Dienstag, 7. März 2017

Heimat - (k)ein Konzept für Liberale?


Liberale tun sich eher schwer mit dem Konzept der „Heimat“. Zum einen ist der Begriff historisch belastet, konnotiert mit der Blut-und-Boden-Ideologie der Nationalsozialisten. Damals wurde der Begriff stark regional verstanden und war verquickt mit rassistischem, ausgrenzendem und in Bezug auf die deutschen Ostgebiete häufig revanchistischem Gedankengut.

Zum anderen widerspricht das Heimatkonzept fundamental dem Typus des modernen krawattentragenden, magentafarbenen Freidemokraten, der sich gerne als Kosmopolit sieht: Maximal anpassungsfähig, mobil, flexibel, leistungs- und marktorientiert. Das Bodenständige, Gewachsene, Ursprüngliche und Identitäre, für das „Heimat“ steht, stört da nur. Bindung wird da leicht zur Anbindung, die an das Enge und Begrenzte fesselt.

Ist „Heimat“ also ein unliberales Konzept? Eines das wir lieber den Konservativen und Rechtspopulisten überlassen sollten?

Unbestritten erlebt der Heimatbegriff seit Jahren eine Renaissance – und das längst nicht nur in den konservativen und rechtspopulistischen Segmenten der Gesellschaft. Heimatgefühle feiern Hochkonjunktur und werden zum Sehnsuchtsort der Menschen. Ohne Zweifel müssen wir die Heimatwelle als Gegenbewegung zur globalisierten Welt verstehen, die den Menschen im Hinblick auf Mobilität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit immer mehr abverlangt und zunehmend viele Menschen überfordert. Es wäre ein großer Fehler, als Liberale dies nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen und leichtsinnig darüber hinweg zu gehen: Globalisierung bedeutet Bindungsverlust, Verlust an Sicherheit und Wohlbehagen. Masseneinwanderung bedeutet Bedrohung des Identitären und Gewachsenen. Gefühle von Entfremdung und das als bedrohlich wahrgenommene Fremde in der Lebenswelt generieren Ängste, die das Leben der Menschen zunehmend prägen.

Aus psychologischer Sicht bedeutet „Heimat“ vor allem Identität und Bindung. Heimat ist sehr viel weniger ein Ort, als ein Lebensgefühl: Das Heimatkonzept schafft Sicherheit und Wohlbehagen, Überschaubarkeit und das so wesentliche Gefühl der Kontrollkompetenz, das Vermögen von Menschen, ihre Lebenswelt und ihren Alltag beeinflussen, verändern und gestalten zu können. Dabei sind Menschen extrem unterschiedlich: Ihre Bewältigungsstrategien sind ganz verschieden und ihre Heimatbedürfnisse sind ganz verschieden. Der eine fühlt sich im Gewusel der Megacity wohl, der andere in der beschaulichen Kleinstadt schon überfordert. Was uns aber alle eint, ist, dass wir nach Bindung streben und nach Identität.

Wir dürfen als Liberale, die wir vielleicht aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen weltoffener sind, Entfremdungstendenzen weniger schmerzhaft wahrnehmen, flexibler und mobiler sind als Andere, nicht die überfordern, die es nicht sind. Unsere Politik muss sich auch und bevorzugt an denen orientieren, die stärkere Sicherheitsbedürfnisse haben, die Fremdheit stärker bedroht, die fundamentale Veränderung und rascher Wandel stärker ängstigt.

Meine These ist, dass wir als Liberale das Heimatkonzept und - damit verbunden – die Heimatbedürfnisse der Menschen nicht leichtfertig ignorieren dürfen. Wenn wir die Menschen ernstnehmen wollen, müssen wir auch ihre Heimatbedürfnisse ernstnehmen. Wir brauchen ein eigenes freiheitliches Heimatkonzept, das mehr verkörpert als Dirndlkleid, Volksmusik und rustikale Dorfgasthöfe mit Hirschgeweihen über dem Stammtisch. Ein freiheitliches Heimatkonzept muss mehr sein als Kitsch, muss weltoffen Begrenztheit und Enge überwinden, muss Lebensräume gestalten, die Bindung und Identität zulassen und ein Lebensgefühl kultivieren, das menschlichen Bedürfnislagen entspricht.

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Kann man Angst vor dem Begriff "Heimat" haben, wird gerade gefragt. Es gibt Heimatkonzepte und -begriffe, die in der Tat beängstigen können. Wir dürfen deshalb den Heimatbegriff nicht den Rechtspopulisten überlassen, sondern brauchen einen eigenen freiheitlichen Heimatbegriff, der auf Vielfalt und Weltoffenheit aufbaut und menschlichen (psychischen) Bedürfnislagen entspricht. Es geht darum, Heimaten zu schaffen und Lebenswelten zu fördern, die Identität, Bindung, Kontrolle und Angstfreiheit ermöglichen und damit Garanten für psychische Gesundheit sind. 

An dem Konzept oben sind zwei Aspekte durchaus ungewöhnlich und durchaus nicht gängige Definition: Einmal, dass ich von Heimat "schaffen" spreche. Und zum anderen, dass ich "Heimat" im Plural verwende. Heimat so verstanden ist nicht singulär, es gibt nicht "die Heimat", die man nur entweder für sich akzeptieren kann oder nicht, auf die man exklusive Anspruchsrechte erhebt und damit Andere ausschließt. Heimat so verstanden, muss ich mir selber schaffen, muss ich wählen, muss ich aktiv gestalten. Heimat so verstanden, ist völlig individuell auf mich bezogen und auf meine spezifischen Bedürfnisse. Jeder Mensch hat folglich eine andere eigene Heimat, die sie oder er für ein gutes, gesundes Leben braucht. Ein solcher Heimatbegriff ist dann auch nicht autoritär, wie Wolf Dermann meint.

Bild: Rinderhaltung bei Behrensdorf (Kreis Plön). Solche Landschaften zum Wohlfühlen können im besten Sinne Heimat sein.