Als Liberaler lebt
man gefährlich heutzutage. Denn die Front, die unsere Gesellschaft
spaltet, verläuft mitten durchs liberale Lager. Unversöhnlich und
zunehmend feindlich stehen sie sich gegenüber: Die
flüchtlingsverstehenden Gutmenschen auf der einen und die besorgten
Angst- und mitunter auch Wutbürger auf der anderen. Es fällt einem
Liberalen, der von Natur aus um Verständigung, Vermittlung und
Ausgleich bemüht ist, schwer, dazwischen zustehen. Ständig wird
einem unterstellt, man gehöre mit seinen Äußerungen ja eigentlich
zur anderen Seite. Das Klima an der Front wird zunehmend eisig. Was
wir erleben, ist die Erosion von Kommunikationsfähigkeit und
-bereitschaft einer zunehmend fragmentierten, auf Konfrontationskurs
gepolten Gesellschaft.
„Gutmenschen“
und gute Menschen
„Gutmenschen“
behaupten gerne, sie hätten das Monopol auf Gutmenschlichkeit. Aber
Gutmenschen sind etwas völlig anderes als gute Menschen. Dabei
empfinden „Gutmenschen“ den Begriff als Diffamierung der anderen
Seite und lehnen ihn ab. Er wurde nun sogar zum Unwort des Jahres
erkoren. Ich behaupte, der Begriff macht Sinn als Annäherung an den
Typus des politisch Naiven, der starr und rigide dem politisch
korrekten Zeitgeist anhaftet, in wohlmeinender Absicht in seinem
Denken und Handeln in bloßer Gesinnungsethik im Sinne Max Webers
verhaftet bleibt und dem es nicht gelingt, zu einer
verantwortungsethischen Überprüfung seiner Position zu gelangen.
Natürlich beschreibt der Begriff eben keine real existierenden
Menschen, sondern definiert annähernd einen Typus, wie es in der
Persönlichkeitspsychologie ständig unternommen wird. Das hat seine
Berechtigung. Natürlich gibt es viele gute Menschen unter den
Gutmenschen. Doch es gibt ohne jeden Zweifel auch sehr viele gute
Menschen im anderen Lager.
Berechtigte Ängste
ernst nehmen!
Die „besorgten
Bürger“ werden häufig an den Ängsten festgemacht, die sie zum
Ausdruck bringen. Ängste vor den Fremden, ihrer großen Zahl, ihrer
religiösen Ideologie, ihrer Gewaltneigung, ihres Frauenbildes und
vieles mehr. Viele dieser Ängste betreffen das Scheitern von
Integrationsmaßnahmen und die staatliche oder gesellschaftliche
Überforderung. Von der anderen Seite wird ihnen mitunter
unterstellt, diese Ängste seien nicht real, sondern vorgeschobene
„Pseudoängste“, mit denen Stimmung und Politik gemacht werden
soll. Völlig unsinnig ist etwa die Forderung nach einer
„Legitimation der Angst“. Menschen dürfen sich aber für ihre
Gefühle nicht rechtfertigen müssen: Menschliche Gefühle, sofern
authentisch, sind immer legitim. Es gibt keine illegitimen Ängste.
Der Populismus
bedient sich der Ängste und schürt sie. Die Ängste wurzeln aber
nicht im Populismus. Wir müssen sie ernst nehmen und zwar aus der
Mitte der Gesellschaft heraus ernst nehmen. Wir dürfen der Angst
nicht unterstellen, sie sei eine ideologisch genährte "Pseudoangst".
Wer dies tut, nimmt Menschen und ihre legitimen Reaktionen nicht
ernst und grenzt sie aus.
Gefährdungslagen
durch den unkontrollierten Zustrom bindungsloser, entwurzelter,
traumatisierter, durch Kriegs- und Fluchterfahrung verrohter Männer
zu benennen, ist notwendig und legitim. Die Ängste davor sind real.
Man kommt nicht aus dem "braunen Loch", wenn man sie
beschreibt. Diese Ängste AfD und Pegida zuzuordnen, ist fatal. Es
treibt Menschen gezielt dem rechten Rand zu, wenn sie sich nur noch
dort ausdrücken dürfen und scheinbar nur noch dort verstanden
werden.
So lautete ein
Wahlplakat aus der Zeit, als ich zur liberalen Partei stieß. Gemeint
war damals die FDP der sozialliberalen Koalition als Mitte zwischen
der „rechten“ Union und der „linken“ Sozialdemokratie. An
diesem Bild stimmt heute nach Gerhard Schröder, aber vor allem nach
Angela Merkel, überhaupt nichts mehr – außer der Vorstellung,
dass die Mitte etwas Gutes hat, weil sie für Stabilität und
Ausgleich sorgt. Beides brauchen wir in unserer instabilen und
chaotischen gesellschaftlichen Situation und fragmentierten, auf
Konfrontationskurs gepolten Gesellschaft dringender denn je. Wir
brauchen im liberalen Lager – und damit in der Mitte unserer
Gesellschaft – eine neue Kultur der Mittigkeit, die sich um
Ausgleich und Verständigung bemüht, Brücken baut zwischen den
verfeindeten Lagern und Gesellschaft stabilisiert. Diese Mittigkeit
muss eine realistisch-pragmatische Position in der Flüchtlingsfrage
vermitteln, die einerseits humanistischen Ansprüchen genügt,
andererseits berechtigte Ängste der Bevölkerung ernst nimmt,
strukturelle Probleme benennt und sie lösungsorientiert angeht.
Integrationsprognose
Wie sieht eine
pragmatische Flüchtlingspolitik aus, die innerhalb vertretbarer
Grenzen Menschen hilft, ohne den Helfenden selbst unzumutbar zu
schaden? Wir müssen sehen, dass erfolgreiche Integration nicht in
Massenunterkünften gelingen kann, sondern nur dezentralisiert und in
enger Anbindung an die einheimische Bevölkerung. Wir müssen sehen,
dass Integration nur in funktionsfähigen Flüchtlingsfamilien
gelingen kann, weshalb es notwendig ist, anerkannten Bewerbern das
Nachholen der Kernfamilie zu gestatten. Und wir müssen sehen, dass
die Zahl der Zuwanderer insgesamt begrenzt werden muss, um
zwangsläufige Überforderung und ein Kollabieren des Systems zu
verhindern. Um dies zu erreichen, müssen wir dringend einen neuen
Begriff in die Debatte einführen – den der Integrationsprognose.
In der Erstaufnahmeeinrichtung sollten Vernehmungen über die Motive
stattfinden, aber auch psychologische Tests, um sich ein Bild machen
zu können, wer da mit welcher Absicht ins Land kommt. Einer
freiheitlichen Gesellschaft muss das Recht zugestanden werden, sich
für die Bewerber entscheiden zu können, bei denen die
Integrationsprognose günstig ist.
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