Mittwoch, 20. Januar 2016

Macht die Mitte stark! Für eine neue Verständigungskultur in der Flüchtlingsfrage



Leben an der Front
Als Liberaler lebt man gefährlich heutzutage. Denn die Front, die unsere Gesellschaft spaltet, verläuft mitten durchs liberale Lager. Unversöhnlich und zunehmend feindlich stehen sie sich gegenüber: Die flüchtlingsverstehenden Gutmenschen auf der einen und die besorgten Angst- und mitunter auch Wutbürger auf der anderen. Es fällt einem Liberalen, der von Natur aus um Verständigung, Vermittlung und Ausgleich bemüht ist, schwer, dazwischen zustehen. Ständig wird einem unterstellt, man gehöre mit seinen Äußerungen ja eigentlich zur anderen Seite. Das Klima an der Front wird zunehmend eisig. Was wir erleben, ist die Erosion von Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft einer zunehmend fragmentierten, auf Konfrontationskurs gepolten Gesellschaft.

„Gutmenschen“ und gute Menschen
„Gutmenschen“ behaupten gerne, sie hätten das Monopol auf Gutmenschlichkeit. Aber Gutmenschen sind etwas völlig anderes als gute Menschen. Dabei empfinden „Gutmenschen“ den Begriff als Diffamierung der anderen Seite und lehnen ihn ab. Er wurde nun sogar zum Unwort des Jahres erkoren. Ich behaupte, der Begriff macht Sinn als Annäherung an den Typus des politisch Naiven, der starr und rigide dem politisch korrekten Zeitgeist anhaftet, in wohlmeinender Absicht in seinem Denken und Handeln in bloßer Gesinnungsethik im Sinne Max Webers verhaftet bleibt und dem es nicht gelingt, zu einer verantwortungsethischen Überprüfung seiner Position zu gelangen. Natürlich beschreibt der Begriff eben keine real existierenden Menschen, sondern definiert annähernd einen Typus, wie es in der Persönlichkeitspsychologie ständig unternommen wird. Das hat seine Berechtigung. Natürlich gibt es viele gute Menschen unter den Gutmenschen. Doch es gibt ohne jeden Zweifel auch sehr viele gute Menschen im anderen Lager.

Berechtigte Ängste ernst nehmen!
Die „besorgten Bürger“ werden häufig an den Ängsten festgemacht, die sie zum Ausdruck bringen. Ängste vor den Fremden, ihrer großen Zahl, ihrer religiösen Ideologie, ihrer Gewaltneigung, ihres Frauenbildes und vieles mehr. Viele dieser Ängste betreffen das Scheitern von Integrationsmaßnahmen und die staatliche oder gesellschaftliche Überforderung. Von der anderen Seite wird ihnen mitunter unterstellt, diese Ängste seien nicht real, sondern vorgeschobene „Pseudoängste“, mit denen Stimmung und Politik gemacht werden soll. Völlig unsinnig ist etwa die Forderung nach einer „Legitimation der Angst“. Menschen dürfen sich aber für ihre Gefühle nicht rechtfertigen müssen: Menschliche Gefühle, sofern authentisch, sind immer legitim. Es gibt keine illegitimen Ängste.
Der Populismus bedient sich der Ängste und schürt sie. Die Ängste wurzeln aber nicht im Populismus. Wir müssen sie ernst nehmen und zwar aus der Mitte der Gesellschaft heraus ernst nehmen. Wir dürfen der Angst nicht unterstellen, sie sei eine ideologisch genährte "Pseudoangst". Wer dies tut, nimmt Menschen und ihre legitimen Reaktionen nicht ernst und grenzt sie aus.
Gefährdungslagen durch den unkontrollierten Zustrom bindungsloser, entwurzelter, traumatisierter, durch Kriegs- und Fluchterfahrung verrohter Männer zu benennen, ist notwendig und legitim. Die Ängste davor sind real. Man kommt nicht aus dem "braunen Loch", wenn man sie beschreibt. Diese Ängste AfD und Pegida zuzuordnen, ist fatal. Es treibt Menschen gezielt dem rechten Rand zu, wenn sie sich nur noch dort ausdrücken dürfen und scheinbar nur noch dort verstanden werden.


Macht die Mitte stark!
So lautete ein Wahlplakat aus der Zeit, als ich zur liberalen Partei stieß. Gemeint war damals die FDP der sozialliberalen Koalition als Mitte zwischen der „rechten“ Union und der „linken“ Sozialdemokratie. An diesem Bild stimmt heute nach Gerhard Schröder, aber vor allem nach Angela Merkel, überhaupt nichts mehr – außer der Vorstellung, dass die Mitte etwas Gutes hat, weil sie für Stabilität und Ausgleich sorgt. Beides brauchen wir in unserer instabilen und chaotischen gesellschaftlichen Situation und fragmentierten, auf Konfrontationskurs gepolten Gesellschaft dringender denn je. Wir brauchen im liberalen Lager – und damit in der Mitte unserer Gesellschaft – eine neue Kultur der Mittigkeit, die sich um Ausgleich und Verständigung bemüht, Brücken baut zwischen den verfeindeten Lagern und Gesellschaft stabilisiert. Diese Mittigkeit muss eine realistisch-pragmatische Position in der Flüchtlingsfrage vermitteln, die einerseits humanistischen Ansprüchen genügt, andererseits berechtigte Ängste der Bevölkerung ernst nimmt, strukturelle Probleme benennt und sie lösungsorientiert angeht.

Integrationsprognose
Wie sieht eine pragmatische Flüchtlingspolitik aus, die innerhalb vertretbarer Grenzen Menschen hilft, ohne den Helfenden selbst unzumutbar zu schaden? Wir müssen sehen, dass erfolgreiche Integration nicht in Massenunterkünften gelingen kann, sondern nur dezentralisiert und in enger Anbindung an die einheimische Bevölkerung. Wir müssen sehen, dass Integration nur in funktionsfähigen Flüchtlingsfamilien gelingen kann, weshalb es notwendig ist, anerkannten Bewerbern das Nachholen der Kernfamilie zu gestatten. Und wir müssen sehen, dass die Zahl der Zuwanderer insgesamt begrenzt werden muss, um zwangsläufige Überforderung und ein Kollabieren des Systems zu verhindern. Um dies zu erreichen, müssen wir dringend einen neuen Begriff in die Debatte einführen – den der Integrationsprognose. In der Erstaufnahmeeinrichtung sollten Vernehmungen über die Motive stattfinden, aber auch psychologische Tests, um sich ein Bild machen zu können, wer da mit welcher Absicht ins Land kommt. Einer freiheitlichen Gesellschaft muss das Recht zugestanden werden, sich für die Bewerber entscheiden zu können, bei denen die Integrationsprognose günstig ist.

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