Dienstag, 26. Januar 2016

Formen der Angstreaktion auf die Flüchtlingssituation




Ängste, die als Reaktionen auf die Flüchtlingskrise entstehen, sind vielfältig, haben verschiedene Ursachen, wirken auf unterschiedlichen Ebenen und bedürfen daher auch vielfältiger Bewältigungsstrategien. Grob lassen sich drei Angstreaktionen unterscheiden: Angstwahrnehmung als Folge kognitiv-rationaler Analyse, Generalisierte Angst als Ausdruck pessimistischen Lebensgefühls, von Depression und Wahrnehmung von Hilflosigkeit und Kontrollverlust, sowie angstgenerierende Urinstinkte, angeborene Prägungen unserer Entwicklungsgeschichte, die in ihrer Wirkung den Phobien sehr ähnlich sind.

Wenn Denken Angst macht
Die entwicklungsgeschichtlich jüngste Form der Angstreaktion sind Ergebnisse kognitiv-rationaler Analysen. Was uns ängstigt, sind etwa Zahlenwerte, die die Größe des Flüchtlingszustroms bemessen oder das Verhältnis von Migranten zur einheimischen Bevölkerung. Ebenso können geschätzte Folgekosten der Migration oder erwartete Probleme der Integration angstauslösend wirken. Die Reaktion auf kognitive Vorstellungen ist immer emotional: Ein Gefühl macht sich breit, eine Art innere Stimme, die uns sagt: Wir schaffen das nicht, die Zahlen sind nicht zu bewältigen, die Kosten werden zu hoch sein oder Integrationsprobleme wie zunehmende Gewalt in diesem Segment nicht beherrschbar. Anders als bei den anderen Formen der Angst sind diese Reaktionen leicht veränderbar: Günstige Erfahrungswerte lassen uns zu einer veränderten Wahrnehmung gelangen und nehmen uns dann die Angst. Umgekehrt sind wir aber geneigt, ständig Bestätigungen unserer negativen Einschätzungen zu suchen (self-fulfilling-prophecies). Negative Erwartungshaltungen können uns beratungsresistent machen.

Angst als Lebensgefühl
Generalisierte Angst gründet immer in einem negativen Lebensgefühl und steht in enger Beziehung zu Belastungsdepressionen („Burnout“). Entscheidend ist dabei die Wahrnehmung eigener Hilflosigkeit und von Kontrollverlust, ein larmoyantes weinerliches Lebensgefühl und das Bewusstsein, ein Opfer der Umstände zu sein. Dieses Lebensgefühl steht in deutlichem Zusammenhang zum allgemeinen Zeitgeist und zur soziokulturellen Lebenslage. „German Angst“ beschreibt die starke Gesellschaftsgebundenheit dieses Lebensgefühls. Bei der Flüchtlingsangst werden Migranten als unmittelbare Bedrohung der eigenen Lebensverhältnisse, des eigenen Wohlstands und der eigenen Sicherheit wahrgenommen. Menschen erleben diese Bedrohung als von der politischen Lebenswelt vorgegeben und fühlen sich ihr hilflos ausgeliefert und ohne Möglichkeit einer Steuerung und Einflussnahme. Die Wahrnehmung grenzt mitunter ans Paranoide: Ein „Verschwörungskartell“ aus Politik und Medien („Lügenpresse“) bedroht mit ihrer Politik die eigenen Lebensinteressen. Die Schärfe dieser Wahrnehmung steht in unmittelbarem Zusammenhang zur eigenen sozioökonomischen Lebenslage: Je prekärer die eigene Situation, umso schärfer die (durchaus realistisch) eingeschätzte Konkurrenz durch Flüchtlinge und umso geringer die sich selbst zugeschriebene Kontroll- und Steuerungskompetenz. Möglichkeiten der Korrektur und Gegensteuerung sind begrenzt. Der Politik bleibt nur, der wahrgenommenen Konkurrenzsituation durch politische Maßnahmen entgegenzuwirken. Wahrnehmungsveränderungen durch Förderung von Resilienzfaktoren und Schaffung von Bewältigungskompetenz sind möglich, aber sehr zeitaufwändig.

Die Urangst vor dem Fremden
Angstgenerierende Urinstinkte sind tief in unserem evolutionären Erbe verwurzelt. Wir verfügen über potenziell angstauslösende angeborene Schemata. Die bekanntesten Beispiele sind etwa die Schlangen- und Spinnenphobie. Jeder Mensch verfügt über diese angeborenen Schemata – aber nicht jeder Mensch hat Angst vor Schlangen und Spinnen. Entscheidend sind auslösende Erfahrungen in der Vergangenheit, oft frühkindliche Erlebnisse. Negativerfahrungen legen den angeborenen Schalter um – und es kommt zur objektbezogenen Angst, der Phobie. Es gibt angeborene, potenziell angstauslösende Schemata, die Flüchtlinge betreffen. Der Fremde an sich ist ein solcher Topos, insbesondere der männliche Fremde, der die eigenen Frauen bedroht. Besonders bedrohlich wirkt dieser Auslöser, wenn er in einer Gruppe oder gar in großer Zahl auftritt. Wenngleich die Schemata angeboren sind, werden sie durch Lebenserfahrung überformt. Hier ist der persönliche Kontakt zum einzelnen Fremden von entscheidender Bedeutung. Wer Fremde kennenlernt (und schon über positive Erfahrungen verfügt) hat weniger Angst. Gegensteuern kann man generell wie in der Verhaltenstherapie bei Spinnenphobie: Indem man allmähliche angstabbauende Begegnungen schafft. In der Flüchtlingsdebatte könnte das bedeuten: Weg von Massenunterkünften, hin zu dezentraler, bevölkerungsnaher Unterbringung, die Wahrnehmung von Bedrohlichkeit reduziert und Möglichkeiten des Kennenlernens schafft. Zu überdenken ist in dieser Hinsicht auch die Politik des Familiennachzugs, da gut integrierte Männer mit Frauen und Kindern als weniger bedrohlich wahrgenommen werden als reine Männergruppen.

Fazit
Angst ist eine Emotion - also entzieht sie sich jedes rationalen Zugangs. Sämtliche Angstreaktionen wurzeln in unserer menschlichen Natur und sind somit zutiefst menschlich. Wir müssen diese Ängste im politischen Raum ernst nehmen, und zwar aus der Mitte der Gesellschaft heraus ernst nehmen. Wir dürfen diese menschlichen und natürlichen Ängste nicht dem rechten Rand zuschreiben, weil wir so zur Ausgrenzung von Menschen und zur Desintegration von Gesellschaft beitragen. Wir verlieren Menschen für die politische Mitte, wenn wir ihnen das Gefühl geben, dass sie ihre Ängste nur noch bei AfD und Pegida ausdrücken können und scheinbar nur noch dort verstanden werden.

Nachvollziehbarkeit von Ängsten ist für mich die hohe Kunst des Psychotherapeuten, aber keine Legitimationsgrundlage für die Angst. Eine subjektive emotionale Wahrnehmung schafft eine subjektive Wirklichkeit, d.h. sie ist auch dann real, wenn sie niemand sonst nachvollziehen kann. Wir dürfen Menschen nicht unter Legitimationsdruck bringen. Aus Sicht des Therapeuten sind Ängste häufig unbegründet - ich darf sie aber dennoch nicht delegitimieren, etwa mit der Begründung, die Person habe sich nicht ausreichend mit Realität auseinandergesetzt oder sei nicht bemüht genug, die Angst zu bewältigen. Eine Angst nicht ernstzunehmen, weil die Person sich gegen "vernünftige Einsichten immunisiert " habe, gründet auf einer Unterstellung und zudem in subjektiver Arroganz. Ich kann einem anderen die Angst nicht durch Argumente ausreden - damit erreiche ich nur Blockade. Ich kann ihm bestenfalls bei der Bewältigung der Angst helfen.

Es gibt keine nichtgerechtfertigte Angst. Es gibt lebensbehindernde Ängste, die Leidensdruck verursachen und deshalb therapiert gehören. Wer Angst hat, kann damit nicht recht oder unrecht haben. Emotion ist eine Qualität jenseits von Logik und Werturteil. Worum es uns allen gehen sollte, ist die Bewältigung von Angst.

Mittwoch, 20. Januar 2016

Macht die Mitte stark! Für eine neue Verständigungskultur in der Flüchtlingsfrage



Leben an der Front
Als Liberaler lebt man gefährlich heutzutage. Denn die Front, die unsere Gesellschaft spaltet, verläuft mitten durchs liberale Lager. Unversöhnlich und zunehmend feindlich stehen sie sich gegenüber: Die flüchtlingsverstehenden Gutmenschen auf der einen und die besorgten Angst- und mitunter auch Wutbürger auf der anderen. Es fällt einem Liberalen, der von Natur aus um Verständigung, Vermittlung und Ausgleich bemüht ist, schwer, dazwischen zustehen. Ständig wird einem unterstellt, man gehöre mit seinen Äußerungen ja eigentlich zur anderen Seite. Das Klima an der Front wird zunehmend eisig. Was wir erleben, ist die Erosion von Kommunikationsfähigkeit und -bereitschaft einer zunehmend fragmentierten, auf Konfrontationskurs gepolten Gesellschaft.

„Gutmenschen“ und gute Menschen
„Gutmenschen“ behaupten gerne, sie hätten das Monopol auf Gutmenschlichkeit. Aber Gutmenschen sind etwas völlig anderes als gute Menschen. Dabei empfinden „Gutmenschen“ den Begriff als Diffamierung der anderen Seite und lehnen ihn ab. Er wurde nun sogar zum Unwort des Jahres erkoren. Ich behaupte, der Begriff macht Sinn als Annäherung an den Typus des politisch Naiven, der starr und rigide dem politisch korrekten Zeitgeist anhaftet, in wohlmeinender Absicht in seinem Denken und Handeln in bloßer Gesinnungsethik im Sinne Max Webers verhaftet bleibt und dem es nicht gelingt, zu einer verantwortungsethischen Überprüfung seiner Position zu gelangen. Natürlich beschreibt der Begriff eben keine real existierenden Menschen, sondern definiert annähernd einen Typus, wie es in der Persönlichkeitspsychologie ständig unternommen wird. Das hat seine Berechtigung. Natürlich gibt es viele gute Menschen unter den Gutmenschen. Doch es gibt ohne jeden Zweifel auch sehr viele gute Menschen im anderen Lager.

Berechtigte Ängste ernst nehmen!
Die „besorgten Bürger“ werden häufig an den Ängsten festgemacht, die sie zum Ausdruck bringen. Ängste vor den Fremden, ihrer großen Zahl, ihrer religiösen Ideologie, ihrer Gewaltneigung, ihres Frauenbildes und vieles mehr. Viele dieser Ängste betreffen das Scheitern von Integrationsmaßnahmen und die staatliche oder gesellschaftliche Überforderung. Von der anderen Seite wird ihnen mitunter unterstellt, diese Ängste seien nicht real, sondern vorgeschobene „Pseudoängste“, mit denen Stimmung und Politik gemacht werden soll. Völlig unsinnig ist etwa die Forderung nach einer „Legitimation der Angst“. Menschen dürfen sich aber für ihre Gefühle nicht rechtfertigen müssen: Menschliche Gefühle, sofern authentisch, sind immer legitim. Es gibt keine illegitimen Ängste.
Der Populismus bedient sich der Ängste und schürt sie. Die Ängste wurzeln aber nicht im Populismus. Wir müssen sie ernst nehmen und zwar aus der Mitte der Gesellschaft heraus ernst nehmen. Wir dürfen der Angst nicht unterstellen, sie sei eine ideologisch genährte "Pseudoangst". Wer dies tut, nimmt Menschen und ihre legitimen Reaktionen nicht ernst und grenzt sie aus.
Gefährdungslagen durch den unkontrollierten Zustrom bindungsloser, entwurzelter, traumatisierter, durch Kriegs- und Fluchterfahrung verrohter Männer zu benennen, ist notwendig und legitim. Die Ängste davor sind real. Man kommt nicht aus dem "braunen Loch", wenn man sie beschreibt. Diese Ängste AfD und Pegida zuzuordnen, ist fatal. Es treibt Menschen gezielt dem rechten Rand zu, wenn sie sich nur noch dort ausdrücken dürfen und scheinbar nur noch dort verstanden werden.


Macht die Mitte stark!
So lautete ein Wahlplakat aus der Zeit, als ich zur liberalen Partei stieß. Gemeint war damals die FDP der sozialliberalen Koalition als Mitte zwischen der „rechten“ Union und der „linken“ Sozialdemokratie. An diesem Bild stimmt heute nach Gerhard Schröder, aber vor allem nach Angela Merkel, überhaupt nichts mehr – außer der Vorstellung, dass die Mitte etwas Gutes hat, weil sie für Stabilität und Ausgleich sorgt. Beides brauchen wir in unserer instabilen und chaotischen gesellschaftlichen Situation und fragmentierten, auf Konfrontationskurs gepolten Gesellschaft dringender denn je. Wir brauchen im liberalen Lager – und damit in der Mitte unserer Gesellschaft – eine neue Kultur der Mittigkeit, die sich um Ausgleich und Verständigung bemüht, Brücken baut zwischen den verfeindeten Lagern und Gesellschaft stabilisiert. Diese Mittigkeit muss eine realistisch-pragmatische Position in der Flüchtlingsfrage vermitteln, die einerseits humanistischen Ansprüchen genügt, andererseits berechtigte Ängste der Bevölkerung ernst nimmt, strukturelle Probleme benennt und sie lösungsorientiert angeht.

Integrationsprognose
Wie sieht eine pragmatische Flüchtlingspolitik aus, die innerhalb vertretbarer Grenzen Menschen hilft, ohne den Helfenden selbst unzumutbar zu schaden? Wir müssen sehen, dass erfolgreiche Integration nicht in Massenunterkünften gelingen kann, sondern nur dezentralisiert und in enger Anbindung an die einheimische Bevölkerung. Wir müssen sehen, dass Integration nur in funktionsfähigen Flüchtlingsfamilien gelingen kann, weshalb es notwendig ist, anerkannten Bewerbern das Nachholen der Kernfamilie zu gestatten. Und wir müssen sehen, dass die Zahl der Zuwanderer insgesamt begrenzt werden muss, um zwangsläufige Überforderung und ein Kollabieren des Systems zu verhindern. Um dies zu erreichen, müssen wir dringend einen neuen Begriff in die Debatte einführen – den der Integrationsprognose. In der Erstaufnahmeeinrichtung sollten Vernehmungen über die Motive stattfinden, aber auch psychologische Tests, um sich ein Bild machen zu können, wer da mit welcher Absicht ins Land kommt. Einer freiheitlichen Gesellschaft muss das Recht zugestanden werden, sich für die Bewerber entscheiden zu können, bei denen die Integrationsprognose günstig ist.