolken an. Auf den Geruch in den Weinbergen. Auf den Walnussbaum und die rauhen Holztische. Auf die Freundlichkeit der Wirtin und auf die offene, gelöste Stimmung meiner Frau. Auf das Blümchenkleid, das sie trug und auf ihren Geruch. Auf ihr Lachen und den Wind in ihren Haaren. Alles zusammen ergab einen unverwechselbaren Geschmack des Uhudlers. Und unverwechselbare, einzigartige Momente.

Das Wertvolle im Leben ist das Einzigartige. Wertlos hingegen ist das Normale, das Typische, das Austauschbare. In unserer Massengesellschaft herrscht aber überall das Normale, das Typische und das Austauschbare vor. Die Massengesellschaft ist eine Gesellschaft des Wertlosen. Die wertvollen, einzigartigen Momente sind sehr selten geworden. Wir finden sie nur noch am Rande des Lebens, in der Provinz, an der Peripherie. Wie in jenem Buschenschank im Weinberg, im Grenzland zu Ungarn, wohin sich selten ein Urlauber verirrt.

Der Einmaligkeit des Erlebens entspricht die Einzigartigkeit des Menschen. Wir sind dann vollkommen menschlich, wenn wir einzigartig sind, individuell und unverwechselbar. Je unverwechselbarer wir sind, umso weniger entsprechen wir der Norm. Unsere Individualität müssen wir uns erkaufen um den Preis der Normalität und der Idealität. Je weniger wir der Norm entsprechen, umso mehr aber sind wir Persönlichkeit.

Persönlichkeit ist immer gerichtet auf Gemeinschaft. Erst in der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft gewinnt die individuelle Persönlichkeit Identität. Umgekehrt gewinnt auch die Gemeinschaft ihren Charakter und ihre Identität erst aus dem Zusammenspiel freier, individueller Persönlichkeiten. Individualität und Gemeinschaft bedingen einander.

Das Gegenstück zur Gemeinschaft freier Menschen ist die Massengesellschaft. Die Gesellschaft der Masse kennt nur Nutzen und Funktionalität. Sie kennt keinen Sinn und keinen Wert. Ebenso wenig respektiert sie menschliche Freiheit und menschliche Würde. Die Massengesellschaft vergöttert den Typus, das Durchschnittliche und das Normale. Individualität und menschliche Freiheit müssen in der Massengesellschaft untergehen. Ebenso die menschliche Würde.

Menschen flüchten sich in die Masse, weil sie in der Masse der Verantwortlichkeit entgehen können. In der Masse sind alle gleich. Die Persönlichkeit löst sich auf im Kollektiv. Kollektive Nichtunterscheidbarkeit bedeutet kollektive Verantwortung. Kollektive Verantwortung bedeutet aber kollektive Verantwortungslosigkeit, denn am Ende ist jeder für alles und niemand für irgendetwas verantwortlich. Die Gesellschaft der Masse wird zum Konglomerat verantwortungsloser entpersönlichter Wesen.

Freiheit bedeutet die Loslösung von der Gebundenheit an den Typus. Den Mut zur Persönlichkeit jenseits der Norm. Die Bereitschaft, für sich und andere Verantwortung übernehmen zu wollen. Freiheit erwirkt das menschliche Ideal der Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit. Sie macht uns zur Persönlichkeit und sowohl zum wertgebundenen wie zum wertvollen Wesen.

Finden wir doch den Mut zur Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit, zur Freiheit und zur Verantwortung. Gehen wir hinaus in die abgelegenen Weinberge des Lebens und suchen wir doch die verborgenen Buschenschänken. Hier begegnet uns der unverwechselbar schmeckende Wein, hier treffen wir mit einigem Glück auf die Momente voller Wert und dem Bewusstsein menschlicher Würde.


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Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden. (Sokrates)

Mittwoch, 15. November 2017

DSM-Syndrom, Sexismusproblem (in Bearbeitung)

Wir können diese Scheindebatte als Teil dessen ansehen, was DSM-Syndrom genannt wird. Das DSM ist das "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders" (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) und ist eines der beiden dominierenden psychiatrischen Klassifikationssysteme. Die Anzahl der im DSM aufgeführten Krankheiten und Störungen ist stetig von 106 (DSM-I) auf heute 374 (DSM-5) angestiegen. Die aktuelle Version DSM 5 beschreibt als Neuerungen so richtungsweisende Diagnosen wie "Hypersexuelle Störung, Prämenstruelle Dysphorische Störung oder Disruptive Stimmungsdysregulationsstörung". Hier wird Verhalten systematisch pathologisiert und problematisiert, der Bereich des "Normalen" immer weiter ausgedünnt und Rarität zur Devianz erklärt. Wo einst Verhaltensvielfalt war, wird Normabweichung diagnostiziert. Das Normale ist aber ebenso wie das Korrekte ("political correctness") ein menschengemachtes Konstrukt. Machen wir diese Konstrukte zur Zielvorgabe von Verhalten, reduzieren wir Vielfalt, beschneiden wir Freiheit und befördern totalitäre Tendenzen.

 Das Problem ist nicht das DSM. Auch nicht, wieviel das Buch kostet. Das Problem ist die zunehmende Tendenz, Verhalten zu pathologisieren, zu problematisieren, als inkorrekt zu stigmatisieren und einer Normierung und Verhaltenskontrolle zu unterwerfen. Das erleben wir im DSM genauso wie in diesem Thread.