Montag, 31. Oktober 2016

Gefährliche Debattenkultur



Großes Theater erleben wir derzeit in unserer Medienlandschaft, in seiner Dramatik Shakespeare nachempfunden und von Stefan Winterbauer in seinem Artikel sachlich nachgezeichnet. Mich persönlich interessieren weniger die Details - unappetitlich allemal und ganz besonders verstörend, weil auf beiden Seiten des Konflikts sehr geschätzte Persönlichkeiten involviert sind. Mich interessiert die polarisierte Bissigkeit und Giftigkeit des Konflikts, weil sie symptomatisch ist für unseren Zeitgeist und die öffentliche Kultur der Meinungsbildung und Auseinandersetzung. Das Drama zeigt schonungslos auf, wie sehr zerrissen und menschenfeindlich unser Diskurs gegenwärtig geführt wird. Wie hochgradig unproduktiv es ist, Menschen an den Pranger zu stellen, statt über Sachfragen zu debattieren. "Gefährliche Bürger" ist ein problematisches Buch, weil es sich auf namentlich benannte Personen fokussiert, statt das durchaus sehr gesellschaftsrelevante Thema des Rechtspopulismus sachlich-deskriptiv, inhaltlich, behutsam und verantwortlich zu analysieren. Dies festzustellen, relativiert aber in keiner Weise die zum Teil bodenlos primitiven Auslassungen namhafter Journalisten, wie wir sie jetzt erleben mussten. Es relativiert vor allem nicht den "Investigativen Journalismus" eines fragwürdigen Artikels in einer großen Tageszeitung, der vor allem darauf abzielt, eine Autorin persönlich anzuprangern und zu beschädigen. Ruhe, Nüchternheit und Sachlichkeit sind jetzt dringend gefordert. Die Hitzigkeit der Debatte, die in ihrer menschenverachtenden Giftigkeit an die McCarthy- Ära erinnert, ist hochgradig kontraproduktiv und beschädigend. Es sind genug Gräben aufgerissen und genug Gefühle verletzt worden. Es ist hohe Zeit, versöhnlich gegenzusteuern. 

http://meedia.de/2016/10/27/charakterschweine-pseudo-investigativjournalist-welt-autor-alan-posner-geht-wegen-liane-bednarz-auf-die-sueddeutsche-zeitung-los/

Genau hier liegt ja das Problem. Die Etikettierung (und damit Stigmatisierung und Ausgrenzung) erfolgt ja nicht nur gegenüber Persönlichkeiten (die sich vielleicht auch selbst der Szene zuordnen), sondern ebenso gegenüber einzelnen politischen Positionen oder gar Begrifflichkeiten. Der betroffene Personenkreis wird hierdurch immer größer und die Abgrenzung gegenüber dem Tabubereich immer schwieriger. Man gerät immer häufiger unter Verdacht, fragwürdiges Gedankengut zu hegen. Das erlebe ich auch ganz persönlich. Tabuzonen weiten sich aus - und als Reaktion darauf natürlich die zunehmende Bereitschaft zum Tabubruch.